| # taz.de -- Schwules Museum in Berlin: Homokomplexe Gemengelage | |
| > Im Schwulen Museum Berlin geht es ab: Alt gegen Jung, Homo gegen Queer, | |
| > Lesben gegen Schwule, Das Gute ist: Man streitet sich. | |
| Bild: Von außen ist alles ganz klar | |
| Ein Museum ist nicht nur ein Ort, den man besuchen kann. Sondern auch die | |
| Summe der Stimmen derjenigen, die dort darüber diskutieren, was Geschichte | |
| ist und wie sie erzählt werden soll. Unsere Autorin hat fünf Stimmen | |
| gesammelt, die sich streiten und verstehen und so ein Bild des Schwulen | |
| Museums zeichnen. | |
| Birgit Bosold: Wir beschäftigen uns im Schwulen Museum im Grunde mit der | |
| Frage, warum Sexualität so ein besonderer Bereich der menschlichen Existenz | |
| ist – warum sind wir hier so verletzbar? Warum ist Sexualität so ein | |
| relevantes Feld für die Konstituierung von Herrschaft? Warum ist es | |
| eigentlich so wichtig, wer mit wem vögelt? | |
| Till Amelung: Diversity finde ich ein Stück weit verlogen, in dem Sinne, | |
| dass man leugnet, dass es Grenzen gibt. Junge Queerfeministinnen erwarten | |
| von Transleuten, von Schwulen, von Lesben, dass sie die utopisch neuen | |
| Menschen sind. Dass sie Geschlecht und sexuelle Orientierung in ihrer | |
| Unterschiedlichkeit hinter sich lassen. Ich glaube, das wird nicht | |
| funktionieren. | |
| Wolfgang Theis: Wenn ich heute zwanzig wäre, würde ich vielleicht auch | |
| Kategorien runterbeten wie alle anderen auch, cis, non-binär und so weiter. | |
| Das sind Worthülsen, nicht mit Inhalten gefüllt. Jetzt bin ich halt ein | |
| alter weißer schwuler Sack. | |
| Birgit Bosold: Ich bin seit 2006 im Vorstand des Schwulen Museums. Auch | |
| wegen meiner kaufmännischen Expertise wurde ich gefragt, ob ich das machen | |
| will, als erste Frau damals. Ich habe eine aktivistische Biografie und sah, | |
| dass das Museum eine interessante Plattform für queere Politik ist. Das | |
| Haus ist bis heute stark vom Aktivismus geprägt. Die Leute machen nicht nur | |
| einen Job, sondern es geht um was, um Identität, um die Anerkennung ihrer | |
| Lebensentwürfe, ziemlich basale Sachen. Deswegen gibt es auch mehr | |
| Konflikte als in anderen Läden. | |
| Till Amelung: Angefangen hat das Museum als Privatinitiative, um überhaupt | |
| das, was an lesbischer und schwuler Geschichte auch durch den | |
| Nationalsozialismus in Vergessenheit geraten ist, wieder zu entdecken und | |
| der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich würde den Wandel so | |
| beschreiben, dass der Fokus zuerst auf schwuler Geschichte war, die Lesben | |
| waren schon dabei, aber für die gab es auch feministische Archive. Im Laufe | |
| der 90er und vor allem ab den Nullerjahren ging es dann um die Frage von | |
| Verstetigung und institutioneller Förderung, da kamen auch Ansprüche von | |
| der Politik an das bis dato ehrenamtlich geführte Projekt. Es hieß, man | |
| solle das ganze Spektrum abbilden. Ab 2010 kam Trans dazu, dann Inter und | |
| Queer. Ich glaube, da sind Dinge nicht so ganz durchdacht worden. Die | |
| Politik wollte alle zusammenpacken, an eine Stelle Geld verteilen und: | |
| „Hier, macht mal!“ Dass aber diese verschiedenen Gruppen ihre eigenen | |
| Geschichten mitbringen und sich teilweise voneinander abgrenzen, wurde | |
| nicht bedacht. Aus schwuler Perspektive geraten Transleute, die | |
| heterosexuell sind, zum Beispiel aus dem Blick. Die haben nichts mit schwul | |
| oder lesbisch zu tun, nur weil sie trans sind. Ich selbst bin ein schwuler | |
| Transmann, ich sehe vieles, was aktuell im Museum gemacht wird, kritisch. | |
