# taz.de -- Ska Keller über die Europawahl 2019: „Dies ist eine Klimawahl“ | |
> Den Menschen ist bewusst geworden, dass die Klimakrise real ist, sagt Ska | |
> Keller, Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl. | |
Bild: „Wir brauchen eine starke ökologische Kraft im neuen Europaparlament�… | |
taz: Frau Keller, in wenigen Tagen beginnt die Europawahl. Wie ist die | |
Stimmung bei den Grünen kurz vor dem Endspurt? | |
Ska Keller: Der Wahlkampf macht Spaß. Wir verspüren als Grüne sehr viel | |
Unterstützung in ganz Europa und es wirklich toll, ein Teil des Ganzen zu | |
sein. | |
Sie haben an vielen Fernsehdebatten teilgenommen. Ist nun alles gesagt, | |
oder gibt es noch eine wichtige Botschaft? | |
Meine Botschaft ist klar: Dies ist eine wichtige Wahl, und alle sollten | |
sich genau überlegen, in welche Richtung die EU künftig gehen soll. Die | |
zweite Botschaft ist: Wir müssen dringend handeln, um unsere natürlichen | |
Lebensgrundlagen zu erhalten. Deshalb ist das auch eine Klimawahl. Die gute | |
Nachricht: Wir wissen, was zu tun ist, und die nötigen Instrumente liegen | |
auf dem Tisch. Um sie auch einzusetzen, brauchen wir eine starke | |
ökologische Kraft im neuen Europaparlament. | |
Die Klimapolitik hat sich zum wichtigsten Thema dieses Wahlkampfes | |
entwickelt. Wie kommt das? Bis vor kurzem hieß es noch, es gehe um | |
Migration oder um Soziales… | |
Den Menschen ist bewusst geworden, dass die Klimakrise real ist, zum | |
Beispiel während der Dürreperiode im vergangenen Sommer. Es gibt ständig | |
neue wissenschaftliche Berichte, zuletzt zum Thema Artenschutz. All das hat | |
eine neue Dringlichkeit bekommen. Und gleichzeitig sagen viele junge Leute: | |
Hey, Politiker, ihr müsst etwas tun! Und das ist absolut wichtig und | |
richtig, denn es ist dringend! | |
Haben also die Schüler und ihre Bewegung „Fridays for Future“ den | |
entscheidenden Impuls gegeben? | |
Das zum einen. Aber es war auch wichtig, dass alle gesehen haben, was | |
Klimakrise im täglichen Leben bedeutet. | |
Warum hat die EU nicht bisher schon mehr gemacht? An Initiativen hat es ja | |
nicht gefehlt – zuletzt hat Präsident Emmanuel Macron, zusammen mit den | |
Benelux-Ländern, einen Vorstoß unternommen. Warum ist da nicht mehr in | |
Bewegung gekommen, auch im Europaparlament? | |
Gute Frage! Wir als Grüne haben im Parlament viele Vorschläge eingebracht, | |
sind aber auch oft gescheitert. Zum Beispiel im Emissionshandel: Wir haben | |
versucht, die kostenlosen Verschmutzungs-Zertifikate zu reduzieren, um | |
endlich einen vernünftigen Preis zu bekommen. Doch wir sind auf Widerstand | |
der Konservativen gestossen. Letztendlich scheitert es am fehlenden | |
politischen Willen. | |
Ein Thema wird nun besonders heiß diskutiert: Die CO2-Steuer. Der | |
konservative Spitzenkandidat Manfred Weber hat sich dagegen ausgesprochen. | |
Wozu brauchen wir so eine Steuer, und ist das nicht eine Domäne der | |
Mitgliedsstaaten – kann die EU hier überhaupt tätig werden? | |
Wir brauchen einen CO2-Preis, damit die Gefährdung des Klimas durch | |
Luftverschmutzung teurer wird. So ein Preis wäre auch ein Anreiz für die | |
Unternehmen, in klimafreundliche Technologien zu investieren. Wir brauchen | |
aber auch eine sozialpolitische Komponente – wir nennen das Energiegeld. | |
