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# taz.de -- Kommentar Mietendeckel in Berlin: Der überfällige Griff zur Notbr…
> Trotz handwerklicher Fehler ist der Mietenstopp des Berliner Senats der
> erste richtige Schritt. Jetzt müssen weitere folgen.
Bild: Die Lage in Berlin ist noch dramatischer als in Frankfurt, München oder …
In Berlin wird seit Jahren im großen Stil Reichtum umverteilt. Enteignet
wird die Mittelschicht, die bis zu 50 Prozent ihres Einkommens für Wohnen
ausgeben muss. Die Mieten sind explodiert – und zwar aus zwei Gründen. Zum
einen wächst Berlin um knapp 40.000 Menschen pro Jahr, es werden aber
weniger neue Wohnungen gebaut.
Allerdings ist dies nicht der entscheidende Preistreiber. Weit mehr
Einfluss haben internationale Investoren, die seit Finanzkrise und
Nullzinspolitik fast panisch auf der Suche nach Anlagen sind. In Berlin
zahlen ein chinesischer Staatsfonds, britische Milliardäre und dänische
Konzerne fast jeden Preis.
Die Preise für Eigentumswohnungen und Mieten haben sich in manchen
Innenstadtvierteln in den letzten paar Jahren verdoppelt. Der Effekt:
GrundschullehrerInnen, KrankenpflegerInnen, PolizistInnen, HandwerkerInnen,
VerkäuferInnen, kurzum jene, ohne die die Infrastruktur jeder Großstadt
zusammenbricht, können sich Berlin kaum mehr leisten. Die Lage in Berlin
ist noch dramatischer als in Frankfurt, München oder Hamburg, weil die
Einkommen in der Hauptstadt schlicht geringer sind.
Dafür fahren Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen und Vonovia seit Jahren
Renditen von über 20 Prozent ein. Der Markt versagt somit doppelt: Zum
einen wird Geld, das aus Arbeit stammt, in die Taschen von AktionärInnen
gespült, die dafür eben nicht arbeiten. Zum anderen werden Wohnungen, die
etwas grundsätzlich anderes sind als Schokoladenkekse oder Flugreisen,
nämlich ein existentiell nötiges Gut, für viele unbezahlbar.
Deshalb ist der [1][Mietenstopp des rot-rot-grünen Senats] der überfällige
Griff zur Notbremse. Blamabel ist, dass konservative SPDler das Ganze
[2][im letzten Moment kippen] wollten – obwohl die SPD eigentlich das
Copyright auf diese Idee beansprucht. Offenbar haben SPD und manche Grüne
noch immer nicht verstanden, dass die Ära des Neoliberalismus wirklich zu
Ende ist. Mit Sozialismus hat der Mietenstopp übrigens nichts zu tun: Er
ist vielmehr ein Werkzeug aus der ordoliberalen Handwerkerkiste, das einen
kollabierenden Markt korrigiert.
## Woher kommen die neuen Wohnungen?
Klar, es gibt auch Unwuchten. Vermieter, die faire Mieten erheben, werden
ebenso getroffen werden wie solche, die mal eben 15 Euro kalt kassieren.
Das ist ungerecht – allerdings wiegt diese Ungerechtigkeit wenig gegen den
Gewinn an Gerechtigkeit, den der Mietenstopp für mehr als eineinhalb
Millionen Wohnungen in Berlin beschert.
Allerdings hat der Mietenstopp zwei handwerkliche Fehler. Der damalige
US-Präsident Richard Nixon verkündete 1971 einen dreimonatigen Lohn und
Preisstopp. Diese Manöver gelang, weil niemand damit gerechnet hatte – und
eben nicht noch flugs die Preise erhöht wurden. In Berlin hat man sich
lieber Zeit gelassen, das Ganze treuherzig angekündigt und sich gewundert,
dass Vermieter das Naheliegende getan haben: schnell noch die Miete erhöht.
Das zweite Problem ist: Für bezahlbaren Wohnraum müssen die städtischen
Wohnungsbaugesellschaften und die Genossenschaften, die ein knappes Drittel
der Wohnungen in Berlin verwalten, mehr bauen können. Das scheitert oft an
Bürokratie – und künftig womöglich auch noch daran, dass ihnen wegen des
Mietendeckels Kapital fehlt, auch wenn Neubauten vom Mietenstopp
ausgenommen sind. Dieser unschöne Nebeneffekt war absehbar. Rot-Rot-Grün
schien von den Protesten der Genossenschaften und städtischen
Wohnungsbaugesellschaften indes ernsthaft überrascht, was Zweifel an der
Weitsicht dieses Senats weckt.
Der Mietenstopp ist trotzdem der erste richtige Schritt. Der zweite muss
sein, langfristig kommunales Bauen mehr und effektiver zu fördern als
bisher. Nur dann wird auch der Mietenstopp funktionieren – und kein
Baustopp werden. Gelingen wird das nur, wenn Rot-Rot Grün miteinander und
nicht, wie es manchmal scheint, gegeneinander regiert.
19 Jun 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
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