| Birgit Bosold: Wir sind weltweit die größte und älteste Institution für | |
| queere Geschichte und Kultur. Unser Archiv besteht aus Nachlässen, die uns | |
| geschenkt werden. Wir haben 1,5 Millionen Dokumente und Objekte. Über | |
| 10.000 künstlerische Werke, noch mehr aktivistische Dokumente – | |
| Flugblätter, Plakate, Buttons, aber auch Schallplatten, Abrechnungen, | |
| Steuererklärungen. Wir haben eine Sammlung der rosa Dinge. Höchstens zehn | |
| Prozent unseres Bestands sind archivarisch aufgearbeitet, für den Rest | |
| fehlen die Ressourcen. | |
| Peter Rehberg: Ich bin hier in der Funktion des Archiv- und | |
| Sammlungsleiters. Was wir hier machen, hat drei Säulen: Wir sind ein | |
| Archiv, ein Ausstellungsbereich und ein Veranstaltungsort. Wir sind ein | |
| queerer Ort mit einer schwulen Geschichte, der dabei ist, auszuhandeln, wie | |
| man dieses Verhältnis als ein nichtdestruktives gestalten kann. Das Museum | |
| hat auch eine affektive Dimension, man stößt auf Geschichten von Menschen, | |
| die verfolgt wurden, und man realisiert, meine Güte, das war vor 70, 80 | |
| Jahren in diesem Viertel, in dieser Stadt, das waren Leute mit | |
| Lebensentwürfen, die denen von mir und meinen Freunden ähneln. Das ist | |
| unsere Geschichte, und wenn wir uns nicht darum kümmern würden, würde das | |
| keiner machen. | |
| Wolfgang Theis: Ich bin 1970 nach Berlin gezogen. Die Schwulenbewegung hat | |
| ja nach einer euphorischen Phase dieselbe Entwicklung genommen wie die | |
| Studentenbewegung, zu Beginn war alles eins: da waren die homosexuellen | |
| Männer, wenig später stießen die homosexuellen Frauen dazu, das hat sich | |
| dann schnell wieder auseinanderdividiert, weil es nicht zusammenpasste. | |
| Erst durch Aids hat sich eine Professionalisierung ergeben, weil man wieder | |
| einen Feind hatte. | |
| Es gab Leute, die sagten, Homosexuelle sind bindungsunfähig, nicht | |
| solidarisch, die werden sich nicht um ihre Kranken kümmern, und dem musste | |
| man was entgegensetzen. Da, in den 80ern, haben sich diese Gruppen | |
| entwickelt, die dann schnell staatliche Gelder gekriegt haben: die | |
| Aidshilfen, die Gesundheitsvorsorge, das Schwule Museum. Das war am 6. | |
| Dezember 1985. Ein Jahr vorher haben wir die berüchtigte Ausstellung | |
| „Eldorado“ im Berliner Stadtmuseum gemacht, über das schwule und lesbische | |
| Berlin der 20er Jahre, das war die erste Ausstellung in einem öffentlichen | |
| Museum dazu weltweit. Ein Riesenerfolg. | |
| Es gab eine große Aufregung im Museumsverein, 5 Leute traten aus und 50 | |
| neue ein. Dann dachten wir, jetzt müssten sich die historischen Museen auch | |
| um diese Themen kümmern; da dem aber nicht so war, haben wir das Schwule | |
| Museum gegründet. Das war eine rein männliche Geschichte, wir haben die | |
| Lesben gefragt, aber sie hatten keine Lust. Weil Schwule für Frauen genauso | |
| patriarchalisch geprägt waren wie alle anderen auch. Irgendwann haben wir | |
| dann eine Lesbe, Frau Bosold, an Land gezogen und die hat angefangen, | |
| lesbische Ausstellungen zu machen. Seither hat sich das dynamisiert. Lange | |
| Zeit hatten wir ruhiges Fahrwasser, weil wir mit dem Aufbau der Institution | |
| beschäftigt waren und uns wenig um die politischen Querelen innerhalb der | |
| Szene gekümmert haben. Die haben uns inzwischen voll eingeholt. | |
| Birgit Bosold: Wir haben 2017 einen postkolonialen Schwerpunkt gemacht, der | |
| sicher was verändert hat im Haus, 2018 das Jahr der Frauen, dieses Jahr | |
