| # taz.de -- Entwicklungsminister über faire Kleidung: „Raus aus der Nische“ | |
| > Mit einem Textilsiegel will Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die | |
| > Produktionsbedingungen verbessern. Das würde nicht zu höheren Preisen | |
| > führen. | |
| Bild: Müller zu Besuch: „Eine Näherin in Äthiopien verdient gerade einmal … | |
| taz am wochenende: Bald hängt der [1][Grüne Knopf], das neue, staatliche | |
| Siegel für soziale und ökologische Mode, an manchen Kleidungsstücken in den | |
| Geschäften. Welche Textilfirmen nehmen teil? | |
| Gerd Müller: 50 Unternehmen wollen mitmachen. Die unabhängigen Prüfstellen | |
| sind sehr aktiv, damit möglichst viele bereits zur Einführung am 9. | |
| September geprüft sind. Die gute Nachricht lautet also: Der Grüne Knopf | |
| kommt – als staatliches Siegel, eingetragen beim Deutschen Patent- und | |
| Markenamt, mit festgelegten, anspruchsvollen ökologischen und sozialen | |
| Standards. Das bedeutet weniger giftige Abwässer und gesundheitsschädliche | |
| Chemie, mehr Arbeitsschutz in den Zulieferfabriken. Ein Unglück wie der | |
| Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013 mit tausend Toten | |
| darf nie mehr passieren. Das ist meine Motivation. | |
| Die Händler können für einzelne Produkte den Grünen Knopf bekommen, wenn | |
| sie bereits etablierte Zertifikate wie Fair Trade oder GOTS verwenden. | |
| Worin besteht dann der Mehrwert für die Verbraucher? | |
| Für die Produkte wie T-Shirts oder Bettwäsche bauen wir auf anerkannten | |
| Standards auf. Dies verbinden wir mit einer unabhängigen Zertifizierung des | |
| jeweiligen Unternehmens. Dabei müssen die Firmen etwa nachweisen, dass sie | |
| über Beschwerdemechanismen verfügen, damit die Näherinnen vor Ort Gehör | |
| finden. Die Unternehmen legen zudem offen, mit welchen Lieferanten sie | |
| zusammenarbeiten. Das ist das Besondere am Grünen Knopf: Das gesamte | |
| Unternehmen wird überprüft. Einzelne Vorzeige-Produkte reichen nicht aus. | |
| Wir können den Verbrauchern also guten Gewissens sagen: Kleidung mit dem | |
| Grünen Knopf erfüllt höchste Ansprüche. | |
| Werden die Produkte dann teurer? | |
| Eine Näherin in Äthiopien verdient gerade einmal 18 Cent pro Stunde. Das | |
| reicht kaum zum Leben. Selbst eine Verdoppelung bis Verdreifachung ihres | |
| Lohns muss nicht unbedingt zu höheren Preisen führen. | |
| Lohnt sich der Aufwand angesichts der Tatsache, dass nur 50 Firmen | |
| mitmachen wollen – eine kleine Nische im gesamten Textilmarkt? | |
| Zahlreiche Unternehmen haben sich bei uns gemeldet und wollen einsteigen. | |
| In unserem Textilbündnis, das ebenfalls an vielen konkreten Verbesserungen | |
| in der Textillieferkette arbeitet, sind inzwischen etwa 50 Prozent des | |
| deutschen Marktes vertreten. Das betrachte ich als großen Erfolg. | |
| Allerdings sollte auch die andere Hälfte mitmachen. Außerdem wünsche ich | |
| mir, dass bestimmte Wirtschaftsverbände den Nachhaltigkeits-Pionieren nicht | |
| ständig Steine in den Weg legen. Die Einhaltung von Menschenrechten darf | |
| kein Wettbewerbsnachteil sein. | |
| Der Grüne Knopf wird erst mal [2][nicht dazu führen], dass sich die | |
| Bedingungen in den Zulieferfabriken verbessern. | |
| Das sehe ich anders. Manche Unternehmen erfüllen die Anforderungen bereits. | |
| Andere müssen noch Hausaufgaben erledigen, bevor sie das Siegel erhalten. | |
| Die strengen sich an. Deswegen ist es gut für die Näherinnen, wenn es den | |
| Grünen Knopf gibt. Das entspricht im Übrigen dem Wunsch der Verbraucher. | |
| Für drei Viertel ist faire Kleidung wichtig. Doch bisher fehlt ihnen eine | |
| klare Orientierung. Mit dem Grünen Knopf ändert sich das. Deshalb hat der | |
| Grüne Knopf auch eine Signalfunktion: Raus aus der Nische, rein in die | |
| Normalität. | |
| Ein Kriterium besagt, dass die Textilbeschäftigten in Asien und Afrika nur | |
| die niedrigen, [3][staatlich festgesetzten Mindestlöhne] erhalten sollen. | |
| Warum fordern Sie nicht gleich ausreichende, existenzsichernde Gehälter? | |
| In Bangladesch und anderen Staaten wurden die Mindestlöhne bereits | |
| angehoben. Trotzdem liegen sie noch zu tief. Deswegen steht in der Satzung | |
| des Grünen Knopfes: Perspektivisch sind existenzsichernde Löhne zu zahlen. | |
