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# taz.de -- Nachruf auf Immanuel Wallerstein: Mehr Aufklärer als Antiimperiali…
> Der Soziologe Immanuel Wallerstein ist im Alter von 88 Jahren gestorben.
> Er gilt als Begründer der Weltsystem-Theorie.
Bild: Immanuel Wallerstein (1930-2019) begründete die Weltsystem-Theorie
Mit dem Namen [1][Immanuel Wallerstein]s verbindet sich die historische
Weitung der klassischen Imperialismusforschung. 1930 in New York geboren,
gilt der Soziologe und Historiker als Begründer der sogenannten
Weltsystemanalyse. Nach einer Phase in Kanada lehrte er ab 1976 als
Professor an der New Yorker Binghamton University. Über die Emeritierung
hinaus leitete er dort bis 2005 das von ihm gegründete Fernand Braudel
Center.
Wallerstein sympathisierte in den 1960er Jahren mit der Neuen Linken. Viele
in den westlichen Industrienationen kritisierten die ungleiche Entwicklung
der internationalen Staatenwelt. Mitte der 1960er hatten sich die
Theoretiker der Dependenz formiert. Doch Wallerstein schienen sie die
Ursachen für Abhängigkeiten und unterschiedliche Entwicklungen zu
schematisch darzustellen. Die Dependenzler sahen die Länder des Südens in
einer im Grunde deterministischen ökonomischen Abhängigkeit zum
kapitalistischen Norden. Sie neigten dazu, die feinen Unterschiede zu
ignorieren.
Wallerstein hingegen plädierte mit der französischen Annales-Schule für
eine größere historische Offenheit, auch gegenüber der Herausbildung
verschiedener gesellschaftlicher Mentalitäten. Er beschäftige sich sehr
intensiv mit den Staaten des postkolonialen Afrikas, ebenso mit der
längeren Entwicklung eines auf Tausch basierenden kapitalistischen
Weltwirtschaftssystems. 1974 erschien sein erster Band von „The Modern
World-System“, dem er bis 2011 drei weitere folgen ließ.
Netzwerkökonomien und der ungleiche Tausch
Wallerstein untersuchte die frühen Netzwerkökonomien und welche Rolle
ungleicher Tausch und globale Handelsniederlassungen von Niederländern,
Briten und später Nordamerikanern bei der Herausbildung ihrer hegemonialen
Stellung zukamen.
Er suchte wie die Theoretiker der Dependenz nach den Ursachen für den
starken Nord-Süd-Gegensatz, die mit dem Schlagwort des Kolonialismus nur
unzureichend begriffen werden können. Sollte „der“ Süden tatsächlich in
einem reinen Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Norden stehen, oder war
er mehr als ein billiger Rohstoff und Arbeitskräftelieferant?
Viele Staaten ordneten sich bereits im letzten Jahrhundert irgendwo
zwischen Zentrum und Peripherie ein, waren weder dem einen noch dem anderen
zuzuordnen. Manches scheint wie eine Vorwegnahme von Antonio Negris und
Michael Hardts im Jahr 2000 veröffentlichter „Empire-Theorie“, auch wenn
Wallerstein andere Begriffe favorisierte. Neomarxisten wie Louis Althusser
oder Nicos Poulantzas prägten in den 1970er den Begriff der
„imperialistischen Kette“, um auf die Beweglichkeit des kapitalistischen
Welt-Staatensystems hinzuweisen.
Rassismus ohne Rassen
Negri und Hardt beschreiben später Ökonomien, die den Nationalstaat und
seine tradierten Regulationsmodelle teilweise hinter sich lassen.
Wallersteins Forschung erscheint so als ein fruchtbarer Ansatz unter den
Kapitalismustheorien. Zum Dogma taugt die Weltsystem-Theorie aber ebenso
wenig wie seine doch mitunter ökonomistisch klingenden Tageseinlassungen.
1988 veröffentlichte er mit Étienne Balibar den Band „Rasse, Klasse,
Nation. Ambivalente Identitäten“. Dieser verdeutlicht, wie ein Rassismus
ohne Rassen, der institutionelle Rassismus, funktioniert. Und wie wichtig
Verfassung, Öffentlichkeit und staatliches Handeln jeweils sind.
Wallerstein versteht das Volk oder die Nation als soziale Konstruktionen:
„Es sind niemals ursprüngliche Gemeinschaften, und von daher dient jede
historische Beschreibung ihrer Struktur und ihrer Entwicklung durch die
Jahrhunderte hindurch notwendigerweise einer Analyse der Gegenwart.“
Immanuel Wallerstein starb am 31. August im Alter von 88 Jahren.
2 Sep 2019
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[1] /Essay-Russische-Krisenpolitik/!5021221
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Soziologie
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Philosophie
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