| machen wir einen Transschwerpunkt. Das sind, glaube ich, die Hausaufgaben, | |
| die wir machen müssen, wenn wir wollen, dass dieses Haus in zehn Jahren | |
| noch da ist. Die Öffnung des Hauses war bisher von denen, die aktiv | |
| mitarbeiten, getragen – vor allem von den Gründungsmitgliedern. Umso mehr | |
| überraschte mich die Eskalation im Zusammenhang mit dem Jahr der Frauen, | |
| die sich bei den Neuwahlen zum Vorstand letztes Jahr zuspitzte. Es ging | |
| darum, so eine Formulierung aus dem Flurfunk, dass der bestehende Vorstand | |
| vom Hof gejagt werden soll. | |
| Es ging um eine Richtungsentscheidung und wir haben dann natürlich | |
| getrommelt und Wahlkampf gemacht. Etwa 50 neue Leute sind eingetreten, | |
| haben mit abgestimmt. Das hat dazu geführt, dass der bestehende Vorstand | |
| und sein Team bestätigt wurde. Unsere Kampagne wurde uns als illegitime | |
| Manipulation vorgeworfen. Das Schwule Museum ist aber nicht Privatbesitz | |
| eines wie auch immer historisch gewachsenen und ja auch immer zufällig | |
| zusammengesetzten Vereins. Finanziert werden wir aus öffentlichen Mitteln | |
| und deshalb gehört das Museum – so verstehe ich das – allen Queers in der | |
| Stadt. | |
| Recep Özdas: Ich bin 29 und letzten September aus der Türkei nach Berlin | |
| gezogen, um hier meinen Doktor zu machen. Ich habe meinen Job an der Uni in | |
| der Türkei aufgegeben, weil es politisch und sozial immer schlimmer wurde. | |
| Ich bin kurdisch und halb-armenisch, ich habe auch iranische Wurzeln – der | |
| Mittlere Osten eben, alles ist vermischt. Meine Familie definiert sich als | |
| kurdisch-muslimisch, ich bin kein praktizierender Muslim. | |
| Ich bin außerdem ein schwuler Mann, vielleicht helfen diese Informationen. | |
| Im Schwulen Museum habe ich drei Monate lang ein Praktikum gemacht. Ich mag | |
| den Ort, aber ich glaube, wir Queers brauchen keine offizielle | |
| Geschichtsschreibung, wir müssen die Dinge nicht so formalisieren wie alle | |
| anderen. Ich weiß, dass auch unterdrückte Minderheiten eine Erinnerung | |
| brauchen, aber ich finde, sie sollte anders zustande kommen, mit anderen | |
| Techniken. Das Schwule Museum ist mainstream. | |
| Die alten schwulen Männer im Museum wollen den Raum nicht teilen, aber sie | |
| müssen mit ihren Privilegien aufhören. Die jüngeren schwulen Männer sind | |
| sich dessen sehr bewusst, aber irgendwie können sie nichts ändern. Die | |
| letzte Vorstandswahl hat etwas geändert, glaube ich. Es gab Debatten um | |
| Feministinnen und Queerfeministinnen, das war spannend. | |
| Wolfgang Theis: Im Nachhinein war es schade, dass die Lesben sich | |
| abgespalten haben. Wir haben aber auch dazu beigetragen, wir hätten uns | |
| mehr um sie bemühen müssen. | |
| Birgit Bosold: Diese Allianz zwischen Schwulen und Lesben – ob die so | |
| sinnvoll ist? Ich glaube, es ist ein kolossales Missverständnis, dass für | |
| beide Gruppen dasselbe Wort benutzt wird: homosexuell – und dass daraus | |
| gleiche oder ähnliche Interessen abgeleitet werden. Ich glaube, dass es | |
| vollkommen richtig war, dass sich die 70er-Jahre-Lesben verabschiedet haben | |
| und in die Frauenbewegung gegangen sind. Für lesbische Frauen geht es in | |
| erster Linie um die Kritik der Geschlechterhierarchie, um eine | |
| feministische Agenda also, und die war und ist für die schwule | |
| Emanzipationsbewegung wenig relevant. Denn bis du mal diskriminiert wirst | |
| als Lesbe, bist du schon tausendmal diskriminiert als Frau. | |
| Till Amelung: Ich möchte mich da nicht aus dem Fenster lehnen und etwas | |
