# taz.de -- Lokaljournalismus in der Krise: Großer Bogen um die Provinz | |
> Lokalen Medien auf dem Land fehlt der Nachwuchs. Wenig Geld, fehlende | |
> Work-Life-Balance und scheinbare Perspektivlosigkeit schrecken ab. | |
Bild: Das Gute am Lokaljournalismus: Beim Kaninchenzüchterverein ist es immer … | |
MÜNCHEN/NÜRNBERG taz | Spricht Michael Busch über seinen Beruf, dann gerät | |
er ins Schwärmen, trotz alledem. „Man arbeitet in den vielfältigsten | |
Themenfeldern“, sagt der Lokaljournalist, „das reicht vom Karnickelverein | |
bis zum Besuch des Ministerpräsidenten im Landkreis.“ Und bei den | |
journalistischen Formen sei alles möglich, man könne sich da richtig | |
austoben – „Bericht, Reportage, Glosse, Kommentar“. | |
Busch ist seit vielen Jahren Journalist beim in Bamberg herausgegebenen | |
[1][Fränkischen Tag] und zuständig für die 23.000-Einwohner-Stadt | |
Herzogenaurach. Er sagt aber auch: „Die Arbeitsbelastung ist hoch, und es | |
gibt kein adäquates Geld.“ | |
Das sind zwei Gründe, warum sich immer weniger junge Menschen finden, die | |
als Journalisten für die oftmals kleinen und in der Provinz gelegenen | |
Lokalblätter arbeiten wollen. Busch erzählt, dass seine Zeitung jüngst eine | |
Volontärin oder einen Volontär für den lokalen Sportteil gesucht hat. Ganze | |
drei Bewerbungen gab es. | |
Vor 15 Jahren wäre das noch ein Vielfaches gewesen. „Früher suchte man nach | |
dem Besten der Besten“, meint er und fügt hart hinzu: „Und heute nach dem | |
Besten der Schlechten.“ Busch ist auch Vorsitzender [2][der Gewerkschaft | |
Bayerischer Journalistenverband (BJV)]. | |
## Gespaltener Arbeitsmarkt | |
Eine Fachtagung zum Lokalfunk in Nürnberg verdeutlichte die Misere. Das | |
Thema stand zwar nicht auf dem Programm, dennoch fand es immer wieder | |
seinen Weg auf die Podien. Sebastian Steinmayr etwa, Chefredakteur einer | |
Dienstleistungsgesellschaft (BLR), die Beiträge für lokale Privatradios | |
produziert, meinte: „Früher bekamen wir auf eine Stellenanzeige für ein | |
Volontariat 30 bis 40 Bewerbungen. Heute ist das ein sehr überschaubares | |
Maß. Es ist ein Kampf um die Köpfe.“ | |
Gerhard Kockert vom BR-Studio Franken in Nürnberg klagte: „Man erhält | |
wenige junge Leute, denn [3][denen ist auch die Work-Life-Balance | |
wichtig].“ Und Siegfried Schneider, Präsident der bayerischen | |
Landeszentrale für neue Medien und ehemals CSU-Politiker, stellte fest: | |
„Das ist nicht mehr die Generation Praktikum.“ | |
Generation Praktikum – so nannte man vor einem oder eineinhalb Jahrzehnten | |
jene Berufsanwärter, meist mit einem Hochschulabschluss, die sich in der | |
Medienbranche von einem Praktikum zum anderen hangelten, oft unbezahlt, und | |
auf eine Anstellung hofften. „Irgendwas mit Medien“ wollten sie machen, so | |
der geflügelte Spruch. Doch „irgendwas mit Medien“ ist vorbei, meint etwa | |
Sven Szalewa, der Vize-Leiter [4][der Deutschen Journalistenschule (DJS) in | |
München]. „Die überlegen sich heute sehr genau, was sie arbeiten wollen.“ | |
Die DJS sieht einen gespaltenen Arbeitsmarkt im Journalismus. Renommierte | |
Blätter wie etwa die Süddeutsche Zeitung, der Spiegel oder auch die | |
deutlich kleinere taz sowie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten | |
haben weiterhin keine Probleme, Nachwuchs zu finden. „Aber die | |
Regionalzeitungen in Bayern können meines Wissens ihre Plätze kaum füllen“, | |
sagt Szalewa. | |
## Verkrustete Strukturen | |
Wer gut ausgebildet ist, den zieht es an die Orte, an denen etwas los ist – | |
nach Berlin, Hamburg oder München. Und weniger nach Dingolfing, Deggendorf | |
oder Donauwörth. Dabei ist gerade auch auf dem Land guter Journalismus | |
wichtig. Es braucht unabhängige Rechercheure und Berichterstatter, die dem | |
Bürgermeister auf die Finger schauen, fachkundig über Sinn oder Unsinn | |
eines neuen Gewerbegebietes informieren oder auch den Alltagsrassismus in | |
kleinen Orten dokumentieren. | |
„Die Qualität leidet“, meint DJS-Mann Szalewa. Niemand will es so richtig | |
unter seinem Namen sagen – aber im Lokaljournalismus der Gegenwart bestehen | |
mitunter verkrustete, erstarrte Strukturen, oftmals berichten Journalisten | |
