| # taz.de -- Verbraucherschützer über Kleidungssiegel: „Eine bewusste Verwir… | |
| > Kleidungssiegel gibt es heute viele – aber welches besagt was? Tristan | |
| > Jorde von der Verbraucherzentrale über Marketing und Konsum. | |
| Bild: Eines von fünf neuen Stücken wird nie angezogen werden: Menschen tragen… | |
| taz: Herr Jorde, wenn ich ins Bekleidungsgeschäft gehe, wie viele Siegel | |
| oder Label, die mir Hinweise auf ökologische oder soziale Standards geben | |
| sollen, finde ich dort vor? | |
| Tristan Jorde: Die knappe Antwort darauf lautet: unzählige. Es kommen | |
| ständig neue hinzu, was sicherlich auch eine bewusste Verwirrungsstrategie | |
| ist. Denn die Unternehmen haben erkannt: Wer die Marktmacht hat, kann auch | |
| ein Label etablieren. Ob diese allerdings sinnvoll sind, ist fraglich. Sie | |
| sind in den seltensten Fällen extern kontrolliert. Dazwischen gibt es ein | |
| paar wenige verlässliche Siegel – die allerdings sehen Sie dort kaum. | |
| Wer vergibt all diese Label? | |
| Das können staatliche Stellen sein, denken Sie etwa an den Blauen Engel. | |
| Dann gibt es Siegel von unabhängigen Stellen, die mit Gewerkschaften oder | |
| Umweltverbänden zusammenarbeiten – dort sind die Standards häufig | |
| vergleichsweise hoch, wenn man sich etwa das IVN-Best- oder das Gots-Siegel | |
| anschaut. Und dann finden Sie noch firmeneigene, etwa die Öko-Label von H&M | |
| oder Zara. | |
| Ist denen zu trauen? | |
| Ach, die sind immer schön bunt und haben gerne einen Baum als Logo. Sieht | |
| sehr nett aus und wird in den Geschäften sehr offensiv vermarktet, obwohl | |
| nur ein Bruchteil der Kleidung dieses Label hat. | |
| Okay, also Greenwashing. | |
| Raffinierter ist eine andere Methode: Die Vergabe von Label durch | |
| quasi-unabhängige Forschungsinstitute. Ein genauer Blick dahinter verrät | |
| dann, dass diese Institute von ein paar Bekleidungsunternehmen finanziert | |
| werden. Aus Verbrauchersicht sind deshalb Siegelportale ratsam, die meist | |
| immerhin einen ungefähren Hinweis auf die Nützlichkeit der Siegel liefern. | |
| Kann ich mich beim Hinweis „Made in EU“ respektive „Germany“ wenigstens | |
| darauf verlassen, dass auf Sozialstandards in der Herstellung geachtet | |
| wurde? | |
| Auch das ist wenig aussagekräftig, denn hier wird nur der Ort des letzten | |
| Produktionsschrittes genannt. Zudem: Manche Löhne in der Textilindustrie | |
| liegen in Rumänien oder Bulgarien mittlerweile unterhalb von denen in | |
| Asien. In diesen Außenzonen geht es immer weiter bergab. Und selbst wenn | |
| etwas in Deutschland produziert wurde, befinden wir uns dort im | |
| Niedriglohnsektor. | |
| Stichwort Asien: Der Fabrikeinsturz von Rana Plaza in Bangladesh im Jahr | |
| 2013 kostete mehr als 1.100 Menschenleben – es war das schwerste Unglück in | |
| der Textilindustrie. Hat sich seitdem denn etwas substantiell verbessert? | |
| Gab es ein Umdenken? | |
| Einerseits ja. Immer dort, wo es zu medialer Beachtung kommt, reagieren die | |
| Unternehmen. Nach Rana Plaza haben Gewerkschaften einen Platz am Tisch | |
| bekommen. Im Zweifel können die Unternehmen aber einfach in abenteuerliche | |
| Nachbarländer weiterziehen. Dann lassen sie beispielsweise in Vietnam oder | |
| Kambodscha produzieren, wo die neuen Standards nicht gelten. Das Problem | |
| bleibt aber, dass die Textilindustrie aus einem undurchschaubaren Geflecht | |
| besteht. Da werden die Aufträge an ein Subunternehmen weitergeben, was | |