| unterstellen, aber ich habe gehört, dass Frau Bosold ein Problem mit | |
| Männern haben soll. Wir sind an dem Punkt, dass von ihr als Vorstand Kritik | |
| an schwulen Themen kommt. Aber das ist doch ein schwules Museum? Das hat | |
| als Sammlung von schwuler Geschichte angefangen. | |
| Birgit Bosold: Ein Problem mit Männern? Ich bin einfach Feministin. In | |
| meinem Verständnis muss queere Politik feministische Anliegen und den Kampf | |
| gegen Sexismus und Misogynie selbstverständlich und zentral auf der Agenda | |
| haben. | |
| Wolfgang Theis: Es gibt schon Gemeinsamkeiten zwischen Schwulen und Lesben, | |
| dass man außerhalb der Norm steht. Die Norm wird ja heute mehr infrage | |
| gestellt, aber früher gab es nur Mann/Frau/hetero. Schwule wissen wenig | |
| über Lesben, Lesben wissen wenig über Schwule. Die Gesellschaft hat sich | |
| nicht verändert, weil Schwule für ihre Rechte eingetreten sind, sondern | |
| weil es eine starke Frauenbewegung gab, die viele Verhältnisse zum Tanzen | |
| gebracht hat. Die Schwulen sind die Kriegsgewinner der Frauenbewegung. | |
| Peter Rehberg: So wie ich die Lagerbildung wahrnehme, gibt es die einen, | |
| die sagen: Diese Ausdifferenzierung, die in den letzten 30 Jahren | |
| stattgefunden hat, bringt nicht so viel, wir müssen zu einer | |
| schlagkräftigen linken Position zurück, gerade wenn es um eine Verteidigung | |
| nach außen geht, wenn man zum Beispiel sagt: Berlin ist von 30 Prozent | |
| AfD-Wähler*innen in Brandenburg umzingelt. | |
| Das heißt in der Konsequenz, dass das, womit sich die Queer Theory in den | |
| letzten 30 Jahren beschäftigt hat, also Judith Butlers Kritik am | |
| Gender-Essentialismus, das Hervorstreichen von Performativität, die | |
| Bedeutung von Intersektionalität – dass man also auch innerhalb der queeren | |
| Szene Machtverhältnisse kritisiert –, dass das wieder abgewickelt wird. Man | |
| kann aber nicht wieder zurück in die 70er Jahre. Du kannst die Frage von | |
| Gender nicht ohne die Frage von Rassismus stellen, weil in dem Moment, wo | |
| du über Männlichkeit sprichst, sprichst du immer auch über das Verhältnis | |
| von weißer Männlichkeit zu anderen Männlichkeiten. | |
| Wolfgang Theis: Wenn nur noch mit Judith Butler argumentiert wird, fühlen | |
| sich bestimmte Gruppen außen vor, es ist zu akademisch, zu abgehoben, nicht | |
| mehr deren Lebenswirklichkeit. | |
| Recep Özdas: Ich habe mit Peter in der Bibliothek und dem Archiv gearbeitet | |
| und versucht, das Schwule Museum mit migrantischen Organisationen zu | |
| verbinden. Das ist gescheitert, muss ich zugeben. Das Museum hat Probleme, | |
| mit anderen Communities zusammenzuarbeiten, mit Geflüchteten zum Beispiel. | |
| Alle finden das gut, aber niemand tut etwas. Die stecken in einer sehr | |
| rationalen, deutschen, bürokratischen Struktur fest. Wenn ich könnte, würde | |
| ich einfach sagen: Okay, kommt vorbei, arbeite hier, das ist ein Anfang, | |
| eine Verbindung. Aber die Leute vom Museum sagen: Aber Recep, samstags | |
| haben wir geschlossen und wer hat dann einen Schlüssel? Sie planen alles! | |
| Diese Kultur steht im Widerspruch zu einem queeren Mindset. | |
| Wolfgang Theis: Es gibt nicht nur zwischen Schwulen und Lesben | |
| Knirschstellen, sondern auch zwischen den Generationen. Das ist fehlender | |
| Respekt. Aber ich meine, wenn man reflektiert, wie man selbst mit 20 war, | |
| dann relativiert sich das auch wieder. Natürlich ist es merkwürdig, wenn | |
| man sich nach 30 Jahren Museumserfahrung von einem 20-Jährigen erzählen | |
| lassen muss, wie man Ausstellungen machen sollte. Das ist schon hart. | |
