# taz.de -- Kommunalwahlen in Kolumbien: Politik bleibt lebensgefährlich | |
> In Kolumbien finden Kommunalwahlen statt. 22 Kandidat*innen wurden | |
> bereits umgebracht. Aber es gibt auch Hoffnung. | |
Bild: Angehörige der ermordeten Bürgermeisterkandidatin Karin García nach ih… | |
BOGOTÁ taz | Vor wenigen Tagen war Luz Marina Giraldo (42) noch voller | |
Optimismus und machte allein auf dem Pferd der Nachbarn Wahlkampf in den | |
Weilern von Mesetas, einer ländlichen Gemeinde im Departamento Meta. Sie | |
wollte für die Farc-Partei in den Gemeinderat einziehen, sich für bessere | |
Bildung einsetzen. „Dieses Land hat so viel Geld für Krieg ausgegeben, aber | |
unsere Kinder auf dem Dorf haben keine Tische in der Schule“, sagte sie der | |
taz. | |
Am Donnerstag kamen ein oder mehrere vermummte Männer in das Haus von | |
Giraldo und ihrem Verlobten Alexander Parra in der | |
Wiedereingliederungssiedlung für ehemalige Farc-Kämpfer*innen. Sie | |
ermordeten Parra, der sich wie Giraldo in der Friedens- und | |
Versöhnungsarbeit engagierte. Es ist das erste Mal, dass ein ehemaliger | |
Guerillero in einer dieser besonders gesicherten Siedlungen ermordet wurde. | |
Die Farc-Partei sieht das Verbrechen eindeutig in Zusammenhang der Wahl. | |
Nach Zeitungsberichten wurde auch Kandidatin Giraldo bei dem Attentat | |
verletzt. Es war bis Samstagabend nicht möglich, mit ihr zu sprechen. | |
Am Sonntag sind in Kolumbien Kommunal- und Regionalwahlen. Es sind die | |
ersten seit dem [1][Friedensabkommen] zwischen der Farc-Guerilla und dem | |
Staat. Insgesamt etwa 117.000 Kandidat*innen wollen in den Departamentos, | |
Städten und Gemeinden mitregieren oder diese anführen. | |
## Mehr Gewalt als Folge des Friedensprozesses | |
Doch wer Politik machen will, lebt in Kolumbien weiter gefährlich. Es gab | |
Attentate auf Parteizentralen. Kandidat*innen wurden bedroht, angegriffen, | |
entführt, mindestens 22 ermordet. Es traf Parteien aller Richtungen. | |
Der bekannteste Fall war der von [2][Karina García], die als erste Frau | |
Bürgermeisterin von Suárez werden wollte, einer Gemeinde in einer der | |
gefährlichsten Regionen des Landes. Sie wurde im September zusammen mit | |
sechs Begleiter*innen bei einem Attentat ermordet. | |
Nach den Analysen der unabhängigen kolumbianischen Stiftung Frieden und | |
Versöhnung ([3][Pares]) hat die Gewalt im Wahlkampf im Vergleich zu den | |
letzten Kommunal- und Regionalwahlen im Jahr 2015 zugenommen. Das ist eine | |
Folge des Friedensprozesses. Seit dem Friedensabkommen ist die politische | |
Landschaft in Kolumbien vielfältiger und das ganze Land politischer | |
geworden. Immer mehr Menschen trauen sich, für ihre Rechte und Anliegen | |
politisch zu kämpfen. | |
Das ist jedoch eine Gefahr für die alteingesessenen Mächtigen und ihre | |
Strukturen in den Regionen. Sie bekämpfen ihre politischen Gegner*innen mit | |
Gewalt – bis hin zum Mord per Auftragskiller. „In 11 der 32 Departamentos | |
sind die Clans so stark, dass die Wahlen unnötig sind, weil klar ist, wer | |
gewinnt“, sagt Ariel Ávila, Subdirektor der Stiftung Pares und wohl der | |
bekannteste Politikwissenschaftler des Landes. Seit Monaten recherchieren | |
er und seine Kolleg*innen dazu. Sie haben tausend Hinweise erhalten. | |
## „Wir Frauen wollen endlich Zugang zur Macht“ | |
Wahlen bedeuten in Kolumbien viel Geld und sind ein Nährboden für | |
Korruption. Die Wahlkämpfe sind teuer, eine staatliche Parteienfinanzierung | |
