# taz.de -- Possehl-Preis für Doris Salcedo: Alles, was weh tut | |
> Krieg und Gewalt – damit beschäftigt sich die kolumbianische Künstlerin | |
> Doris Salcedo. Jetzt wurde sie in Deutschland dafür ausgezeichnet. | |
Bild: Die Werke von Doris Salcedo klagen an und sollen helfen, kolumbianische G… | |
Bogotá taz | Schmerz, Trauma, Verlust und die Leere, die zurückbleibt – | |
davon handeln [1][Doris Salcedos Plastiken und Installationen]. Auch in | |
ihrer Familie sind Dutzende Menschen im bewaffneten Konflikt verschwunden, | |
[2][der über 50 Jahre in Kolumbien wütete]. Am Samstag erhielt die | |
61-Jährige [3][den ersten Possehl-Preis] der gleichnamigen Lübecker | |
Stiftung, der mit 25.000 Euro dotiert ist. Salcedo findet „für politische | |
Herrschaftssysteme, Rassismus und systematische Ungleichbehandlungen | |
poetische Bilder“, begründet die Jury. | |
Bis 3. November ist mit „Tabula Rasa“ in der Kunsthalle St. Annen in Lübeck | |
ihre erste Einzelausstellung in Deutschland zu sehen. Salcedo setzt sich | |
darin mit Vergewaltigungen auseinander, die viele Frauen während des Kriegs | |
erlitten haben. | |
Doris Salcedo ist eine der bedeutendsten Künstler*innen Lateinamerikas. Die | |
Frau mit dem widerspenstigen grauen Lockenkopf ist tief mit ihrem | |
Heimatland verwurzelt. Alle ihre Werke, selbst die für das Guggenheim | |
Museum in New York und den riesigen Riss für die Turbinenhalle der Tate | |
Modern in London, produziert sie mit ihrem Team in Kolumbien. | |
Das Kollektive im Entstehungsprozess ist typisch für Salcedo – nicht nur, | |
weil die Künstlerin wegen einer Netzhauterkrankung praktisch blind ist. Es | |
ist Teil des Konzepts ihrer Installationen. Wie bei „Quebrantos“ (Brüche), | |
das sie im Juni aus Protest gegen das Morden an | |
Menschenrechtsverteidiger*innen auf der Plaza de Bolivar im Herzen Bogotás | |
schuf. Über 100 Freiwillige aus dem ganzen Land, darunter Menschen, die mit | |
dem Tode bedroht werden, Kriegsopfer und Studierende, zertraten | |
Glasscheiben und legten aus den Scherben die Namen von 125 Ermordeten. | |
## Auf der falschen Seite | |
In ihrer Heimat gibt es auch Widerstand gegen sie. Als „nicht wirklich | |
weiße“ Frau ohne vornehme Abstammung befinde sie sich in der rassistischen, | |
frauenfeindlichen Klassengesellschaft Kolumbiens auf der falschen Seite, | |
sagte Salcedo der Zeitschrift „Revista Arcadia“. | |
„Kolumbien wollte einen zweiten Botero“, sagte sie, in Anspielung auf den | |
erfolgreichen Künstler, der für seine farbenfrohen Bilder mit prallen | |
Menschen bekannt ist, „ein Bild, das man sich über den Kamin hängen kann – | |
kein Werk, das an ein Massengrab oder an einen gevierteilten Menschen | |
erinnert. Das wollen wir nicht sehen.“ | |
Das Rohe, Verletzte spürt man bei ihren Werken instinktiv. Um ihre ganze | |
Tragweite zu erfassen, muss man mehr erfahren. Das wird deutlich bei | |
„Fragmentos“: Im Friedensvertrag zwischen Regierung und Farc-Guerilla wurde | |
2016 bestimmt, dass aus den abgegebenen Waffen der Kämpfer*innen ein | |
Kunstwerk werden soll. 8.000 Waffen wurden eingeschmolzen. | |
Aus den 37 Tonnen Metall ließ Salcedo Bodenplatten gießen. Anschließend | |
hämmerten 20 Frauen ihre Wut und ihren Schmerz in diese hinein. Sie waren | |
Opfer sexueller Gewalt geworden – durch die Guerilla, aber auch durch | |
offizielle Sicherheitskräfte und Paramilitärs. | |
Die Platten liegen seit Dezember als Fußboden der Ruine einer Stadtvilla, | |
wenige Schritte vom Präsidentenpalast entfernt. Die Geschichte von | |
„Fragmentos“ ist dort in einem Dokumentarfilm zu sehen, in dem die Frauen | |
auch vom Verzeihen und Weiterleben sprechen. Danach können die | |
Besucher*innen durch die zerborstenen Mauern in kleine Gärten treten. | |
Manche weinen. | |
8 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tate.org.uk/art/artists/doris-salcedo-2695 | |
[2] /Sonderjustiz-und-Frieden-in-Kolumbien/!5522187 | |
[3] https://www.possehl-stiftung.de/de/wie-wir-gestalten/auszeichnungen-der-pos… | |
## AUTOREN | |
Katharina Wojczenko | |
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Doğan Akhanlı | |
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