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# taz.de -- 50 Jahre Stonewall: Wo Freiheit anfängt
> Bei einer Razzia im Stonewall Inn in New York wehrten sich Homosexuelle
> 1969 erstmals gegen Diskriminierung. Bis heute erinnert der CSD daran.
Bild: Da geht es lang
In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 war die New Yorker Bar Stonewall
Inn in der Christopher Street wieder einmal Opfer einer polizeilichen
Razzia. Aber erstmals in der Geschichte der „Queers“, der Schrägen, der
Schwuchteln und der Hinterlader*innen wurde diese Zumutung, die nach
Erpressung und öffentlicher Bloßstellung roch, zurückgewiesen. Und zwar,
und das ist die Pointe, nicht mit gutem Gegenreden, sondern militant. Sogar
Steine sollen geflogen sein.
So geht die Überlieferung, so wird das Märchen vom Aufstieg der modernen
Bewegung der Schwulen und Lesben und Trans* und Intersexuellen erzählt.
Eine Story, die davon kündet, aus subkulturellen Kellern ins Licht der
politischen Selbstermächtigung gefunden zu haben. Jedes Jahr erinnert der
Christopher Street Day an die Ereignisse von 1969.
„Stonewall“ ist seither die Chiffre für den Beginn einer Bewegung von
Schwulen, Lesben und Trans*menschen, die die heterosexuell orientierten
Privilegien anfechten: Wir ducken uns nicht mehr, wir lassen uns Gewalt
nicht mehr gefallen. Dieser Befreiung widmete der US-amerikanische Künstler
George Segal ein Denkmal. Gegenüber der Bar steht in einem kleinen Park an
der Christopher Street ein Ensemble aus Gips: zwei Paare, ein männliches,
ein weibliches, die Präsenz von gleichgeschlechtlich Begehrenden, sich
Liebenden.
Die Bar gibt es noch immer, kein Chichi-Interieur, üblicher
Bierschwemmenlook, aber wie alle Bars von Schwulen und ihren Freund*innen
ist auch sie eher mäßig besucht. Seit den errungenen Liberalisierungen und
Freiheitsgewinnen ist es um die Präsenz von öffentlichen Lokalen von
Schwulen und Lesben eher schlecht bestellt, überall auf der Welt.
## 50 Jahre Kampf um Freiheit
Neulich, zum Jahreswechsel, war das Stonewall Inn prall gefüllt, zumal ein
Star zu Gast war, dem es sehr daran gelegen war, diesen Ort zu würdigen:
The one and only Madonna, die ihre gesamte Karriere auf die Unterstützung
von Schwulen und Lesben aufbauen konnte. Sie sagte: „Ich stehe hier stolz
an dem Ort, wo Pride seinen Anfang nahm, dem legendären Stonewall Inn.“ Man
komme zusammen beim Jahreswechsel, um „50 Jahre Revolution, 50 Jahre Kampf
für Freiheit, 50 Jahre von Blut, Schweiß und Tränen“ zu feiern.
Sie hat ja recht: Es gab in der Nacht Festnahmen, darüber hinaus
Misshandlungen, Schläge und Verletzungen. Die „Riots“ dauerten Tage, „Gay
Power!“ war der Schlachtruf der Nächte.
Aber wie auch Madonna selbst, wie alle Ikonen, die Schwule und Lesben
verehren, haben auch die sogenannten Stonewall Riots viel an sich, das
womöglich nicht stimmt. Jedenfalls nicht in den Einzelheiten. Die gängige
Erzählung lautet, dass hauptsächlich weiße homosexuelle Männer in dieser
Nacht für die Freiheit kämpften. Aber ist es so gewesen? War der Aufstand
womöglich gar nicht durch diese in Schwung gekommen, sondern durch die
Dragqueens und Trans*personen? Waren afroamerikanische Homos dabei,
Latinos? Und wie war es um die Lesben bestellt?
Die einen sagen so, die anderen so. Tatsache ist, dass die allermeisten
Besucher*innen des Stonewall Inn Männer waren, und Dragqueens. Männer im
Travestielook, die geschlechtliche Ambivalenz aus Weiblichem und Männlichem
mit Lust ausleben. Frauen wurden an dem Abend gewiss auch gesehen, People
of Color ebenso – das Viertel, in dem die Bar liegt, war nicht so hip, so
teuer und durchsaniert wie heutzutage. Es war das damalige Jerusalem der
Singer-Songwriter. Künstler*innen wie Bob Dylan, Joni Mitchell und viele
andere hatten ihre ersten Performances in Lokalen des Viertels. Es mischte
sich dort, was nichts mit dem Mainstream des sauberen Amerika zu tun hatte.