Dazu gibt es verschiedene Studien, etwa vom Potsdam Institut für | |
Klimafolgenforschung. Sie zeigen, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen | |
von einer so konzipierten CO2-Bepreisung mit verbundenem Energiegeld | |
profitieren würden. Haushalte mit höherem Einkommen, die typischerweise | |
auch mehr CO2 ausstoßen, würden dagegen stärker belastet. Diese | |
sozialpolitische Komponente ist uns Grünen wichtig. | |
Aber noch einmal: Kann die EU das denn einfach verordnen, ist das nicht – | |
wie das Steuerrecht allgemein – Sache der Mitgliedsstaaten? | |
Wir machen doch auch in anderen Bereichen Steuerpolitik. Das ist schon ein | |
EU-Thema. Aber natürlich könnte eine CO2-Steuer zunächst auch von einem | |
oder mehreren Staaten eingeführt werden. | |
Wer käme denn da als Vorreiter infrage – vielleicht Benelux? Deutschland | |
stand bisher ja auf der Bremse… | |
Absolut. Die Bundesregierung blockiert bisher alle klimapolitischen | |
Fortschritte, sie stellt sich ständig an die Seite von Ländern wie Polen. | |
Von der alten Vorreiterrolle ist nichts mehr übrig. Luxemburg ist einen | |
anderen Weg gegangen und hat einen viel ambitionierteren Klimaschutz | |
vorgeschlagen. Das liegt natürlich an der grünen Regierungsbeteiligung. Man | |
sieht schon, dass es in Luxemburg eine Wende gab. | |
Doch nicht nur Deutschland steht auf der Bremse, der konservative | |
Spitzenkandidat Weber lehnt neue Klimasteuern ebenfalls ab. Macht es für | |
die Grünen vor diesem Hintergrund überhaupt Sinn, auf ihn zuzugehen und | |
über eine mögliche Wahl zum Kommissionschef zu verhandeln? | |
Weber sagt immer nur Nein, Nein, Nein. Er stellt sich auch bei der | |
CO2-Steuer quer. Aber für uns ist völlig klar, dass wir niemanden als | |
Kommissionschef unterstützen können, der nichts für den Klimaschutz machen | |
will. Wir können auch nicht auf seine Vorschläge oder neue Erfindungen | |
warten. Die Zeit drängt, nur hoffen hilft nicht. | |
Heißt das, dass die CO2-Steuer eine Vorbedingung wäre, um Weber oder einen | |
anderen Anwärter auf den Posten des Kommissionspräsidenten zu unterstützen? | |
Klimaschutz ist eine Vorbedingung, auf jeden Fall. Uns geht es um die | |
Inhalte, und wir werden unsere Unterstützung von diesen Inhalten abhängig | |
machen. | |
Wie sieht es denn da bei Frans Timmermans aus? Der sozialdemokratische | |
Spitzenkandidat hat ja erklärt, der Klimaschutz habe für ihn die höchste | |
Priorität. | |
Auch da kommt es auf die Inhalte an. Ich bin gespannt auf seine Vorschläge. | |
Bei der TV-Debatte im Europaparlament hat Timmermans ein „progressives | |
Bündnis“ vorgeschlagen. Ist das schon konkreter geworden? | |
Nein. Das sind bisher nur schöne Worte. Wir als Grüne haben das sehr wohl | |
vernommen, aber wir sind auch keine Anhängsel irgendeiner Allianz. Wir sind | |
dafür da, Klimaschutz und Artenschutz umzusetzen. Dass das nicht gerade | |
sozialdemokratische Kernkompetenz ist, ist auch klar. | |
Es gibt also noch keine Vorverhandlungen mit den Sozialdemokraten? | |
Nein. | |
Um sich in Verhandlungen durchzusetzen, braucht man möglichst viele | |
Wählerstimmen. In welchen Ländern spüren die Grünen denn derzeit | |
Rückenwind? | |
Eigentlich in ganz Europa, wir können wirklich nicht klagen. Aber nehmen | |
wir Luxemburg. Wir konnten hier im Oktober bei den Parlamentswahlen aus der | |
