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# taz.de -- Neues Album von Kate Tempest: Worte, Fallen und Lektionen
> Kate Tempest veröffentlicht ihr neues Album „The Book of Traps and
> Lessons“. Die Britin entfernt sich damit noch ein Stück weiter von ihren
> HipHop-Wurzeln.
Bild: In ‚I Trap You‘ versteht die Figur, wie zerstörerisch abhängige Lie…
Ein braunes Ledercover, darauf in Gold geprägte Umrisse des Vereinigten
Königreichs: „The Book of Traps and Lessons“, das dritte Album der
britischen Wortkünstlerin Kate Tempest ist aufgemacht wie ein Reisepass.
Damit assoziiert werden könnten Themen wie Staatszugehörigkeit, Identität,
Nationalismus und Migration. „The Book of Traps and Lessons“ verarbeitet
all diese Komplexe, aber auf persönlicher Ebene.
Ob im Roman, im Gedicht, in Theaterstücken, Spoken-Word oder Rap – bei Kate
Tempest dreht sich alles ums Wort. Manchmal schreibt sie die Worte auf, oft
performt sie diese auf der Bühne. Mit ihrer unverwechselbaren Stimme,
dringlich, fast zitternd in den dramatischen Höhepunkten, die sich
aneinanderreihen, ist „The Book of Traps and Lessons“ bereits ihr drittes
Album. Nach den Werken „Everybody Down“ und „Let Them Eat Chaos“, auf d…
die Britin jeweils ein festes Figurenensemble entwickelt hat, das
zueinander fand – oder sich daran versuchte, in der neoliberalen
Leistungsgesellschaft irgendwie zu funktionieren.
Nun geben ihr „Traps and Lessons“, also Fallen und Lektionen, den Titel.
„Die Fallen, die ich auf meinem Album beschreibe, sind zum Beispiel
Trunkenheit und Abhängigkeit“, sagt die 33-Jährige im Interview.
„Abhängigkeit von Drogen, Essen oder Sex. Aber auch Gewalt. Die Gewalt des
Staates gegen Individuen und die, die man selbst ausübt, wenn man
wegschaut. Außerdem verhandele ich die Fallen von zerstörerischer Liebe und
krankhaften Beziehungen.“
Den Fallen stellt Tempest Lektionen gegenüber, etwa die Erkenntnis der
eigenen Fehlbarkeit und der eigenen Verantwortung in Situationen, die
anderen Schaden zufügen. „Meine Figur lernt, sich nicht für ihre Fehler zu
schämen. Und dann kommt die Lehre der wahren Liebe. Zärtlichkeit,
Verlangen, die heilige Sexualität. Durch die Selbstaufgabe lernt die Figur
letztendlich die wertvollste Lektion: Menschen zu lieben, die sie nicht
kennt.“
## Forschende Texte, ein einziges langes Gedicht
Kate Tempest spricht von Figuren, die ihr Album erzählen. Sie bekommen zwar
keine Namen und keine Geschichte, wie noch auf den beiden früheren Werken,
aber sie ermöglichen es, die Gesellschaft aus unterschiedlichen
Blickwinkeln zu ergründen. Mehr als je zuvor reflektiert sie aber auch
eigene Erfahrungen: „Die Liebeslieder sind einer bestimmten Person
gewidmet“, verrät Tempest. „In ‚I Trap You‘ versteht die Figur, wie
zerstörerisch abhängige Liebe ist. Und dann sehen wir, wie sie eine neue
Liebe findet. Dieses Liebeslied richtet sich an meine Frau, meine
Partnerin. Ja, es geht einhundert Prozent um sie.“
Die Stücke, die sich zwischen den beiden Buchdeckeln von „The Book of Traps
and Lessons“ sammeln, sind kaum mehr als Songs im eigentlichen Sinne zu
bezeichnen. Es sind forschende Texte, die von Musik umspielt werden, sie
blenden ineinander über, machen aus den Stücken ein einziges langes
Gedicht.
Das Projekt begann mit US-Produzent Rick Rubin, der als Regisseur hinter
Stars von Metallica über U2 bis hin zu Johnny Cash und Lady Gaga steht und
das New Yorker HipHop-Label Def Jam Recordings gegründet hat. Der
56-Jährige sah Tempest im Fernsehen und kontaktierte sie. Bis die britische
Künstlerin zwischen Tourneen und Bücherschreiben Zeit fand, in seinem
Studio zu sitzen, dauerte es fast fünf Jahre.
„Rick hat keinen Ton auf dem Album gespielt“, beschreibt Tempest seine
Rolle. „Alles, was er gemacht hat, war zuzuhören. Und dann sagte er
jeweils, was er davon hält. Er war unser Guide und hat sich durch
haufenweise Demos gehört.“ So brachte Rubin Tempest und ihren langjährigen
musikalischen Partner Dan Carey auch dazu, ihre Instrumentals auf das
Wesentliche zu reduzieren. Tempest breitet ihre Wortkunst nun auf einem
sphärischen Klangteppich aus: Dadurch ist nun manchmal nur eine einzelne
Orgel zu hören (wie in „Hold Your Own“), eine leierige Bandmaschine („I
Trap You“), ein sich wiederholendes Streichermotiv („Brown Eyed Man“) oder
eine Synthesizerfläche („Thirsty“), dazu einzelne Pianos und sparsam
eingestreute Beats.
