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# taz.de -- EVP-Spitzenkandidat für die Europawahl: Der viel Versprechende
> Manfred Weber könnte Juncker beerben. Er ist kein Polterer – doch Taten
> folgen seinen wohlklingenden Reden selten.
Bild: Weber hält gerne wohlklingende Reden und verspricht jedem, was er hören…
Ein Montagnachmittag in München. Maximilianeum, der Sitz des Landtags.
Draußen wartet die Landeshauptstadt noch immer auf den Frühling. Drinnen
sitzt Manfred Weber. Knapp zwei Wochen vor der großen Wahl, seiner bisher
wichtigsten, nimmt sich der Spitzenkandidat der konservativen Europäischen
Volkspartei (EVP) wieder einmal Zeit für einen Abstecher in den Freistaat.
Er spricht vom Endspurt seines Wahlkampfs, dem vielen Rückenwind, den er
dieser Tage erfahre, und davon, dass seine Besuche in den verschiedenen
EU-Ländern eine Bereicherung für ihn seien, viel habe er dazu gelernt in
diesen letzten Wochen. Er ist freundlich, nachdenklich, hört zu – ganz so,
wie man ihn kennt.
Weber stammt nicht aus der immer noch starken Fraktion der Polterer
innerhalb der CSU. Nicht umsonst heißt seine derzeitige Bewerbungstournee
durch 27 EU-Länder „Zuhör-Tour“. Viele schätzen es, dass es in der lauten
Partei mal ein Mann der leisen Töne so weit nach vorne geschafft hat.
Zugleich ist da aber auch immer diese Frage im Raum: Kann der das? Kann
einer, der nicht nur leise ist, sondern auch noch nie ein Regierungsamt
innegehabt hat, [1][Präsident der EU-Kommission werden?] Einen Mangel an
„Macher-Charisma“ diagnostizierte die Zeit jüngst bei dem Politiker.
Der bayerische Landtag, in dessen Gaststätte sich Weber nun mit
Presseleuten aus seiner Heimat trifft, war seine erste Wirkungsstätte als
Berufspolitiker. 2002 zieht er als Nachrücker in das Parlament, nachdem ein
anderer CSU-Abgeordneter zum Landrat gewählt worden ist und deshalb
ausscheidet. Noch nicht einmal 30 Jahre alt ist Weber zu diesem Zeitpunkt.
Doch lange hält es Weber nicht in München, schon 2004 kandidiert er fürs
Europaparlament, in dem er seither sitzt. Seit 2014 steht er dort an der
Spitze der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Parallel verfolgt
Weber, der mit 16 Jahren in die CSU eintrat, seine Parteikarriere. Von 2003
bis 2007 ist er Chef der Jungen Union in Bayern, von 2008 bis 2016
niederbayerischer Bezirksvorsitzender, seit 2015 stellvertretender
CSU-Chef.
## Mehr Bodenständigkeit und Kuhstall
Für Europa werde es kein Nachteil sein, wenn es sich ein Stück weit an
Bayern orientiere, sagt Weber jetzt. Was das heiße? Drei Dinge nennt Weber:
Zum einen sei man in Bayern gewohnt, „Politik von den Bürgern her zu
betrachten“. Zum anderen sei Bayern sehr modern, sehr zukunftsorientiert.
Und: „Identität ist uns wichtig.“
Klar, Weber ist Bayer – mit allem, was dazugehört. Niederbayer sogar.
Niederbayern, das ist die etwas deftigere Variante des Freistaats. Weniger
Postkartenidylle und Märchenschloss, mehr Bodenständigkeit und Kuhstall.
Der 46-Jährige kommt aus Wildenberg im Landkreis Kelheim. Ein Schloss, zwei
Kirchen, drei Kapellen, 1.300 Einwohner. In seinem Bewerbungsvideo für die
EVP-Spitzenkandidatur ließ er sich hier filmen – beim Joggen, in der
Bäckerei, wie er zu seiner alten Gitarre greift. Früher war er hier
Frontmann einer Band, den Peanuts.