| Aber ohne geht’s ja nicht. Heute ist alles so ideologisch. Man muss sich | |
| immer ganz genau ausdrücken, man kriegt unterstellt, dass man rassistisch | |
| ist und all so was. Wir alten weißen schwulen Männer haben ja auch etwas | |
| getan für unsere Privilegien, die sind nicht vom Himmel gefallen. Vor | |
| allem: Was heißt weiß? In der Regel ist die deutsche Gesellschaft | |
| überwiegend weiß. Der Critical-Whiteness-Diskurs entstammt dem akademischen | |
| amerikanischen Milieu und passt bei uns nicht immer. | |
| Till Amelung: Schwule weiße Männer sind nicht privilegiert. Es gibt nach | |
| wie vor Studien, die bestätigen, dass es Schwulen und Lesben im Vergleich | |
| zur Heterosexuellen im Durchschnitt schlechter geht, der Anteil ist höher, | |
| der psychische Erkrankungen hat, gestresst ist. Natürlich ist insgesamt | |
| etwas besser geworden, man kann Bürgermeister von Berlin werden oder | |
| Außenminister, aber das heißt ja nicht, dass es allen schwulen Männern so | |
| geht. Es wird mit diesen Kategorien weiß/schwul/cis ein Bild vermittelt, | |
| das nicht an Differenzierung interessiert ist. | |
| Peter Rehberg: Ich finde junge Queers manchmal auch naiv oder ahistorisch. | |
| Wir haben hier ungefähr 60 Ehrenamtliche, die uns helfen in der Bibliothek, | |
| im Archiv, im Café oder bei der Aufsicht. Die meisten von denen sind | |
| schwule Männer, das hier ist auch ein kulturelles Zuhause. Viele fühlen | |
| sich dem Museum seit 20 Jahren verbunden. Das ist eine Generation von | |
| schwulen Männern, für die HIV eine ganz andere Rolle gespielt hat als | |
| heute. Die Tragödien, die sich abgespielt haben. Denen kannst du nicht | |
| einfach vor die Füße knallen: Ihr seid weiße Cis-Männer und müsst jetzt mal | |
| eure Macht im Museum abgeben. | |
| Das clasht einfach. Diese Kategorie, die ja als Machtanalyse zutrifft, | |
| trifft hier auch manchmal ins Leere, weil es natürlich nicht so ist, dass | |
| alle weißen schwulen Männer in einer privilegierten oder ökonomisch | |
| abgesicherten Position wären. Mit diesem Widerspruch muss man umgehen. | |
| Vielleicht ist es auch ein Recht der Jugend, mit einer gewissen Arroganz | |
| aufzutreten – aber da sind die Feindbilder in der Wirklichkeit nicht so | |
| stabil, wie oft getan wird. | |
| Birgit Bosold: Es geht bei den aktuellen Konflikten in den queeren | |
| Communities um Verletzungen. Darum, nicht für die eigene Lebensleistung | |
| anerkannt, nicht gesehen zu werden. Etwa bei den Auseinandersetzungen | |
| zwischen den Second-Wave-Feministinnen und jüngeren Queerfeministinnen. Ich | |
| vermisse auch manchmal die alten Zeiten mit den vielen Lesben- oder | |
| Frauenkneipen und einer quicklebendigen großartigen Lesbenszene. Aber ich | |
| verstehe auch, dass das offenbar nicht mehr gebraucht wird, weil für junge | |
| Queers andere Allianzen wichtig sind, andere kollektive Formen. Alle | |
| Konflikte, die wir haben, laufen ja so ähnlich in der Gesamtgesellschaft. | |
| Da gibt es auch Leute, die sich nach dem alten Geschlechterregime | |
| zurücksehnen, in dem biologische Merkmale den gesellschaftlichen Status | |
| bestimmt haben. Ein anderer Großkonflikt, der sich in der queeren Community | |
| abbildet, ist der um die Entkolonisierung der Gesellschaft. Wir leben in | |
| einer Einwanderungsgesellschaft und das bedeutet, dass die, die von | |
| Rassismus betroffen sind, eine Stimme haben und die auch nutzen und der | |
| sogenannten Mehrheitsgesellschaft die Definitionsmacht streitig machen. | |
| Wolfgang Theis: Der Dialog mit der Jugend ist schwierig. Das ist leider | |