## „Sie denken nicht einfach nur: Oh, das reimt sich nicht“
Tempests Wurzeln liegen zwar im HipHop, sie aber heute noch als Rapperin zu
bezeichnen, würde ihr als Künstlerin ebenso wenig gerecht werden wie der
Kunstform Rap als solche. Doch Tempest hat keine Angst, dass ihre alte
Community ihrem neuen Sound kein Verständnis entgegenbrächte: „Ich glaube,
Menschen, denen HipHop wirklich am Herzen liegt, wird es interessieren, was
auf diesem Album mit den Texten passiert. Sie verstehen die Entscheidungen,
die für den Flow getroffen wurden, und werden Referenzen herauspicken. Sie
denken nicht einfach nur ‚Oh, das reimt sich nicht‘.“
Es waren allerdings nicht die Worte und die Kunstwerke der 33-jährigen
Londonerin, die zuletzt dafür gesorgt haben, dass sie besonders in
deutschen Medien große Aufmerksamkeit erfahren hat. Es war eine
Unterschrift von ihr. Tempest wird bei Artists for Palestine UK gelistet,
einer Organisation, die sich laut der Selbstbeschreibung auf ihrer Website
für Rechte von Palästinenser*innen einsetzt und Israel kritisiert (eine
Unterscheidung zwischen Israel und der israelischen Regierung macht Artists
for Palestine UK nicht).
„Die Petition hat in Großbritannien ganz andere Konnotationen als hier in
Deutschland“, glaubt Tempest. „Ich werde definitiv meine Hände hoch halten
und sagen, ich war naiv, sogar komplett ignorant dahingehend, wie ein
kultureller Boykott gegen die israelische Regierung in Deutschland gelesen
würde. Ich habe es mir vorher nicht ausmalen können.“ Kritik an Israel habe
in Großbritannien einen anderen Status als in Deutschland, wird immer
wieder zur Erklärung herangeführt, warum so viele britische Künstler*innen
sich Boykottaufrufen anschließen. Antisemitismus hat aber in legitimer
Regierungskritik nichts zu suchen – egal, in welchem Staat sie geäußert
wird.
## Unterstützung für „Free Palestine“
Undurchsichtig sind zudem die Verschränkungen von Artists for Palestine zur
Lobby-Organisation BDS (Boycott, Divestment and Sanctions), die seit
einigen Jahren versucht, auch den Kulturbetrieb in Deutschland zu stören,
indem sie etwa KünstlerInnen unter Druck setzt, sie mögen bestimmte
Auftritte in Deutschland absagen. Zuletzt fiel BDS mit dem Boykottaufruf
des ESC in Tel Aviv auf: mit einer Grafik, in der zwei SS-Runen
eingearbeitet waren.
Auch [1][Kate Tempest wurde mit BDS in Verbindung gebracht], sie selbst
kenne sich mit der Organisation aber nicht aus, meint sie, und betont im
Gespräch, dass sie einen Aufruf von Freund*innen namens „Free Palestine“
unterschrieben habe. „Free Palestine“ ist keine Organisation, mehr eine
Forderung, die auf vielen T-Shirts, Buttons oder Spruchbändern prangt.
Dabei erzeugt diese allein durch ihrem Titel eine gewollt ambivalente
Aussage (welches Gebiet soll befreit werden? Von wem?). Antisemitismus
kommt dann ins Spiel, wenn das Existenzrecht des israelischen Staates in
Frage gestellt wird oder Doppelstandards angesetzt werden.
Tempest selbst geht dem heiklen Thema im Gespräch mit der taz nicht aus dem
Weg. Sie sagt: „Es ist nicht so, dass ich das Existenzrecht eines jüdischen
Staates in Israel in Frage stelle. Ich bin nur mit der israelischen
Siedlungspolitik nicht einverstanden.“
Umso wichtiger ist es zu fragen, was hinter der Unterstützung für diese
Aufrufe steht. Tempest erklärt ihre Motivation folgendermaßen: „Ich finde
das Verhalten der israelischen Regierung gegen die Palästinenser*innen
schrecklich. Es gibt keine Worte dafür. Als ich gefragt wurde, ob ich ‚Free
Palestine‘ meine Unterstützung zusichern möchte, habe ich darüber
nachgedacht und zugestimmt. Das ist meine Form des Protests dagegen, wie
die israelische Regierung gegen die Palästinenser*innen vorgeht. Ich
habe selbst Familie in Israel. Ich bin Jüdin. Ich habe keine negative
Einstellung, was die israelische Bevölkerung betrifft.“
Die glühende Israelhasserin, zu der Tempest infolge eines abgesagten
Konzerts in Berlin 2017 gemacht wurde, ist sie nicht. Wenn man sie auf das
Thema anspricht, reagiert sie betroffen und nachdenklich. Sie wiederholt
auch nicht Parolen von dubiosen Lobby-Organisationen. Dennoch liegt das
klügere Mittel, eine politische Aussage zu treffen, doch nicht darin, eine
einseitige Kampagne zu unterstützen, von der man weder weiß, wohin sie sich
entwickelt, noch, wer außer einem selbst diese unterzeichnet. Es geht aber
viel eher darum, seine Meinung in eigenen Worten kundzutun, worin Kate
Tempest seit Jahren mit ihrer musikalischen Kunst brilliert.
13 Jun 2019
## LINKS
[1] /Rapperin-Kate-Tempest-sagt-Konzert-ab/!5446621
## AUTOREN
Diviam Hoffmann
## TAGS
Kate Tempest
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