Und dann gibt es noch etwas, was man nach Webers Auffassung von Bayern
lernen kann: Der Kampf gegen rechts – für jeden proeuropäischen Politiker
in Brüssel derzeit eines der zentralen Themen – kann nicht gewonnen werden,
indem man die Parolen der Populisten übernimmt. Einerseits.
Andererseits hat er sich beim Umgang mit den Rechtspopulisten in seiner
EVP-Fraktion nicht mit Ruhm bekleckert. In der Kommission, aber auch im
Europaparlament erinnert man sich nur zu gut daran, wie lange Weber und die
CSU ihren „guten Freund“, Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, geschont
haben.
Als EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker schon lauthals den [2][Rauswurf
der ungarischen Regierungspartei Fidesz aus der EVP] forderte, versuchte
Weber immer noch, den Bruch zu vermeiden. Erst im März beschloss die
Fraktion, die Mitgliedschaft von Fidesz vorerst auf Eis zu legen.
## Frieden und Freiheit in Europa
Wie passt das zusammen? Weber ist schließlich gläubig, war in seiner Jugend
in Niederbayern Ministrant. Wenn er im Wahlkampf von der christlichen
Prägung Europas spricht, fügt er gleich an: Ihm gehe es dabei nicht um ein
Christentum im Sinne einer Ausgrenzung des Islams. Für seinen Glauben stehe
vielmehr Papst Franziskus, wenn er in Lampedusa an unsere Verantwortung den
Flüchtlingen gegenüber erinnere.
Und trotzdem hielt Weber mit Orbán einem Staatschef die Stange, der
systematisch gegen Flüchtlinge hetzte. Im Wahlkampf jedoch zeigt Weber mit
dem Finger auf andere.
So wie am vergangenen Samstag in Zagreb. Für diesen Auftritt hat der
CSU-Politiker sogar eine Krawatte angelegt. Das passiert nicht alle Tage,
normalerweise gibt sich Weber betont locker. Doch es ist ein ganz
besonderer Tag: Kanzlerin Angela Merkel begleitet ihn, den deutschen
Spitzenkandidaten, zu ihrem einzigen Wahlkampfauftritt im EU-Ausland in die
kroatische Hauptstadt.
Vor Tausenden jubelnden Anhängern der Regierungspartei HDZ will Weber, der
Mann der eher leiseren Töne, heute zeigen, dass er ein Staatsmann ist.
„Ich bin 46 Jahre alt“, setzt Weber an. „Und ich kann sagen, als 46 Jahre
alte Person, dass ich die erste Generation auf diesem Kontinent bin, die
Europa in Frieden und Freiheit erlebt hat.“
In seinem bairisch gefärbten Englisch formt er Sätze, die nicht richtig
rund sind, aber irgendwie sympathisch klingen. Und er sendet Botschaften,
die nicht richtig schlüssig sind, aber irgendwie positiv wirken.
Die Botschaft von Frieden und Freiheit in Europa gehört zu Webers
Standardrepertoire. Dazu gehört auch, dass Weber den Frieden und die
Freiheit seinem eigenen politischen Lager zuschreibt.
Alles, was gut läuft in der EU, sei das Erbe von Helmut Kohl, Merkel und
der EVP, meint Weber. Das hat er schon zum Wahlkampfauftakt in Athen
gesagt, vor den Anhängern der konservativen Nea Dimokratia. Doch hier, bei
der HDZ in Zagreb, kommt noch eine besondere Note hinzu. Die EVP habe
Nationalisten und Rechtspopulisten den Kampf angesagt, behauptet Weber nun.
„Sie wollen zerstören, was wir in Europa aufgebaut haben.“ Er werde den
Nationalisten „nicht erlauben, dass sie einen Spalt treiben“ zwischen die
Länder, Kulturen und Identitäten.
Dabei gilt Kroatien als eines der nationalistischsten Länder in der EU. Bei
der Fußball-WM haben sich kroatische Faschisten offen gezeigt. Auch die
Regierungspartei HDZ wird immer wieder mit extremen Rechten in Verbindung
gebracht.