über 30 oder 40 Jahre über die immer gleichen Orte und Personen. | |
Medien, besonders Zeitungen, befinden sich in einem gewaltigen Umbruch, das | |
wird vielfach beschrieben. Viele Beobachter sehen einen dramatischen | |
Niedergang der Branche. Die Abonnentenzahlen gehen kontinuierlich zurück, | |
die Anzeigen bleiben aus. Für viele Jüngere ist Zeitung etwas von gestern, | |
angebliche Infos bekommt man gratis im Internet oder in den sozialen | |
Netzen. Welcher Studienabsolvent will also in eine Branche gehen, die ihre | |
Krise und den vermeintlichen Untergang selbst immer wieder beschreibt? | |
Davon hat Michael Husarek genug. „Die Branche hat sich selbst | |
kleingeredet“, sagt der Chefredakteur der [5][Nürnberger Nachrichten]. Er | |
kritisiert Chefredakteursrunden, bei denen sich die Redaktionsleiter | |
verschiedener Blätter austauschen, als „Selbsthilfegruppen“. Die Nürnberg… | |
Nachrichten erscheinen in 17 Lokaltiteln in weiten Teilen Mittelfrankens, | |
das reicht vom Altmühl-Boten bis zur Windsheimer Zeitung. Husarek meint: | |
„Wir müssen positiv für den Qualitätsjournalismus werben, in Zeiten des | |
Populismus ist er wichtiger denn je.“ | |
## Editoren gesucht | |
Bei der Journalistenausbildung verlangt Husarek mehr Ehrlichkeit: „Man darf | |
nicht jedem vorgaukeln, dass er der tolle Starschreiber wird.“ Gute Autoren | |
gebe es weiterhin genug. Womöglich wichtiger seien aber weitere | |
journalistische Arbeitsfelder: Sogenannte Editoren, die Beiträge | |
ansprechend und gut im Blatt platzieren. Und Journalisten, die sich mit den | |
neuen Medien auskennen und die Inhalte dort auf den verschiedensten Kanälen | |
spielen. | |
Ab Herbst möchten die Nürnberger Nachrichten ihre Ausbildung | |
dementsprechend differenzieren: Nach einem gemeinsamen Teil sollen die | |
Volontäre dann speziell in einem der Bereiche geschult werden. | |
Der Lokalredakteur und Gewerkschafter Michael Busch hingegen kommt immer | |
wieder auf die Bezahlung zu sprechen, die in den letzten Jahren deutlich | |
gesunken ist. Laut Tarifvertrag erhält ein Zeitungsredakteur im ersten | |
Berufsjahr 3.395 Euro brutto, die höchste Stufe beginnt nach zehn Jahren | |
mit 5.001 Euro. Allerdings: In Bayern etwa sind nur noch 40 Prozent der | |
Verlage tarifgebunden. | |
Die anderen handeln selbst die Gehälter mit der Belegschaft aus, in der | |
Regel sind sie deutlich niedriger. Busch weiß von langjährigen | |
Journalisten, die bei 3.400 Euro verharren, er spricht von | |
„Perspektivlosigkeit“. In vielen anderen Branchen „rauscht das Gehalt am | |
Journalisten vorbei“. | |
## Lufthansa statt Lokalblatt | |
Anstatt zu Medien würden junge Leute eher ins Marketing gehen. Laut dem | |
Internetportal [6][absolventa.de] liegt das Jahreseinstiegsgehalt im | |
Journalismus bei rund 35.000 Euro, im Marketing aber bei 45.750, und als | |
Ingenieur verdient man gar 52.000. | |
Journalisten würden auch immer wieder, so meint Busch, zu deutlich besser | |
zahlenden Unternehmen wechseln. Als Beispiele nennt er die Deutsche Bahn | |
und die Lufthansa, welche etwa ihre Kundenmagazine professionell gestalten. | |
Dass es Absolventen der Journalistenschule zu einer Lokalzeitung zieht, | |
erlebt Vize-Leiter Sven Szalewa nur selten. „Obwohl sie dafür sehr gut | |
geeignet wären. Denn sie können organisieren und crossmedial arbeiten, das | |
haben sie bei uns gelernt.“ Auch die DJS will aus der Misere helfen. | |
So soll noch in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit regionalen Medien ein | |
„DJS-Fellowship“ angeboten werden. Fertige Absolventen können drei Monate | |
lang bei den Medien arbeiten und erhalten in dieser Zeit das normale | |
Volontärsgehalt. Womöglich erfahren sie dann auch von den Vorzügen der | |
wenig beliebten Provinz. | |
25 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.infranken.de/regional/fraenkischertag/ | |
[2] https://www.bjv.de/ | |
[3] /Kolumne-Gehts-noch/!5524513 | |
[4] https://djs-online.de/ | |
[5] https://www.nordbayern.de/ | |
[6] https://www.absolventa.de/ | |
## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
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