Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Museumskurator zu Kolumbiens Frieden: „Waffen niederlegen reicht …
> Trauma und Salsa: Alejandro Martín ist Kurator in Cali, Kolumbiens
> drittgrößter Stadt. Ein Gespräch über das Erinnerungsprojekt „La
> carretera al mar“.
Bild: Straßenbesetzung in Buenaventura: 2017 gab es hier einen dreiwöchigen G…
taz: Herr Martín, es macht den Eindruck, dass das Museum La Tertulia
regelmäßig mit den ärmeren Gemeinden in Cali kooperiert.
Alejandro Martín: Zunächst einmal sind wir ein in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts gegründetes Museum, das vor allem moderne kolumbianische
und lateinamerikanische Kunst präsentiert. Aber es stimmt, dass wir die
Bewohner der Stadt oft miteinbeziehen. Eine aktuelle Ausstellung zeigt etwa
Fundstücke des Museo Popular zur Geschichte von Siloé, eines der
stigmatisiertesten Viertel von Cali. Wir laden auch Schulklassen aus
ärmeren Nachbarschaften zu uns ins Museum ein.
Zusammen mit dem Goethe-Institut haben Sie die Projektwoche „La carretera
al mar“ („Die Straße zum Meer“) ausgerichtet. Dazu gehört eine Ausstell…
in der es um die Zukunft der Erinnerung geht – angesichts von
Gewalterfahrungen auf dem ganzen Kontinent. Auch da kommen viele Betroffene
zu Wort.
Am interessantesten an dem Projekt finde ich, dass es international und
fächerübergreifend angelegt ist. Künstler treffen auf Aktivisten,
Anthropologen auf Zeitzeugen, immer wieder kommt die Zivilbevölkerung zu
Wort. Man muss das Ganze im Kontext mit dem Friedensabkommen sehen: Dort,
wo sich die [1][Farc-Guerilla zurückgezogen hat], sind zum Teil rechtsfreie
Räume entstanden und Aktivisten, die sich vor Ort für die Umwelt, für
Menschen- oder Landrechtsfragen engagieren, werden zunehmend bedroht, viele
sogar ermordet.
Die Gewalt gegen Aktivisten hat zugenommen?
Ja. Und dieses zielgerichtete Morden durch paramilitärische Banden ist
besorgniserregend. Letztlich beruht auch diese besondere Form der Gewalt
auf der strukturellen Ungleichheit in Kolumbien. Wir haben es mit einem
doppelten Kampf zu tun: Um die Gewalt zu überwinden, reicht es nicht, die
Waffen niederzulegen. Es müssen auch die historischen Ungerechtigkeiten und
sozialen Ungleichheiten überwunden werden, die seit der Sklaverei bestehen.
Immerhin regt sich Widerstand gegen die Verhältnisse. In der Hafenstadt
Buenaventura gab es 2017 zum Beispiel einen dreiwöchigen Generalstreik, den
mehrere Videoarbeiten in der Ausstellung aufgreifen.
In Cali wie in seiner Nachbarstadt Buenaventura am Pazifik ist ein großer
Teil der ärmeren Bevölkerung dunkelhäutig. Die in den letzten Jahren
ausgebaute Verbindungsstraße zwischen Cali und Buenaventura, die
titelgebende „Straße zum Meer“, war immer auch ein Versprechen auf
Wohlstand und Fortschritt. Doch vielen hat sie gar nichts gebracht. Der
Containerhafen von Buenaventura prosperiert, drumherum leben die meisten
aber weiterhin in Armut.
Als Besucher bin ich aber zumindest von Cali positiv überrascht: Die Stadt
ist relativ grün, die Menschen sind ausgesprochen freundlich.
Das ist das Doppelgesicht Calis: Es scheint ruhig, ist es aber nicht. Für
mich ist Cali trotz ihrer liebenswerten Seiten eine Stadt mit einer dunklen
Energie und einem schweren Trauma. Das Kokaingeschäft hat die Stadt
korrumpiert, weil es so lange die ganze Wirtschaft alimentiert hat. Der
Boom Calis hat in den 1960er Jahren begonnen, Menschen aus aller Welt kamen
in die Stadt und später auch der Salsa. In den achtziger Jahren
überschwemmte Cali dann das Geld der Narcos, bevor härter gegen die
Drogenbosse vorgegangen wurde. Anfang der Nullerjahre war Cali eine
isolierte, verwundete Stadt. Erst seit einigen Jahren öffnet sie sich
wieder der Welt.
