# taz.de -- Politikwissenschaftler über Putin: „Ein Meister der Verstellung�… | |
> Russlands Präsident diskutiert mit Prominenten, wie er seinen Staat | |
> umbauen will. Waleri Solowei über einen großen Taktiker und seine | |
> EU-Politik. | |
Bild: „Niemand weiß, was er vorhat“, sagt Solowei über Putin | |
taz: Herr Solowei, seit der [1][Rede des Präsidenten Wladimir Putin zur | |
Lage der Nation] ist fast ein Monat vergangen. Am Donnerstag erörtert er in | |
Moskau vor Stars aus Sport und Kunst, [2][wie der Staatsumbau aussehen | |
soll]. | |
Waleri Solowei: Alle Verfassungsänderungen scheinen bisher diffus. Seit | |
Langem wird über Veränderungen gesprochen, die Putins neue Rolle nach dem | |
Ende seiner Präsidentschaft 2024 betreffen. Zeitpunkt und Eile, mit der das | |
jetzt geschah, überraschen jedoch. Klar aber ist, dass sie das Land auf | |
veränderte Rahmenbedingungen vorbereiten sollten. | |
Welche Bedingungen? | |
Der Präsident könnte hypothetisch krank werden und unfähig, die | |
Amtsgeschäfte zu führen. Oder andere politische Kräfte könnten in den | |
Vordergrund drängen. Zurzeit ist es nicht die Opposition, die die | |
politische Ordnung infrage stellt. Die Herrschenden selbst rütteln an den | |
Grundmauern. Das kann an unterschiedlichen Schnittstellen passieren, beim | |
Zusammenspiel zwischen Zentrum und Regionen etwa. Eingriffe in ein | |
funktionierendes System sind jedoch riskant und destabilisierend. | |
Bislang galt der Kremlchef als Taktiker. | |
Putin muss immer alles minutiös selbst vorbereiten. Improvisiert wird nur, | |
wenn es sein muss. Und er ist ein Meister der Verstellung: Niemand weiß, | |
was er vorhat. Wenn ihm für einen Posten sechs Kandidaten vorgeschlagen | |
werden, wählt er einen siebten. | |
Soll die Erweiterung präsidialer Vollmachten Putins Verbleib an der Macht | |
sichern? Das wäre eine Rückkehr zur politischen Praxis der UdSSR. | |
Für Wladimir Putin und seine Vertrauten ist die UdSSR noch sehr lebendig. | |
Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 war in ihren Augen das Ergebnis | |
einer US-Verschwörung. Seither denken sie an Rache und träumen davon, die | |
Sowjetunion zumindest als Zusammenschluss aus Weißrussland und Ukraine | |
wiederauferstehen zu lassen. | |
Bislang vermeidet Moskau allzu offene Konflikte und geht nur überschaubare | |
Risiken ein. Auch weil sich das Vermögen der Regierenden meist im Westen | |
befindet. | |
Dennoch hoffen sie, vor allem im östlichen Europa wieder geopolitischen | |
Einfluss zu gewinnen. Einige EU-Mitglieder begegnen Brüssel tatsächlich | |
ziemlich distanziert, allen voran Ungarn, aber zum Teil auch Zypern, | |
Griechenland, Tschechien und Bulgarien. Nach und nach ist in Russland auch | |
die Überzeugung gewachsen, [3][Bundeskanzlerin Angela Merkel] und | |
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron würden Sanktionen gegen das Land | |
nicht mehr lange aufrechterhalten können. Italien habe sich ohnehin schon | |
lange davon verabschiedet. | |
Italien trat ja oft als Lokomotive der Dissonanz auf. Salvini geht im Kreml | |
aus und ein. | |
Moskau will jedoch weder einen neuen Block, noch ein ideologisches Bündnis | |
schaffen. Auch wenn Moskau viele rechtspopulistische Parteien in Europa | |
unterstützt, darunter auch die AfD. Sie sollen eines Tages wenn nötig eine | |
revisionistische Koalition gegen die EU bilden. Dem Kreml wäre aber schon | |
damit gedient, wenn einzelne Staaten wieder für sich sprächen. Kurzum: | |
politische Souveränität auf nationalstaatlicher Ebene. Gegen einen | |
gemeinsamen Markt wehrt sich Russland hingegen nicht. | |
Wie unterscheidet sich Putin von der Kamarilla aus Geheimdienstlern? | |
Putin hält sich inzwischen für ein Werkzeug Gottes, im Kreml herrscht eine | |
mystisch-messianische Sicht auf die Welt, die in vormodernen Kategorien | |
verhaftet ist. Putin ist unter den Kollegen noch der Klügste und geistig | |
Beweglichste. Ganz dunkel wird es in der Umgebung von Nikolai Patruschew, | |
dem ehemaligen Vorsitzenden des Sicherheitsrates und Chef des | |
Geheimdienstes. Da zeigen sich professionelle Deformationen. | |
Was bedeutet das [4][für die russische Außenpolitik]? | |
Russland versteht sich sehr gut aufs Drohen und Angst einjagen, Gewalt wird | |
als politisches Mittel geschätzt. Andere Ressourcen fehlen, die | |
Wirtschaftsleistung ist bescheiden. Dennoch hat Moskau die besten Militärs | |
in Europa. Sie sind auf Krieg geeicht, brauchen aber keine Panzer mehr: | |
Russland setzt auf hybride Kriegsführung. Was würde etwa nach einem Angriff | |
auf die Europäische Zentralbank passieren? | |
Warum sind die politischen Ziele der EU und Russlands so verschieden? | |
Hier treffen unterschiedliche Epochen aufeinander. Moskau bewegt sich im | |
19. Jahrhundert, wenn auch auf höchstem technischen Niveau. Wir wollten | |
diese Unterschiede lange nicht zur Kenntnis nehmen. | |
13 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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