| # taz.de -- Klaus Theweleits „Männerphantasien“: Schwule Aggressorenidenti… | |
| > Fluten, bluten, strömen: Vor 40 Jahren erschienen erstmals Theweleits | |
| > „Männerphantasien“ – und sind heute noch beunruhigend aktuell. | |
| Bild: Klaus Theweleit versteht nicht nur was von Hemden | |
| „Was den Körpern der Menschen wirklich geschehen ist, was sie gefühlt | |
| haben, hat die Historiker bisher nicht interessiert“, behauptet Klaus | |
| Theweleit an einer Stelle seiner „Männerphantasien“. Und folgert, dass eine | |
| „andere Wissenschaft“ sich daran messen lassen müsse, „ob sie in Verbind… | |
| tritt auch mit Erfahrungen und Gefühlen des Lesers, mit Erscheinungen aus | |
| dessen eigenem Leben, mit der Existenz seines eigenen Leibs“. | |
| Eine solche Erscheinung ist schon das Buch selbst: sein Leib, wie er | |
| vegetiert in der Hand, sich beständig der Gravitation, Lektüre und | |
| Insektenbesiedelung hingibt. Meinen habe ich vor gut drei Jahren erworben, | |
| angelockt von einem der schmierigsten Wortkombinate, die die deutsche | |
| Sprache bereithält: unbedingt lesen! | |
| Und natürlich vom lustvollen Titel. Es ist gebraucht, im Internet bestellt, | |
| vor allem, weil ich dachte, für die 30 Euro Kosten beide Bände zu erhalten. | |
| Das hat das Schicksal verhindert (und mich außerdem drei Jahre lang vom | |
| Lesen abgehalten); wie gut da, dass ausgerechnet dieser Tage, nachdem ich | |
| mich im Sand zwischen den Bunkern der dänischen Nordseeküste durch den | |
| ersten Band gewälzt habe, eine neue, einbändige Ausgabe im Matthes & | |
| Seitz-Verlag erscheint. | |
| ## Klug über Faschismus | |
| Das Überbordende, Fließende, das Theweleit an der freien Lust ausmacht, | |
| prägt auch sein eigenes, umfangreiches Buch. Denn es ist vor allem deshalb | |
| zu einem der klügsten Werke über Faschismus, Männlichkeit und Triebe | |
| geworden, weil Theweleit sich hat tragen, sich hat mitreißen lassen. In der | |
| Bekenntnisliteratur der Korps-Offiziere und späteren Nazi-Größen stößt er | |
| nämlich auf Angst vor Frauen, vor Potenzverlust, auf das Begehren nach der | |
| verbotenen Schwester, die Unabgelöstheit von der – bumm! – Mutter. | |
| Ödipus. Analyse. Aber er bleibt dort nicht stehen; bricht vielmehr mit dem | |
| Dogmatismus der „Ideologiekritiker“ Frankfurter Schulzuschnitts. Und | |
| betrachtet nicht die Gründe oder Ungründe einer zu kurz gekommenen | |
| Vernunft: sondern die Körper selbst. | |
| Im körperlichen Begehren und Ablehnen der „roten Flut“ (Kommunismus, | |
| personifiziert in der sexuell aktiven Frau) durch Offiziere und Soldaten | |
| erkennt er einen starren „Körperpanzer“. Den Begriff übernimmt Theweleit | |
| von Norbert Elias, um, über diesen hinausgehend, den lange eingeübten | |
| Prozess der Machtsicherung über die männlichen, beherrschten Körper zu | |
| bezeichnen, in welchem ihre Ambitionen auf Anfechtung der Herrschaft immer | |
| wieder gezielt auf das Begehren nach Beherrschung „ihrer“ Frauen gelenkt | |
| worden seien. | |
| ## Diener der Herrschaft | |
| Statt realen Geschlechtsverkehr zu normalisieren, seien Frauen dafür in | |
| Huren und Heilige unterteilt worden. Jede Kritik also, die, statt auf die | |
| Herrschaft selbst, auf die vermeintlich verkommene Moral der Herrschenden | |
| ziele, mache sich zu deren Diener. Denn sie helfe dabei, wiederum den | |
| Beherrschten eine noch rigidere Moral aufzuerlegen – so lange, bis, wie | |
| vielerorts im Deutschland des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, | |
| prinzipiell jeder Körper unter Schmutzverdacht (und damit | |
| Vernichtungsgebot) gestanden habe; außer dem soldatisch-pflichtbewusst | |
| aufrechten und dem mütterlich-reinen. | |
| Daraus folgt, dass der Faschismus nicht weg ist. Als „ständig präsente oder | |
| mögliche Form der Produktion des Realen“ kann er „auch unsere Produktion | |
| sein“. Das zentrale Thema der Rechten auch heute ist ja nicht Wirtschaft, | |
| Armut, Verstand – sondern Sexualität. Der Zugang zum Körper der idealen | |
| reinen Frau. Er muss sauber (und damit unerreichbar) bleiben. | |
| Merkwürdigerweise fällt Homosexualität, jedenfalls in Band 1, nahezu | |
| komplett aus der Betrachtung heraus. Dabei ist sie ein Musterbeispiel in | |
| dem Streit zwischen „Fluten“ und „Trockenlegung“, zwischen Widerstand u… | |
| Assimilation. | |
| Mit dem wunderschönen Begriff der „Zweifrontenschicht“ (wiederum von Elias | |
| entlehnt) lassen sich nicht zuletzt jene Schwulen (fast nie Lesben oder | |
| Trans*-personen) charakterisieren, die sich mit dem Aggressor | |
| identifizieren und denen es nun auch mal genug mit der Befreiung der | |
| Lustströme ist. | |
| ## Am besten steril | |
| Wer dazwischen oder irgendwo anders herumtreibt, stört da nur; stattdessen | |
| soll sich lieber jeder in die Hühnerleiter der Geilheit einreihen, ficken | |
| oder sich ficken lassen, und am besten alles schön steril. Zugleich ist | |
| dabei der Dammbruch des Lustobjekts, wie bei den Soldaten nach dem Ersten | |
| Weltkrieg, das Ekligstmögliche und das heimlichst Herbeigesehnte. | |
| Kurz: unbedingt lesen! Lassen Sie es fließen. | |
| 2 Aug 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Adrian Schulz | |
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