gibt es nicht. Eine Wahlreform, die das ändern sollte, scheiterte im | |
Parlament. Und Korruption bleibt meist straffrei. | |
Doch es gibt Gegenbewegungen. In Medellín, der zweitgrößten Stadt, tritt | |
eine politische Frauen-Bewegung an, um als erste im Land mit einer | |
Kollektivliste in den Stadtrat einzuziehen. „[4][Estamos Listas]“ heißt | |
sie, „Wir sind bereit“. Geboren wurde die Bewegung im Jahr 2017. Die | |
Mehrheit im konservativen Medellín stimmte damals beim Volksentscheid gegen | |
das Friedensabkommen mit der Farc-Guerilla. Aus Frust über dieses Ergebnis | |
beschlossen fünf Frauen, sich künftig politisch in ihrer Stadt zu | |
engagieren. | |
Die mittlerweile über 2.000 weiblichen Mitglieder der Bewegung – von der | |
Bäuerin bis zur Uni-Professorin – haben per Online-Wahl zwölf Kandidatinnen | |
bestimmt. Ohne personalisierten, teuren Wahlkampf, sondern mit einer | |
wachsamen Eule auf dem Stimmzettel wollen sie mindestens 3 der 21 Sitze im | |
Stadtrat erringen. Sie finanzieren sich über den Verkauf von Tüchern, | |
Armbändern und Tassen mit Eulen-Motiv, Benefizkonzerte und Kleinspenden. | |
Um unabhängig die Stadtregierung kontrollieren zu können, haben sie bewusst | |
keine Bürgermeister-Kandidatin aufgestellt. Mit einem neuen Politikstil | |
wollen sie sich für mehr Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und gegen die | |
zunehmende Gewalt gegen Frauen einsetzen. „Wir Frauen wollen endlich Zugang | |
zur Macht bekommen, um Entscheidungen zu treffen, die helfen, die Kluft | |
zwischen den Geschlechtern zu schließen“, sagt Listenerste Dora | |
Saldarriaga. | |
## Wo steht die Farc in den Gemeinden wirklich? | |
Wer am Ende in Kolumbien gewinnen wird, ist schwer zu sagen, meint Victor | |
Barrera. Er ist bei der Organisation Cinep Berichterstatter für die | |
internationalen Beobachter zum Punkt politische Teilhabe im | |
Friedensabkommen. Das hängt vor allem mit dem Boom der Allianzen bei den | |
diesjährigen Wahlen zusammen. Kandidat*innen werden häufig von drei und | |
mehr Parteien unterstützt. „Alle Parteien werden sagen, dass sie gewonnen | |
haben“, sagt Barrera. | |
Für die Farc-Partei sind die Kommunalwahlen eine Feuerprobe. Bei den | |
Parlamentswahlen 2018 garantierte der Friedensvertrag ihr Sitze, ohne die | |
es die Partei niemals ins Parlament geschafft hätte. Bei den Regionalwahlen | |
gibt es keine Garantie. Von den 308 Kandidat*innen sind nur ein Drittel | |
ehemalige Kämpfer*innen. Bemerkenswert ist, dass auch einige Opfer der Farc | |
unter den Kandidat*innen sind – die sich mit dem sozialen Schwerpunkt der | |
Partei identifizieren und an einem neuen Kolumbien mitarbeiten wollen. | |
Wahrscheinlich werden die Farc-Kandidat*innen aber nur wenige Sitze in | |
kleinen Gemeinden erringen, schätzt Víctor Barrera. Er begründet dies auch | |
damit, dass andere Parteien in den meisten Fällen nicht mit der Partei der | |
ehemaligen Guerilla zusammenarbeiten wollen – aus Angst um ihr Image bei | |
der Wählerschaft oder um die eigene Sicherheit. Das jüngste Attentat auf | |
Luz Marina Giraldo und ihren Verlobten werden sie wohl als Bestätigung | |
dafür sehen. | |
27 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Friedensprozess-in-Kolumbien/!5353839 | |
[2] /Wahlkampf-in-Kolumbien/!5623115 | |
[3] https://pares.com.co/ | |
[4] https://estamoslistas.com/ | |
## AUTOREN | |
Katharina Wojczenko | |
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