| eine Erfahrung, die man mit zunehmendem Alter macht, dass man eigene | |
| Erfahrungen nicht vermitteln kann. Aber die Jugend hat das Rad ja immer neu | |
| erfunden. Wir als junge Schwule, vor 50 Jahren, haben natürlich die | |
| damalige Schwulenbewegung, die bürgerliche, die sich immer anständig und | |
| angepasst präsentiert hat und gegen den Paragrafen 175 gekämpft hat, die | |
| haben wir ja auch vor den Kopf gestoßen, weil wir uns Schwule nannten, das | |
| war ja eins der schlimmsten Schimpfworte. | |
| Die haben sich homophil genannt, offiziell hatten die auch keinen | |
| Analverkehr, das war eins der größten Tabus überhaupt, und wir haben uns | |
| darüber hinweggesetzt, mit viel Bibbern und Angst. Das Vorbild waren die | |
| Black Panthers in Amerika, die gesagt haben: Black is beautiful. Die haben | |
| Begriffe so umbesetzt. Als wir uns „Schwules Museum“ nannten und abhängig | |
| waren von alten Herren, die uns was zur Geschichte geben oder erzählen | |
| sollten, die waren immer ganz entsetzt, wieso wir uns nicht | |
| Freundschaftstempel oder Museum der Homophilen nannten. | |
| Birgit Bosold: Der Name muss geändert werden. Wir hatten vor zehn Jahren | |
| diese Debatte und konnten uns nicht durchringen, das Ganze „Queeres Museum“ | |
| zu nennen, weil zu der Zeit noch nicht klar war, ob sich der Begriff | |
| durchsetzt. Ich würde sagen, dass es jetzt so ist. | |
| Wolfgang Theis: Ich finde den Namen immer noch gut. Irgendwann wird er wohl | |
| mal gecancelt, aber das ist halt ein Markenzeichen. Wir waren das erste | |
| schwule Museum und wir sind Vorbild für alle, die es inzwischen gibt. Wenn | |
| wir früher Quittungen brauchten, haben die Leute gefragt: Schulmuseum? | |
| Nein, schwul, mit w! Jede Quittung war ein Emanzipationsakt. | |
| Peter Rehberg: Natürlich fühlen sich Schwule von diesem Ort anders | |
| angesprochen als andere, solange das Museum „Schwules Museum“ heißt. Das | |
| ist ein Handicap, wenn wir uns als queer in einem inklusiven Sinn | |
| verstehen, und das tun wir. Ich finde aber, wir sollten den Namen trotzdem | |
| beibehalten. Die Kategorie „queer“ ist im Deutschen sehr abstrakt. Sie | |
| bedeutet irgendwas mit lesbisch und schwul und mehr als das. Manchmal neigt | |
| sie auch dazu, inhaltsleer zu sein. | |
| Da steht dann „queer“ drauf und irgendwie klingt das hip. In den USA ist es | |
| anders. Als ich in Amerika unterrichtet habe, gab es ältere schwule | |
| Kollegen, die es von sich gewiesen haben, als queer bezeichnet zu werden, | |
| weil das Wort für diese Generation noch eine Beleidigung war. In | |
| Deutschland erinnert „schwul“ an die Geschichte des Paragrafen 175, | |
| „schwul“ ist ein Schimpfwort auf Schulhöfen, immer noch. | |
| Recep Özdas: Ich hoffe, es wird sich etwas ändern in den nächsten Jahren. | |
| In Kreuzberg und Neukölln sind viele schwule Migranten, viele sind nicht | |
| geoutet, Schwule in muslimischen Umgebungen, Sexarbeiter, denen es wirklich | |
| nicht gut geht. Das ist queer für mich. Das Schwule Museum ist angepasst, | |
| was die Regierung angeht, was die Welt angeht. Lasst uns nicht über schwule | |
| europäische Literaten reden, wir brauchen Oscar Wilde nicht, jeder kennt | |
| ihn. Geh in einen Buchladen und kauf dir Dorian Gray. Die schwulen Escorts | |
| aus Westafrika sollten stattdessen dieses Museum benutzen. Wir müssen die | |
| Gesellschaft erreichen, nicht nur unser persönliches Umfeld. | |
| 28 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Viktoria Morasch | |
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