| Einen Zeitplan dafür gibt es aber nicht. | |
| Doch. In zwei Jahren werden wir die Kriterien weiterentwickeln und die | |
| Anforderungen erhöhen. Ein unabhängiger Beirat wird uns beraten – auch wie | |
| wir existenzsichernde Löhne erreichen können. | |
| Seit sechs Jahren versuchen Sie nun, die Konzerne zu überzeugen, dass sie | |
| [4][freiwillig die Produktionsbedingungen verbessern]. Wäre es nicht | |
| einfacher, ein Gesetz zu machen, das verbindliche Regeln für alle | |
| festschreibt? | |
| Damit wären wir heute auch nicht weiter. Wir haben in der Bundesregierung | |
| einen Fahrplan vereinbart. Gerade läuft eine Umfrage unter Unternehmen mit | |
| mehr als 500 Mitarbeitern, ob sie ihrer Verantwortung in der Lieferkette | |
| nachkommen. Tun sie dies nicht, dann kommt ein Gesetz – da ist der | |
| Koalitionsvertrag eindeutig. Mit der Textillieferkette setzen wir jetzt | |
| einen hohen Standard und zeigen, dass es geht. Das kann niemand mehr in | |
| Frage stellen. Andere Lieferketten müssen folgen. | |
| Sie sind [5][gerade erst wieder nach Afrika gereist]. Viele Menschen von | |
| dort ertrinken bei der Flucht im Mittelmeer. Hielten Sie es für richtig, | |
| wenn Migranten bereits aus ihren Heimatländern heraus Asyl in Deutschland | |
| beantragen könnten, damit sie nicht in die lebensgefährlichen Boote steigen | |
| müssen? | |
| Wir können nicht jede Woche aufs Neue diesen menschlichen Tragödien | |
| zuschauen. Wir brauchen eine wirksame Seenotrettung. Und wir müssen noch | |
| mehr an den Ursachen ansetzen. Wenn Europa die vom Klimawandel betroffenen | |
| Regionen Afrikas nicht viel stärker unterstützt, werden dort in den | |
| nächsten Jahren hundert Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren. | |
| Dann nimmt auch der Migrationsdruck gewaltig zu. Deswegen müssen wir in | |
| Afrika noch stärker in Waldschutz, erneuerbare Energie, Landwirtschaft und | |
| Bildung investieren. Die Klimadebatte wird viel zu einseitig, national | |
| geführt. Es ist entscheidend für das Weltklima, was in Afrika und den | |
| Entwicklungsländern passiert. Wer nur über Gebäudesanierung und Abgaswerte | |
| in Deutschland diskutiert, hat die Welt nicht verstanden. | |
| Muss man legale Migration erleichtern, um den Einwanderungsdruck zu | |
| vermindern? | |
| Wir brauchen vor allem eine Neukonzeption der europäischen Afrikapolitik. | |
| Das muss die EU-Kommission zur Chefsache machen. Ich baue da auf Ursula von | |
| der Leyen. Dazu gehört ein Klima- und Investitionspaket für | |
| Waldschutzinitiativen und zur Markteinführung erneuerbarer Energien. Und | |
| wir brauchen einen EU-Kommissar für Afrika, der die Aufgaben bündelt. Über | |
| Abkommen für legale Zuwanderung sollten wir auch diskutieren – um | |
| Schleppern die Möglichkeiten zu nehmen, Menschen ins Verderben zu führen. | |
| Könnten Einwanderungsquoten für afrikanische Staaten helfen? | |
| Man muss sich jedes afrikanische Land einzeln anschauen. In Nordafrika | |
| investieren bereits viele deutsche Unternehmen – in Tunesien, Marokko oder | |
| Ägypten. Hier geht es darum, diese Staaten perspektivisch in den | |
| europäischen Wirtschaftsraum einzubinden. Damit schaffen wir dringend | |
| benötigten Ausbildungs- und Beschäftigungsangebote für die jungen Menschen | |
| – das sind Win-win-Effekte für beide Seiten. Der Austausch von Ausbildungs- | |
| und Fachkräften gehört auch dazu. | |
| Die Regierungskoalition aus Union und SPD erreicht möglicherweise nicht | |
| mehr das Ende der Legislaturperiode. Können Sie sich vorstellen, bald mit | |
| den Grünen zu regieren? | |
| Die Koalition hält bis Ende 2021. Die derzeitige Alternative wäre | |
| Rot-Rot-Grün, wie gerade in Bremen. Die Probleme wären dann nicht kleiner, | |
| sondern größer. | |
| Sie unternehmen den taktischen Versuch, den erstarkenden Grünen | |
| Wählerstimmen abzujagen. Dabei würde die Führung der Grünen doch lieber mit | |
| der Union regieren als mit der frustrierten SPD und den unzuverlässigen | |
| Linken. | |
| Die Große Koalition ist handlungsfähig, und sie arbeitet gut zusammen. Ich | |
| freue mich über eine parteiübergreifende Unterstützung. | |
| 16 Aug 2019 | |
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| Hannes Koch | |
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