# taz.de -- Abrüstung in Kolumbien: Zurück zu den Waffen | |
> Kolumbiens Regierung torpediert das Friedensabkommen mit der Guerilla. | |
> Aus Frust hat sich eine Splittergruppe jetzt neu bewaffnet. | |
Bild: Aus der Traum vom guten Leben: Eine junge Farc-Soldatin geht zurück in d… | |
Eine Splittergruppe der Farc-Guerilla hat knapp drei Jahre nach dem | |
Friedensabkommen mit der kolumbianischen Regierung wieder die Waffen | |
aufgenommen. Ausgerechnet Luciano Marín Arango alias Iván Márquez, der | |
[1][Chefunterhändler bei den Friedensverhandlungen in Havanna], ist ihr | |
Sprecher. Unter den 16 uniformierten Männern und Frauen sind sechs weitere | |
Kommandanten der alten Farc, die jetzt die neue sein will. Deren | |
Videobotschaft hat am Donnerstag Kolumbien erschüttert. Es ist jedoch ein | |
Schritt, der seit Márquez' Untertauchen in der Luft lag. | |
Die nun offizielle Abspaltung ist ein Rückschritt für den Friedensprozess – | |
und könnte gleichzeitig eine Chance sein. Die Argumente, die Márquez nennt, | |
sind leider stichhaltig: Die kolumbianische Regierung hält sich nicht an | |
ihren Teil des Friedensabkommens. Die internationalen Überwachungsorgane | |
haben die Regierung immer wieder dazu ermahnt, auch ein Teil des Kongresses | |
hat dies getan. Präsident Iván Duque, schon immer ein Kritiker des | |
Abkommens seines Vorgängers Juan Manuel Santos, hat die Umsetzung | |
torpediert und auch die Finanzen dafür zusammengestrichen. | |
Die Vereinten Nationen haben die Regierung mehrfach aufgefordert, das zu | |
tun, was Márquez fordert: die Menschenrechtsverteidiger und ehemaligen | |
Farc-Kämpfer*innen besser zu schützen. Hunderte wurden bislang getötet. | |
Nach dem Abzug der Farc hat die Regierung wertvolle Zeit verstreichen | |
lassen. Auf den Gebieten haben sich andere bewaffnete Gruppen, Paramilitärs | |
und Drogendbanden, breitgemacht und kämpfen um die Vorherrschaft. | |
Márquez' Analyse stimmt also. Nur seine Schlussfolgerung ist falsch. Mit | |
der Rückkehr zu den Waffen werden er und seine Mitstreiter*innen nicht ihr | |
Ziel erreichen – auch in den vergangenen 50 Jahren haben sie das als viel | |
größere Farc-Guerilla nicht geschafft. Genauso wenig kann die Regierung mit | |
Waffen den Kampf gewinnen. Präsident Iván Duque nennt die Gruppe um Márquez | |
eine „kriminelle Bande“ von „Narco-Terroristen“ und kündigt Militärak… | |
an. Das wird nicht fruchten. Das ganze bewaffnete und kriminelle Panorama | |
in Kolumbien hat sich in den knapp drei Jahren weiterentwickelt. | |
Die neue Farc ist anders. Sie wird sich mit der ELN-Guerilla | |
zusammenschließen, einer diffusen Gruppe, die am Drogenhandel beteiligt ist | |
und oft Attentate auf Ölpipelines verübt. Vor allem, damit hat Duque recht, | |
hat die Splittergruppe Venezuela als Rückzugsgebiet. Von dem | |
selbsternannten Übergangspräsidenten Juan Guaidó kann Duque nicht ernsthaft | |
Unterstützung erwarten, Nicolás Maduro und er sind sich spinnefeind. | |
Trotzdem birgt die neue Wendung eine Chance. Wenn die Duque-Regierung mit | |
vereinter internationaler Unterstützung endlich das Versprochene anpackt. | |
Allem voran die Landreform, die jahrzehntealtes Unrecht beseitigen soll, | |
die Substitutionsprogramme für Koka-Bauern, den Ausbau der Infrastruktur | |
und vor allem die Verbesserung der Sicherheitslage. Duques erste Reaktionen | |
machen wenig Hoffnung darauf. Internationaler Druck und Geld wäre aber in | |
Kolumbien erfolgreich – anders als in Brasilien. Deutschland, die EU und | |
die Vereinten Nationen haben bei allen Parteien einen sehr guten Ruf – der | |
eigene Staat oftmals nicht. | |
Die kolumbianische Gesellschaft, das zeigte sich am Donnerstag, hat sich | |
gewandelt. Immer mehr Menschen demonstrieren für das einst so umstrittene | |
Friedensabkommen, eine breite Mehrheit will nicht zurück in die | |
Vergangenheit. Am Donnerstag taten viele, was Präsident Duque versäumte: | |
Sie sprachen den mehr als 90 Prozent der 13.000 ehemaligen | |
Farc-Kämpfer*innen Mut zu, die sich ans Abkommen halten. Diese Menschen | |
wollen nicht wieder zurück in den Busch, sie haben Familien gegründet, auch | |
ohne das Leben, das ihnen versprochen wurde. | |
Die Farc-Partei indessen hat sich von den Abtrünnigen distanziert und zum | |
Friedensprozess bekannt. Durch den schmerzhaften Bruch ist sie innere | |
Widersacher losgeworden. Es fehlt aber ein überfälliger Schritt: der alte | |
Name muss weg. | |
30 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Wojczenko | |
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