Für „La carretera al mar“ kamen nun zahlreiche KünstlerInnen und
AktivistInnen aus ganz Kolumbien und dem Ausland in die Stadt.
Das hat es vorher so noch nie gegeben: Es kamen die wichtigsten sozialen
Bewegungen aus der Region zusammen – und das in einem ikonischen Bau. Die
Sportarena Coliseo El Pueblo („Das Volk“) ist für die Panamerikanischen
Spiele 1971 mit einem futuristischen Betondach gebaut worden. Es war damals
eine spannende Zeit, in der auf der einen Seite in große städtische
Projekte investiert wurde, auf der anderen Seite die Studenten rebellierten
und in den Streik traten. Die seit fast einem Jahr im La Tertulia laufende
Ausstellung „Cali 71“ widmet sich diesen Vorgängen.
Welche Erkenntnisse hat das Projekt für die Erinnerungsarbeit gebracht?
Es ist allein schon wichtig zu sehen, welche verschiedenen Formen des
Herangehens an Erinnerung und Gedenken es gibt. Dass das Friedensabkommen
von einer Mehrheit der Kolumbianer im Referendum von 2016
überraschenderweise abgelehnt wurde, zeigt doch gerade, dass es in der
Vermittlung seiner sinnvollen Inhalte Versäumnisse gibt. Hier können
Künstler und Denker vielleicht helfen.
Ihr Vater, der Philosoph Jésus Martín-Barbero, meint, dass das Mündliche in
Kolumbien die „eigentliche Kultur der Erinnerung“ sei, in der die meisten
„träumen und leben“. Das stehe allerdings im Widerspruch zur offiziellen
Gedenkkultur, die auf Schriftliches fixiert sei.
Da ist viel dran. Gerade bei den Afrokolumbianern spielen orale Traditionen
eine große Rolle. Wir haben das auch in einem Ritual zum Projektabschluss
aufgegriffen: In Gedenken an die ermordeten Aktivisten wurde vor dem Museum
eine traditionelle Trauerfeier abgehalten, wie sie in den Gemeinden am
Pazifik üblich ist. Parallel ist bei uns eine Ausstellung über die
„alabaos“ angelaufen. Das sind spezielle Trauerlieder der
afrokolumbianischen comunidades. Es gibt Dutzende dieser Lieder. Wir haben
sie erstmalig transkribiert und einen Teil davon auf eine CD aufgenommen.
20 Sep 2018
## LINKS
[1] /Friedensabkommen-in-Kolumbien/!5520321/
## AUTOREN
Ole Schulz
## TAGS
Kolumbien
Friedensabkommen
Friedensprozess
Farc
Lesestück Interview
Kolumbien
Kolumbien
Kolumbien
Kolumbien
Schwerpunkt Artenschutz
Kolumbien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachruf auf Fernando Botero: Meister des Volumens
Seine Kunst sei voluminös, üppig und sinnlich. Kolumbiens größter Künstler
ist mit 91 Jahren verstorben.
Abrüstung in Kolumbien: Zurück zu den Waffen
Kolumbiens Regierung torpediert das Friedensabkommen mit der Guerilla. Aus
Frust hat sich eine Splittergruppe jetzt neu bewaffnet.
Retrospektive González in Berlin: Sehr traurige Dinge in schönen Farben
Vor 33 Jahren besetzte die kolumbianische Guerilla den Justizpalast in
Bogotá. Das war ein Wendepunkt für Künstlerin Beatriz González.
Friedensabkommen in Kolumbien: Ein Zimmer, sechs mal vier Meter groß
Sie lebten Jahrzehnte im kolumbianischen Dschungel und sollen nun zurück in
ein ziviles Leben finden. Ein Fotograf hat Ex-FARC-Kämpfer portraitiert.
Nationalpark im ehemaligen Farc-Gebiet: Kolumbien schützt riesiges Waldgebiet
Der Nationalpark Serranía del Chiribiquete ist nun größer als die
Niederlande. Doch es fehlt Geld, um ihn gegen Holzfäller zu verteidigen.
Präsidentschaftswahl in Kolumbien: Eine Mehrheit für den Frieden?
Wer gewinnt die Stichwahl? Der linke Gustavo Petro oder der Ultrarechte
Iván Duque? Mit einer „weißen Stimme“ gibt es sogar eine dritte Option.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.