| wieder ein Subunternehmen einsetzt. So geht das immer weiter, bis das | |
| niemand mehr durchschaut. | |
| Ist man als Verbraucher*in nicht in einer ziemlich blöden Situation, sich | |
| zwischen ökologischen oder sozialen Standards entscheiden zu müssen? | |
| Absolut. Allerdings gibt es hier immerhin eine Entwicklung, die positiv | |
| ist: Die vertrauenswürdigen Öko-Labels haben erkannt, dass sie auch soziale | |
| Standards mit aufnehmen müssen. Genauso verhält es sich bei den sozialen | |
| Labeln, die auch ökologische Kriterien beachten. Diese Konvergenz nimmt | |
| allmählich zu. | |
| Noch in diesem Jahr soll es erstmals ein staatliches Label geben – den | |
| Grünen Knopf. Wie schätzen Sie das ein? | |
| Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit dem Thema und habe schon viele | |
| Ankündigungen erlebt. Klar, das ist eine tolle Absicht. Ich bleibe aber | |
| lieber auch hier skeptisch, ob sich strenge Regeln durchsetzen. Außerdem | |
| gibt es doch bestehende gute Label, warum also schon wieder ein neues? Es | |
| trägt eher zur Verwirrung bei. | |
| Wären gesetzliche Regelungen für unternehmerische Sorgfaltspflicht nicht | |
| der bessere Ansatz? | |
| Das wäre mein großer Wunsch. Aber ein Blick auf die politische | |
| Großwetterlage gibt mir wenig Hoffnung, dass ein Gesetz in absehbarer Zeit | |
| kommt. Da ist dann sofort die Rede davon, dass der Export gefährdet sei. | |
| Davon sind wir bisher weit entfernt und ich sehe an den entscheidenden | |
| Stellen keinen politischen Willen, die sinnvollen Vorschläge, die | |
| existieren, auch in Gesetzen umzusetzen. | |
| Nun dient der Kauf von Kleidung längst nicht mehr der einfachen | |
| Grundversorgung. Wir kaufen viel mehr als nötig. Aber gleichzeitig geben | |
| wir immer weniger Geld dafür aus. | |
| Es ist das Mantra der globalisierten Billigproduktion: Ständig kommen neue | |
| Kollektionen auf den Markt zu billigen Preisen. Dass das weder ökologisch | |
| noch sozial sein kann, sollte klar sein. Die Nachhaltigkeitsregel Nummer | |
| eins wäre ja: „Lieber selten etwas Wertvolles kaufen als ständig | |
| irgendeinen Junk.“ Das gilt letztlich für alle Branchen übergreifend, ganz | |
| besonders aber in der Bekleidungsindustrie. Aber wir erleben ein junges, | |
| hipperes und schickeres Klientel, das die ständige Befriedigung nach neuen | |
| Klamotten fordert. Und dabei werden rund 20 Prozent der neu gekauften | |
| Kleidung nie getragen. Das sind reine Impulskäufe, die bestenfalls noch in | |
| der Altkleidertonne landen. | |
| Weniger wäre also mehr? | |
| Ich brauche mich nicht hinstellen und den Leuten sagen, sie sollen | |
| aufhören, Kleidung zu kaufen, weil das weder ökologisch noch sozial ist. Es | |
| gibt ja mittlerweile dieses perverse Phänomen der Zalando-Partys: Da | |
| bestellen sich die Leute ihren neuesten Fummel, tragen den abends und | |
| schicken ihn am nächsten Morgen zurück – weil der Versand ja umsonst ist. | |
| Die halten mich dann für einen Birkenstock tragenden Ökotypen. Sinnvoller | |
| ist es, dieses Phänomen aufzunehmen. Da brauche ich eine neue Strategie. | |
| Wenn die Menschen ständig neue Kleider wollen, müssen Kleidertauschpartys, | |
| Second-Hand- und Vintage-Geschäfte oder Flohmärkte und | |
| Upcycling-Veranstaltungen hip werden. | |
| 1 Apr 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| André Zuschlag | |
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