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# taz.de -- Regionalwahlen in Russland: Feiern und wählen gehen
> In Moskau laufen die Kommunalwahlen, dazu Regionalwahlen. Für Putin
> könnten sie gefährlich werden.
Bild: Die Ergebnisse könnten für ihn gefährlich werden: Wladimir Putin in ei…
Moskau taz | Zu dritt sind sie gekommen, direkt nach dem Teetrinken bei
Ljusja, erzählen die Damen, alle weit über 70. Ljusja habe darauf
bestanden, dass sie hier sind, in der Mittelschule „Admiral Kusnezow“ am
westlichen Zentrumsrand Moskaus. An diesem Sonntag dient die Schule als
Wahllokal. Polizisten patrouillieren draußen, es gibt Kinderschminken und
laute russische Schnulzen. Jugendliche schwingen Tafeln mit „Alles Gute zum
Geburtstag!“ Es ist Stadtfest in Moskau – und [1][Wahltag im ganzen Land].
Festtagsstimmung will vor der Mittelschule nicht aufkommen, weder wegen des
einen noch wegen des anderen Anlasses. Vereinzelt gehen vor allem ältere
Menschen die Treppen hinauf. Ljusjas Freundinnen wirken etwas verloren
zwischen Drehkreuz und Schulzimmern.
Ljusja, einst Lehrerin, nun vor allem mit Stricken für die Enkel
beschäftigt, weiß genau, wer es sein soll von den sieben Kandidaten im
Wahlkreis 42, deren Bilder an der hellen Schulwand aufgehängt sind.
„Nikitin“, sagt sie zu ihren Freundinnen und tippt mit dem Finger immer
wieder auf das Gesicht des Parteilosen, ein Steuerfachmann von der Moskauer
Staatsuniversität.
„Nikitin, Nikitin, du sagst ständig Nikitin. Kennst du den überhaupt? Was
ist denn mit dieser Jekaterina, sie hat doch ein viel netteres Gesicht. Ich
weiß nicht recht, was wir hier sollen“, erwidert die Freundin. Die drei
laufen hinein ins Schulzimmer.
## Essensstände und Animationsprogramm
Danach wollen sie nach Hause zu Ljusja, der Tee sei sicher noch warm. „Ach,
die Wahlen“, sagt Ljusja, „Da gab es mein ganzes Leben lang noch nie eine
Auswahl. Ich hoffe, dass dieser Nikitin ganz gut ist.“ Sie klingt fast wie
Präsident Putin, der bei dieser Wahl, die als Stimmungstest für ihn gilt,
seine Stimme in Moskau ebenfalls einem Kandidaten gab, den er – laut
Interfax – nicht kennt. „Ich hoffe, er ist ein guter und ordentlicher
Mensch“, sagte Putin.
Der Tag ist nicht ungewöhnlicher als jeder Sonntag in der Stadt. Nur dass
in jedem Park, in jeder größeren Grünzone Bühnen stehen und Essensstände,
ein Animationsprogramm auf die Kinder wartet und Ratespiele für
Jugendliche. Moskau begeht den 872. Geburtstag.
Aber die Anspannung, die den Vorlauf dieser Wahl kennzeichnete, ist nicht
verschwunden. An der U-Bahn-Station Tschistyje Prudy verabschiedet sich ein
junger Mann, ein Skateboard in der rechten Hand, von seinen Kumpels. „Jetzt
erst mal eine Runde Schlaf“, ruft er diesen zu. Sechs Busse mit Polizisten
der Sondereinheit Omon stehen direkt neben der U-Bahn-Station im
Stadtzentrum. Ihre Aufgabe ist es nicht, Skateboardfahrer zurechtzuweisen.
Vor dem Wahllokal Nr. 11 wenige hundert Meter weiter laden Schauspieler die
Fußgänger ein, sich ihr Gesicht zu bemalen. Der Geburtstag der Stadt sei ja
ein Feiertag, meinen sie. Die Bankangestellte Swetlana geht hinein ins
Wahllokal. Ungefähr ein Dutzend Wähler warten in dieser Schule auf ihren
Stimmzettel. Sie sind alle über 40. Es ist Mittag, der Mann von der
Wahlkommission öffnet die Seite, auf der sich Swetlanas Name findet. Sie
ist bisher die einzige von insgesamt 20 auf dieser Seite, die einen
Stimmzettel entgegengenommen hat. Swetlana geht mit ihrem Stimmzettel in
die Wahlkabine, anschließend wirft sie diesen in die elektronische
Wahlurne, und die Zahl auf dem Display „201“ wechselt auf „202“.
„Die Stimmung in der Stadt ist nicht schlecht, und viele sind Bürgermeister
Sobjanin dankbar für die Modernisierung des Stadtbildes“ erklärt Kirill
Medwedjew, Sänger, Gitarrist und Poet der linken Rockgruppe „Arkadi Koz“.
„Nur wenige Menschen haben die Zeit, sich gegen steigende Tarife, gegen die
Zusammenlegung von Krankenhäusern und Rodungen von Parks einzusetzen“,
meint er. Hoffnung macht ihm ein wachsender Aktivismus vor Ort.
Einer, der nicht wählen wird, ist der 70-jährige pensionierte Dozent
Jewgeni. „Ich traue niemandem und schon gar nicht Computern“, begründet er
das unter Anspielung auf die elektronischen Wahlurnen, die die Stimmen
direkt einscannen und weiterverarbeiten. „Auch ich traue den elektronischen
Wahlurnen nicht“, erklärt der erfahrene Wahlbeobachter Sozialaktivist Ilja
Budraitskis gegenüber der taz. „Wir hatten als Wahlbeobachter in der
Vergangenheit mehrfach nach merkwürdigen Ergebnissen der elektronischen
Urnen eine Neuauszählung beantragt. Und beim Zählen von Hand hatte sich das
Ergebnis oft vom Ergebnis der elektronischen Urne unterschieden.“
8 Sep 2019
## LINKS
[1] /Aktivist-ueber-Regionalwahlen-in-Russland/!5623971
## AUTOREN
Bernhard Clasen
Inna Hartwich
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