Regierungsbeteiligung heraus 50 Prozent mehr Zustimmung einfahren – das muß | |
man erst einmal hinkriegen! In den Niederlanden haben wir uns bei der | |
Senatswahl verdreifacht. In Finnland haben wir bei der Wahl fünf | |
Abgeordnete hinzugewonnen – von 15 auf 20. Auch in den Umfragen stehen wir | |
gut da, in Frankreich, in Belgien, in Deutschland natürlich auch. Wir haben | |
sogar Chancen auf eine polnische Europaabgeordnete, was wir noch nie | |
hatten. | |
Und wie sieht es in Großbritannien aus? | |
Sehr gut. Wir haben bei den Kommunalwahlen zugelegt. Im Europaparlament | |
haben wir bisher sechs britische Abgeordnete, es dürften bald noch mehr | |
werden. In einer Umfrage lagen wir sogar noch vor den Tories – aber die | |
Umfragen sind nicht sehr zuverlässig, deshalb gebe ich keine Prognose ab. | |
Fängt sich das Europaparlament und damit die EU durch die Wahl in | |
Großbritannien nicht große Probleme ein – Stichwort Brexit? Wird das | |
Brexit-Chaos importiert? | |
Wir haben ja auch jetzt schon britische Abgeordnete. Natürlich ist der | |
Brexit ein ganz ganz großer Einschnitt, aber wir werden auch andere Fragen | |
diskutieren. Ich glaube deshalb auch nicht, dass wir Chaos importieren. Es | |
werden ja nicht nur die Brexiters kommen. | |
Noch einmal zurück zu den Spitzenkandidaten. Sie sorgen in vielen Ländern | |
für Streit, auch in Luxemburg: Die Grünen sind dafür, Premier Bettel hat | |
sich aber dagegen ausgesprochen. Wie ist Ihre Haltung – werden die Grünen | |
nur einen Politiker zum Kommissionspräsidenten wählen, der vorher auch | |
Spitzenkandidat war? Oder könnte es auch Margrethe Vestager werden, die nur | |
eine halbe Spitze ist? | |
Wir unterstützen das Spitzenkandidaten-System, denn es ist einfach | |
demokratischer, als wenn der Kommissionschef wie früher aus der Schublade | |
gezogen wird, völlig unabhängig vom Wahlergebnis. Zu dieser Situation | |
wollen wir nicht zurück. Für uns ist das eine Frage von demokratischen | |
Prinzipien. | |
Aber käme nun auch Frau Vestager infrage, nachdem sie bei der TV-Debatte im | |
Europaparlament dabei war? Ansonsten lehnt sie ja – genau wie ihre | |
Liberalen – das Prinzip der Spitzenkandidaten ab. | |
Sie muss selber erklären, ob sie nun Spitzenkandidatin ist oder nicht. | |
Ansonsten geht es natürlich um Inhalte. | |
Einmal angenommen, Präsident Macron stellt sich gegen Weber, weil der | |
Spitzenkandidat war, und macht sich stattdessen für Vestager als nächste | |
Kommissionschefin stark. Was passiert denn dann? | |
Wir im Parlament werden direkt nach der Wahl auch unsere Vorstellungen | |
diskutieren. An uns kommen die Regierungschefs nicht vorbei. Klar ist: Es | |
geht ums Prinzip. Und als Parlament lassen wir uns nicht die Butter vom | |
Brot nehmen. Ohne parlamentarische Mehrheit kann kein Kandidat gewählt | |
werden. | |
Wie geht es nach der Wahl weiter? Übernehmen die Staats- und | |
Regierungschefs wieder die Regie – auf ihrem Sonder-gipfel am 28. Mai? | |
Das Parlament trifft sich ja vorher (lacht). Und der Rat kommt nicht an uns | |
vorbei. Ich hoffe, dass alle Fraktionen mitmachen, wenn es darum geht, | |
unsere Rechte als Parlamentarier zu verteidigen – auch die Liberalen. | |
21 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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