| # taz.de -- Doğan Akhanlı über sein neues Buch: Gefängnis, Folter, Goethe-M… | |
| > Schriftsteller Doğan Akhanlı lebt im deutschen Exil und wird von Erdoğans | |
| > Leuten verfolgt. Doch seine Stimme ist laut. Nun wird er ausgezeichnet. | |
| Bild: Am Mittwoch bekommt Doğan Akhanlı die Goethe-Medaille. Ihm kommt das �… | |
| Dreimal in seinem Leben wurde Doğan Akhanlı in der Türkei festgesetzt. Das | |
| erste Mal als Gymnasiast mit 18 Jahren. Er will sich eine Zeitung am Kiosk | |
| kaufen. Eigentlich ein harmloser Vorgang. Doch dort lauert die Polizei. | |
| Resultat: 11 Tage Folter, vier Monate Haft. Das prägt. 1980 putscht dann | |
| das Militär in der Türkei. Akhanlı lebt fortan unter einer falschen | |
| Identität. Tagsüber baut er Musikinstrumente, nachts schreibt er | |
| Flugblätter gegen die Diktatur. Er lernt seine künftige Partnerin Ayşe | |
| kennen. | |
| 1985 wird das Paar mit ihrem 16 Monate alten Sohn verhaftet. Erneut Folter, | |
| zweieinhalb Jahre Haft. 1991 gelingt der Familie mit inzwischen zwei | |
| Kindern die Flucht nach Deutschland. 1998 bürgert ihn die Türkei aus, 2001 | |
| nimmt Akhanlı die deutsche Staatsbürgerschaft an. 2010 reist der Autor und | |
| Menschenrechtsaktivist in die Türkei. | |
| Er will seinen Vater ein letztes Mal sehen, hat Heimweh. Bei der Einreise | |
| wird er verhaftet. Er soll 1989 an einem Raubüberfall beteiligt gewesen | |
| sein, so die Behauptung. Das schien selbst der damaligen türkischen Justiz | |
| etwas zu gewagt fabuliert. Akhanlı wird nach viermonatiger | |
| Untersuchungshaft freigelassen und freigesprochen. Rückkehr ins deutsche | |
| Exil. Doch Erdoğans Leute arbeiten im Stillen weiter. Sie lassen | |
| [1][Akhanlı 2017 in einer Aufsehen erregenden Aktion im spanischen Granada | |
| per Interpol] verhaften. Die EU weist den türkischen Strafbefehl | |
| schließlich zurück. | |
| taz am wochenende: Herr Akhanlı, hat man sich für den konstruierten | |
| Haftbefehl und die Festsetzung in Granada später bei Ihnen aus der Türkei | |
| entschuldigt? | |
| Doğan Akhanlı: Erdoğan kennt das Wort Entschuldigung nicht. Man müsste es | |
| auch erst ins Türkische übersetzen. Keine türkische Regierung hat sich | |
| bislang für den [2][Völkermord an den Armeniern 1915] entschuldigt. | |
| Hat man denn die fingierten Behauptungen gegen Sie mittlerweile in der | |
| Türkei fallen gelassen, was wissen Sie darüber? | |
| Nein und ja. Franz Kafka meinte in seinem Roman „Der Prozess“, für | |
| Angeklagte sei die Verschleppung eines Urteils das Beste. Juristisch | |
| gesehen ist mein Prozess seit Langem in dieser Phase. Angeblich soll im | |
| Oktober 2019 etwas geschehen. Aber ich vermute, dass die türkische Justiz | |
| mit ihrer erfinderischen Kreativität noch lange nicht am Ende ist. | |
| Was glauben Sie, warum lässt Präsident Erdoğan jemanden wie Sie, der seit | |
| Jahrzehnten [3][als Schriftsteller] und Bürgerrechtler friedlich im | |
| deutschen Exil lebt, verfolgen? | |
| Aus Angst vor unseren Stimmen und aus Hass. | |
| Warum akzeptiert Erdoğan Ihre deutsche Staatsbürgerschaft nicht, das bringt | |
| ihm doch nur außenpolitischen Ärger ein? | |
| Das ist die traditionelle Arroganz des Despoten. Er muss seine Macht | |
| permanent demonstrieren. Er kann außer seiner eigenen keine andere Meinung | |
| ertragen. | |
| Fühlen Sie sich in Deutschland sicher? | |
| Einerseits: ja. Andererseits gibt es aber hier diese „besorgten“ oder | |
| „wütenden“ Bürger, die sich derzeit verstärkt positiv auf die NS-Zeit | |
| beziehen. Sie agieren menschenfeindlich, sprechen bei 6 Millionen | |
| Holocaust-Opfer von einem „[4][Vogelschiss der Geschichte]“. Sie agitieren | |
| gegen „Ausländer“, und manchmal morden sie auch. | |