## Kinder ihrer Zeit
Schon vor den Aufständen in New York im Sommer vor 50 Jahren hat es
intensiv arbeitende Bewegungen gegeben, die für ein Recht auf Sichtbarkeit
von Lesben oder Schwulen kämpften. Sie wollten zum Gegenstand öffentlichen
Sprechens werden, sie wollten endlich sagbar sein und selbst das Wort
erheben. Alles, damit der heterosexuelle Mainstream nicht mehr weiter
unangefochten sein Gift und seine Gehässigkeiten verbreiten und seine Macht
der Entwertung ausüben konnte.
Wer kürzlich die TV-Serie „Masters of Sex“ über die
medizinisch-sexualaufklärerische Arbeit der US-Amerikaner Virginia Johnson
und Bill Masters sah, konnte dies als akkurates Dokument einer Zeit lesen,
die unmittelbar vor den Stonewall-Inn-Unruhen lag. Eine Zeit, als es
„Women’s Lib“, den Feminismus, schon gab, als Andy Warhol längst berühmt
war und die antirassistischen Kämpfe mit Martin Luther King an der Spitze
begannen, öffentlich für die Bürgerrechte von Schwarzen einzustehen.
„Masters of Sex“ zeigt, dass jedes Reden über Sexuelles skandalös war,
igitt, schmutzig und darum den Weg über die sauber anmutende Medizin nehmen
musste, um so etwas wie sexuelle Selbstbestimmung zu thematisieren. Schwule
oder lesbische Organisationen hatten es schwer. Sie hatten ihre Gründe,
nicht militant zu werden, sie wussten, dass sie in den Augen der
bürgerlichen Gesellschaft jener Jahre Aussätzige werden würden, käme ihre
Art des Liebens und Begehrens öffentlich heraus: misfits, nicht
gesellschaftsfähig, Verstoßene und zum Verstecken Gezwungene.
Nicht nur moralisch, sondern ganz handfest: Lesben und Schwule, von
Trans*personen ganz zu schweigen, hatten in jeder Hinsicht mit
Berufsverboten zu rechnen, wurden sie als Queers kenntlich.
Die Aktionen in und vor dem Stonewall Inn passten natürlich ins
gesellschaftliche Klima ihrer Zeit. Sie wurden jedoch wie ein wirklich
gutes, spannendes, nie endendes Märchen immer weiter erzählt, und zwar
global. Der australische Politikwissenschaftler Dennis Altman hat in seinem
Buch „Queer Wars“ (auch auf Deutsch erschienen) penibel die Folgen der
militanten Impulse von New York City im Juni 1969 nachgezeichnet. Sein Buch
beschreibt die Fortschritte und die stetigen Kämpfe der LGBTI*Q-Bewegung in
den letzten Jahrzehnten, durchaus auch in Ländern, in denen man es nicht
erwartet.
## Von „Stonewall“ ins Heute
In fast allen Ländern der Welt, momentan besonders intensiv auf dem
asiatischen und dem afrikanischen Kontinent, arbeiten Lesben und Schwule
mit energischster Kraft an ihrer Präsenz in ihren jeweiligen Staaten. Sie
wollen Freiheitsgewinne erzielen, von denen ihre Vorfahren nicht einmal
ahnten, dass sie möglich sein könnten. Das Südafrika Nelson Mandelas zum
Beispiel war ein Staat, der durch seine Verfassung LGBTI*-Menschen bestens
schützte. Aber auch in Ländern wie dem Kongo, Gabun, Ruanda, diskreter auch
in Ghana und Senegal sind queere Bürgerrechtsgruppen unterwegs, um ihr
schlichtes Sein zu artikulieren.
Allerdings: In arabischen Staaten ist Homosexualität meist mit der
Todesstrafe belegt. Hier herrschen Verhältnisse, die Schwules und
Lesbisches ohne Erbarmen bedrohen.
Ob das entmutigen muss? Wozu wäre das gut? In der Nacht zum 28. Juni 1969
wären den Kämpfenden, gleich welcher Herkunft, solche Fragen absurd
vorgekommen. Sie wollten, wie alle Queers weltweit, in Ruhe und unbehelligt
leben, privat und öffentlich. So wie alle.
„Stonewall“ war ein Anfang von Freiheit – und zwar ein hart erkämpfter.
Erst vor Kurzem hat sich New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio im Namen
der Polizei seiner Stadt für die Razzien von damals entschuldigt. Gut so,
immerhin.
27 Jun 2019
## AUTOREN
Jan Feddersen
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