## Den Saubermann spielen
Doch Weber tut so, als wisse er von alldem nichts. Sein Appell richtet sich
nicht an die HDZ in Kroatien – sondern an die FPÖ in Österreich. Am Vortag
[3][haben deutsche Medien das „Ibiza-Video“ veröffentlicht]. Der CSU-Mann
fasst sich nicht an die eigene Nase, sondern er versucht, andere
anzuschwärzen und den Saubermann zu spielen.
In Zagreb geht das gut – Weber bekommt viel Beifall. Doch in Brüssel wäre
er damit wohl nicht mehr durchgekommen. Seit dem Debakel um Orbán und
dessen Attacken auf Juncker ist Webers Autorität angekratzt.
Noch eine weitere Personalie wirft einen Schatten auf den
EVP-Spitzenkandidaten. Gemeint ist Antonio Tajani, der Präsident des
Europaparlaments. Weber war es, der den Buddy des italienischen Ex-Premiers
Silvio Berlusconi auf den Brüsseler Topjob hievte.
Eine Zeit lang schien dies sogar gutzugehen. Doch dann begann Tajani den
italienischen Faschisten Mussolini zu loben und das „italienische Istrien“
zu verherrlichen. Als dies in Brüssel bekannt wurde, sprach er von
Missverständnissen und ging auf Tauchstation. Seitdem ist klar, dass Tajani
ein eklatanter Fehlgriff war. Die Linke fordert seinen Rücktritt. Das
hinderte Weber jedoch nicht, sich noch zu Beginn des Wahlkampfs mit Tajani
und Berlusconi zu zeigen und Lobeshymnen auf seine rechtslastigen
italienischen Freunde zu singen.
Große Freiheiten nimmt sich Weber auch im Umgang mit der eigenen
Parlamentsarbeit. So ist er als Fraktionschef der EVP mitverantwortlich für
die verunglückte Urheberrechtsreform, die Uploadfilter im Internet möglich
macht und Tausende Kritiker auf die Straße gebracht hat.
Doch in seinem Europa-Wahlprogramm gelobt er, die gerade erst mit den
Stimmen der EVP verabschiedete Novelle nachzubessern. Weber will auch
tausend EU-Gesetze und Regulierungen rückgängig machen – dabei hat er als
Fraktionschef die meisten selbst mit beschlossen.
Neuerdings verspricht er sogar, die umstrittene deutsch-russische
Gaspipeline Nord Stream 2 zu stoppen. Damit fällt der Spitzenkandidat nicht
nur Kanzlerin Merkel in den Rücken, die das Projekt trotz aller Kritik
weiter vorantreibt. In Brüssel stellen sich auch viele die Frage, warum
Weber nicht schon längst aktiv geworden ist.
Wenn er es wirklich ernst meinte, könnte er Druck auf seinen Parteifreund,
Kommissionspräsident Juncker, ausüben. Und er könnte auf die CSU in München
einwirken, damit sie Merkel in Berlin stoppt. Als stellvertretender
CSU-Chef sollte ihm dies nicht allzu schwer fallen.
Doch Weber unternimmt: nichts. Lieber hält er wohlklingende Reden und
verspricht jedem, was er hören will. Reicht das für die Spitze der
EU-Kommission? Weber poltert womöglich nicht, eckt nicht an – zieht eben
auch keine klare Grenzen, wo eine Abgrenzung bitter nötig wäre.
Die Frage wird nicht nur sein, ob Weber die Abgeordneten des neu gewählten
Parlaments mehrheitlich hinter sich versammeln kann, sondern auch, ob die
Staats- und Regierungschefs sich letztlich doch an das
Spitzenkandidatenprinzip gebunden sehen. Mit Frankreichs Staatschef
Emmanuel Macron hat der Prozess einen gewichtigen Gegner. Als Favoritin des
Präsidenten galt lange die Liberale Margrethe Vestager, die keine
Spitzenkandidatin ist, sondern Teil eines Spitzenteams.
25 May 2019
## LINKS
[1] /Deutscher-Spitzenkandidat-der-EVP/!5590496
[2] /EVP-suspendiert-ungarische-Fidesz-Partei/!5582318
[3] /Sueddeutsche-Reporter-ueber-FPOe-Video/!5593656
## AUTOREN
Eric Bonse
Dominik Baur
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