| Dieser Tage erscheint im Sujet Verlag Ihr Roman [5][„Madonnas letzter | |
| Traum“]. Worum geht es in dem Buch? | |
| Es ist eine Hommage an meine Mutter und an die historische Liebesgeschichte | |
| von Sabahattin Ali, seiner „Madonna im Pelzmantel“. Das Buch ist eine | |
| Spurensuche in Deutschland, Polen, Rumänien und in der Türkei – von der | |
| Gegenwart bis zur NS-Zeit. Ich habe mit mir selbst als „namenlosen Leser“ | |
| eine Romanfigur entwickelt und bin Alis jüdischer Protagonistin Maria Puder | |
| gefolgt. | |
| War Maria Puder nur eine Romanfigur, oder hat sie vielleicht wirklich | |
| gelebt? Ist sie unter den jüdischen Flüchtlingen der „Struma“ gewesen, dem | |
| Schiff, das 1942 vor Istanbul versenkt wurde? Ich wollte die Romanfigur der | |
| Maria Puder um eine reale historische Komponente erweitern. | |
| Warum dieses Spiel mit diesem Schriftsteller und seinem historischen Roman? | |
| „Die Madonna im Pelzmantel“ wurde 1943 veröffentlicht. Ali erzählt von der | |
| Liebesgeschichte zwischen einem türkischen Mann und einer jüdischen Malerin | |
| in Berlin. Sabahattin Ali wurde 1948 an der türkisch-bulgarischen Grenze | |
| bei der Flucht ins Ausland von einem früheren Offizier im Auftrag des | |
| türkischen Geheimdienstes erschlagen. Der Täter sagte später, er habe Ali | |
| ermordet, weil dieser sein „Nationalgefühl“ verletzt habe. | |
| Ali und seine Romanfigur Maria ermöglichen es mir, über Grenzen und Zeiten | |
| hinweg zu denken. Ich kann so von verschiedenen Formen der Verfolgung und | |
| staatlicher Gewalt in der Geschichte literarisch erzählen. Auch etwa, wie | |
| beachtlich die Transformation von der NS-Diktatur zur Demokratie in | |
| Deutschland ist, während in der Türkei weiterhin das Vergessen Gesetz ist. | |
| Wofür stehen Sabahattin Ali und sein Werk in der türkischen | |
| Literaturgeschichte? | |
| „Die Madonna im Pelzmantel“ ist eines der bedeutendsten türkischen | |
| Prosawerke des 20. Jahrhunderts, derzeit ein Bestseller. Als ich meinen | |
| Roman schrieb, war Ali zwar bekannt, aber nur in kleinen Kreisen. Ich habe | |
| intensiv zu ihm recherchiert, sein Werk gelesen. So wurde er zu einer | |
| Romanfigur von mir. Er ist eine Person, der ich mich sehr nahe fühle, die | |
| mich sehr geprägt hat. | |
| Nächste Woche werden Sie als Autor und Bürgerrechtler in Weimar mit der | |
| Goethe-Medaille ausgezeichnet? Was bedeutet Ihnen dieser Preis? | |
| Es ist eine überraschende und wertvolle Anerkennung meiner literarischen | |
| und politischen Arbeit. Das diesjährige von Goethe entlehnte Motto | |
| „Dichtung und Wahrheit“ finde ich sehr passend. Aber vieles kommt mir auch | |
| surreal vor. Ohne die sinnlose Verfolgung durch den türkischen Staat, aber | |
| auch ohne die fantastische Solidarität aus Deutschland, Spanien und der | |
| Türkei wäre mir dieser Preis nicht zugesprochen worden. Woher sollte die | |
| Goethe-Welt, das Auswahlkomitee von mir wissen? Die Verfolgung hat meine | |
| Stimme also nicht ersticken können, sie hat meinem Wort dauerhaft eher mehr | |
| Gewicht gegeben. | |
| Was glauben Sie: Werden türkische Medien über die Preisverleihung in Weimar | |
| berichten? | |
| Ich vermute, dass die drei Tagezeitungen Cumhuriyet, Evrensel und Birgün | |
| dies tun werden. Die Staatspresse und andere Medien werden schweigen. | |
| 27 Aug 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=lppk7XonYSM | |
| [2] /Jahrestag-des-Genozids-an-den-Armeniern/!5586437 | |
| [3] /Portraet-des-Schriftstellers-Doan-Akhanl/!5440320 | |
| [4] /Kommentar-Gaulands-Vogelschiss/!5507575 | |
| [5] http://sujetverlag.de/buecher/dogan-akhanli-madonnas-letzter-traum/ | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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