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# taz.de -- Unfallexperte über E-Scooter: „Das war das Risiko nicht wert“
> Dass vor allem Touristen die E-Scooter nutzen, sei nicht der Sinn des
> neuen Mobilitätsangebots, sagt der Unfallforscher Siegfried Brockmann.
Bild: Eigentlich verboten: die Nutzung eines E-Scooters zu zweit
taz: Herr Brockmann, seit einem Monat rollen die E-Scooter durch Berlin.
Haben sich Ihre Vorhersagen erfüllt?
Siegfried Brockmann: Zu 100 Prozent. Ich wundere mich eigentlich, dass sich
noch jemand wundert.
Wie meinen Sie das?
Plötzlich ist eine gesellschaftliche Diskussion darüber ausgebrochen, dass
es Unfälle gibt, dass Scooter im Weg herumstehen, dass Fußgänger behindert
werden. All das war 100-prozentig abzusehen. Das Einzige, was ich nicht
erwarte habe, ist, dass vor allem Touristen das Ding benutzen.
Man sieht auch Berliner damit.
Eingeführt worden sind die E-Scooter aber nicht zur Vergnügung, sondern um
einen besseren Mobilitätsmix zu ermöglichen: damit man das Auto stehen
lässt und mit dem Scooter zum S-Bahnhof oder zur Bushaltestelle fährt. Dass
jetzt Touristen vom Brandenburger Tor zum Alexanderplatz nicht mehr laufen,
sondern mit dem Scooter fahren – ehrlich gesagt, das war das Risiko nicht
wert.
Wer sind die Leidtragenden?
Die Rollerfahrer gefährden sich selbst, auch wenn sie zu zweit auf einem
Ding fahren, was ich oft gesehen habe. Richtig gefährlich sind die Dinger
auf dem Bürgersteig aber für die Senioren. Ein Sturz kann bei ihnen schnell
zu sehr schweren Verletzungen führen.
Die Medien haben bereits über Unfälle berichtet. Gibt es schon eine
Unfallstatistik?
Es gibt keine seriösen Erhebungen. Die Frage ist doch: Ist das
überproportional und wie spielt sich das ein? Sehr viele probieren die
Scooter zurzeit einfach mal aus. Das kann sich auch wieder nivellieren.
Letztlich entscheidend ist für den Unfallforscher das Verhältnis zu den
gefahrenen Kilometern. Und die gefahrenen Kilometer kenne ich im Moment
noch gar nicht. Außerdem kann sich da noch erheblich etwas verändern. Denn
eines haben wir hier fast noch gar nicht: Scooter in privater Hand.
Es gibt Zahlen aus den USA: Auf 100.000 Kilometern gab es zwölf verletzte
Scooter-Fahrer. Beim Auto kam ein Unfall auf 250.000 Kilometer.
Das kann man nicht übertragen. Wenn, müsste man das mit dem Fahrrad und dem
Motorrad vergleichen, weil einspurige Fahrzeuge ein ganz anderes Problem
darstellen, zumal noch ein ungeschützter Verkehrsteilnehmer obendrauf
sitzt. Wenn der stürzt, gibt es gleich einen Verletzten. Die USA sind für
uns aber auch deshalb kein Vergleichsmarkt, weil dort viel weniger
Fußgänger unterwegs sind.
Was ist für einen Fußgänger gefährlicher: die Kollision mit einem Scooter
oder einem Rad?
Beides birgt Risiken. Die Frage ist aber eher: Wie häufig wird das
vorkommen? Wenn meine Prognose zutrifft, werden Scooter weiterhin trotz
Verbots auf dem Bürgersteig unterwegs sein. Der Radfahrer ist dort zwar
leider auch, aber hoffentlich nur gelegentlich, weil er dort zu langsam
vorwärtskommt. Beim Aufprall selbst ist weniger das Gewicht des Fahrzeugs
entscheidend als die gefahrene Geschwindigkeit. Die maximale
Geschwindigkeit beim Scooter sind 20 Stundenkilometer. Da habe ich die
Hoffnung, dass die auf dem Gehweg nicht voll ausgereizt wird. Ein Fahrrad
schafft ohne Weiteres 25 bis 30 km/h. Stürze vom Fahrrad sind tendenziell
schwerer, weil die Fallhöhe größer ist.
Viele Radfahrer werden bei sogenannten Alleinunfällen verletzt. Ist das
auch bei Scootern zu erwarten?
Ja. Aber wie beim Fahrrad wird es auch dort eine große Dunkelziffer geben.
Alles, was nur mit Hautabschürfungen verbunden ist, werden wir in der
Statistik nicht sehen.
Würden Sie als Unfallforscher die Scooter am liebsten wieder aus dem
Verkehr verbannen?
Das wird nicht funktionieren. Gucken Sie nach London, wo es gerade einen
tödlichen Unfall gab: Dort sind die Roller gar nicht erlaubt. Aber es gibt
sie trotzdem. Deswegen fand ich es richtig, das gesetzlich so zu
kanalisieren, dass es überhaupt Regeln gibt, von denen wir glauben, dass
sie einigermaßen funktionieren – immer vor dem Hintergrund, dass die Roller
eine sinnvolle Ergänzung im Mobilitätsmix sind.
Und wenn das nicht so ist?
Dann müssen wir intervenieren. Im Entwurf des Bundesverkehrsministeriums
waren ja ein Mindestalter von 15 Jahren und eine Prüfbescheinigung
vorgesehen. Das ist unter anderem gekippt worden, weil man gesagt hat, ein
Tourist hat vielleicht keine Prüfbescheinigung.
Wofür plädieren Sie?
Mein Rat ist, ruhig zu bleiben. Wir brauchen einen längeren Zeitraum, um
das Risiko richtig zu ermessen, und der ist mindestens ein Jahr. Wenn wir
wirklich feststellen, es gibt sehr viele Unfälle, auch gemessen an den
gefahrenen Kilometern – falls wir die herausbekommen, dafür müssten ja die
Scooterverleiher kooperieren –, muss man nachsteuern. Wenn es viele
schwere Kopfverletzungen gibt, wird man auch über eine Helmpflicht
nachdenken müssen.
Was könnte gegen das wilde Abstellen und Fahren auf dem Bürgersteig getan
werden?
Da sind Ordnungsamt und Polizei gefordert. Und genau das erwartete ich
jetzt auch. Beim Scooterfahrer darf sich nicht das Gefühl einschleichen,
dass das sowieso nicht verfolgt wird. Das ist jetzt eine ganz heikle Phase.
Wenn erst mal jeder das Gefühl hat, ich kann machen, was ich will, kriegen
wir das nie wieder zurückgedreht.
Sie haben seinerzeit die Einführung der Polizei-Fahrradstaffel
wissenschaftlich begleitet. Brauchen wir jetzt eine Scooter-Polizei?
Nein, die Fahrradstaffel ist das Mittel der Wahl, aber sie ist eindeutig
unterbesetzt. Die Politik hatte nach unserer Evaluation versprochen, dass
die Fahrradpolizei aufgestockt und über die Innenstadt hinaus ausgeweitet
wird. Das ist jetzt mehr denn je nötig – auch um renitente Rollerfahrer zu
verfolgen in Bereiche, wo Autos nicht hinkommen.
22 Jul 2019
## AUTOREN
Plutonia Plarre
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