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# taz.de -- Lesbenfeindlicher Übergriff: „Homophobie tut höllisch weh“
> Berlin gilt als die queere Hauptstadt Europas. Doch auch hier kommt es
> immer wieder zu homophoben Übergriffen. Der Bericht einer Betroffenen.
Bild: Manche können sich nicht ganz so frei bewegen wie andere, sie brauchen S…
Es gibt nicht viele Orte auf der Welt, wo es stinknormal ist, mit seiner
Partnerin und der gemeinsamen Tochter im Spätsommer Hand in Hand nach Hause
zu laufen. Berlin ist einer von ihnen. Weil wir hier frei sind von Blicken
und Kommentaren, zogen wir aus Paris extra her, vor acht Jahren war das,
ohne Kind und ohne Plan. Auf der Suche nach einem friedlichen Leben, in
einer Stadt, wo unsere Homosexualität nicht nur akzeptiert wird, sondern wo
sie schlicht keine Rolle spielt. Wir sind Franziska* und Anna. Punkt, aus,
finito. Seit fünf Jahren haben wir eine Tochter, Emma. Sie wurde in diese
Selbstverständlichkeit hineingeboren und suhlt sich in der Gewissheit, dass
das Leben schön ist.
Ein Abend im September vergangenen Jahres. Es ist noch sehr warm, als der
Bus gegen 20 Uhr auf der Beusselbrücke ankommt, wir sammeln unsere Sachen
zusammen und steigen aus. Dabei werde ich von hinten von einem Typen
angerempelt, der es anscheinend eilig hat, er drängelt sich unachtsam
durch. Draußen bleibt er mitten im Weg vor uns stehen und fummelt an seinen
Kopfhörern herum. Als ich an ihm vorbeigehe, schaue ich ihn an und sage, er
möge sich bitte etwas beruhigen. Er steht immer noch da und antwortet mir
nicht. Egal. Wir gehen weiter, entzückt von dem schönen Sonnenuntergang.
Ich merke, dass der Typ uns auf den Fersen ist. Er murmelt etwas, dann wird
er lauter „I wanna fuck you both, I wanna fuck you two“ mehrmals
hintereinander. Emma merkt davon nix, sie ist als Großstadtkind daran
gewöhnt: Wildfremde Leute sind manchmal merkwürdig, aber einer echten
Berlinerin ist das ja schietejal.
Im Gegensatz zu ihr verstehen Anna und ich sofort, was los ist. Als
lesbisches Paar sind wir für viele Männer ein Lustobjekt im Doppelpack. Wir
werden angebaggert, als hätten wir ein Schild über dem Kopf, auf dem steht:
„Wir sind eigentlich gar nicht lesbisch, wir wollen euch doch nur heiß
machen!“
Ich drehe mich plötzlich zu ihm um, stehe direkt vor ihm. Ich sage nichts,
sondern schaue ihm böse in die Augen. Daraufhin fragt er: „You wanna fuck?“
und schlägt mir mit der Faust voll ins Gesicht. Es dauert einen Bruchteil
einer Sekunde, mir tut die Nase höllisch weh. Anna stellt sich vor mich,
und ehe sie irgendwas unternehmen kann, schlägt er ihr ebenfalls ins
Gesicht, gleich zweimal. Die Wucht lässt sie einen großen Schritt nach
hinten taumeln, was Emma nach hinten schubst. Sie landet auf dem Fahrradweg
und heult. Vor Schmerz oder vor Schreck, wahrscheinlich beides.
Ich bin wieder bei mir und schreie den Typen laut an, ich würde nun die
Polizei rufen. Ich halte mein Handy hoch, als wäre es ein Zauberstab. Er
geht rückwärts, dreht sich um und wird immer schneller, läuft zurück in
Richtung Bushaltestelle. Ich laufe hinterher, immer noch mit dem Handy
winkend, aber als er schließlich anfängt zu rennen, versuche ich nur noch,
ein Foto von ihm zu machen.
Ich renne zurück zu meinen Damen, beide weinen und ich jetzt auch. Der Typ
ist zwar weg, aber er hat es geschafft, in nicht mal fünf Minuten all das
ins Wanken zu bringen, was wir bisher als solide empfunden haben. Wir
wurden vor den Augen unserer Tochter von einem Mann angegriffen.
Wir teilen uns auf, Anna bleibt auf der Brücke und ruft die Polizei, ich
gehe mit dem Kind nach Hause. Auf dem Weg beruhigt sie sich ziemlich
schnell und legt los: Tausend Fragen, die ich nun beantworten muss, obwohl
ich sie eigentlich selbst gerne jemandem stellen würde. Wer war das? Warum
hat er das getan? Hat er nicht gesehen, dass ein Kind dabei ist? Warum haut
er euch, obwohl er uns gar nicht kennt?
Lesben haben zwei verwundbare Eigenschaften: Sie sind Frauen und sie sind
homosexuell. Sie werden also aus zwei Gründen von Menschen missachtet.
Diese doppelte Verwundbarkeit ist da, egal wo in Europa, auf der Welt, sie
zieht mit und gehört quasi zur Familie.
Die Polizei ist binnen Minuten vor Ort, die Jungs sind hochmotiviert, den
Typen zu schnappen. Sie bitten Anna in den Streifenwagen und durchkämmen
die Straßen von Moabit. Leider vergeblich.
Hinterher fragen wir uns: Warum haben die anderen Leute an der
Bushaltestelle nicht geholfen? Es fahren drei Busse und die Ringbahn an
dieser Station, da waren mindestens 15 Leute. Keiner hat sich erkundigt, ob
es uns gut geht, keiner hat Fotos gemacht, keiner hat die Polizei gerufen.
Nichts.
## Ermittlungsverfahren eingestellt
Die BVG will die Videoaufnahmen von unserem Bus zur Verfügung stellen,
zieht dann aber aus Versehen die falschen Bilder raus. Die relevanten
Aufnahmen werden gemäß Datenschutz gelöscht. Das Ermittlungsverfahren gegen
unbekannt wird schließlich eingestellt.
Die Straftat lautet Körperverletzung. Dass wir lesbisch sind, wird nirgends
erwähnt, obwohl wir es gesagt haben, obwohl klar ist, dass wir die Eltern
des Kindes sind. Trotzdem wird nicht aufgenommen, dass es eine homophobe
Straftat war.
Wir wollten doch eigentlich, dass wir nicht als Lesben gesehen werden,
sondern einfach nur als das, was wir sind, als Franziska, Anna und Emma.
Aber um „wir“ sein zu können, brauchen wir immer noch besonderen Schutz,
egal wo. Homophobie ist noch da, sie ist real und sie tut höllisch weh.
Auch im hippen Berlin, oui Madame.
*Die Autorin will mit ihrer Familie nicht öffentlich in Erscheinung treten,
deshalb sind alle Namen geändert.
19 Jul 2019
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