# taz.de -- Bremen vor der Bürgerschaftswahl: Linke Gerade, rechter Haken | |
> Im Bremer Wahlkampf zerlegt sich die AfD derzeit selbst. Die Linke sucht | |
> derweil den Anschluss an die Mitte-Parteien. | |
Bild: Will Senatorin werden: Kristina Vogt, Spitzendekandidatin der Linken | |
BREMEN taz | Einkaufstag – Wahlkampftag: Grelle Sonne, 20 Grad plus um kurz | |
nach neun, diesen Sonnabend hat sich der Frühling mal durchgesetzt. Vor der | |
Shopping Mall in der Neuen Vahr – Bremer Stadtteil, bekannt aus Film und | |
Buch – haben Die Linke und CDU schon Stände aufgebaut, dicht an dicht: Das | |
ist immer so, wenn in Bremen gewählt wird. | |
Früher hat man einander dann oft gepiesackt, versucht, sich die | |
Laufkundschaft abspenstig zu machen, und „gelegentlich passiert das noch | |
immer“, sagt Friederike Emole, Erzieherin und Kandidatin für Die Linke, auf | |
dem aussichtsarmen Listenplatz 15. | |
Aber heute sieht das mehr nach friedlicher Wahlkoexistenz aus, als nach | |
Wahlkampf. Man hat andere Zielgruppen, man kennt sich aus gemeinsamer | |
Arbeit im Stadtteilbeirat, man grüßt sich. Und, bei aller Konkurrenz, „wenn | |
die AfD kommt, da stehen wir zusammen“, sagt Emole mit Blick auf die | |
CDU-Kollegen. | |
Das ist nötig. Denn das politische Klima ist rau geworden: Einem linken | |
Kommunalpolitiker, der für den 25. Mai eine Demo gegen Rechts angemeldet | |
hat, ist per Mail angekündigt worden, man werde ihn „aufschlitzen“. Als | |
„dreckige Zecke“ wird er beschimpft: „der 25.5. wird dein todestag!“. | |
## Alle gegen die AfD | |
Auf Einschüchterungen und Provokation setzt auch die Bremer AfD im | |
Wahlkampf. Manche der Konflikte schlagen sich dann in Polizeimeldungen | |
nieder: „Mehrere Parteien waren am Samstag im Rahmen des Wahlkampfes an | |
Infoständen in Bremen Osterholz präsent“, heißt es darin beispielsweise. | |
„Hierbei bildete sich eine spontane Protestaktion gegen eine der anwesenden | |
Parteien“. | |
In Tenever war das, noch ein Stückchen weiter raus im Bremer Osten, am | |
zweiten Mai-Samstag. Emole war auch dabei. Rund 67 Prozent der Menschen, | |
die dort wohnen, haben einen Migrationshintergrund. Werbung für Rassismus | |
kommt da, wenig überraschend, nicht bei allen gut an. Die Polizei | |
registriert Wortgefechte. | |
Emole hat die Lage etwas brisanter erlebt: „Da war einer dabei am | |
AfD-Stand, der hielt immer eine Zielscheibe hoch, auf der Die Linke stand“, | |
erinnert sie sich. „Da hab' ich mich schon gefragt, soll das jetzt eine | |
Drohung sein?“, hat die Sache dann aber auf sich beruhen lassen. | |
Nur den Mann, der sich am AfD-Infotisch mit Propagandamaterial eingedeckt | |
und mit Hitlergruß verabschiedet hat, den hat sie den Beamten dann doch | |
gemeldet. „Auch in diesem Fall wurde eine entsprechende Strafanzeige | |
gefertigt“, heißt es in der Polizeimeldung. | |
## Nichtwähler als Goldgrube | |
Dass Linke und AfD im Wahlkampf hart aufeinanderprallen ist kein Zufall – | |
und der Stadtteil auch nicht. Denn beide können sich Hoffnung machen auf | |
Stimmen von denen, die zuletzt keine mehr abgegeben hatten: Alle Analysen | |
seit 2017 zeigen, dass die AfD massenhaft Zuspruch von bisherigen | |
NichtwählerInnen einsackt. | |
Von denen gibt es viele in Bremen – und besonders in den sozial | |
benachteiligten Stadtteilen. In Osterholz-Tenever lag die Beteiligung 2015 | |
bei gerade mal 31,8 Prozent. | |
„Ich sehe es als unseren Auftrag als Linke, solche Stadtteile nicht allein | |
zu lassen“, sagt Kristina Vogt, Fraktionsvorsitzende und zum dritten Mal | |
Spitzenkandidatin der Linken. Gleich 2015 hatte die Partei in Tenever | |
deshalb ein Büro eröffnet, das der dort lebende Bürgerschaftsabgeordnete | |
Cindi Tuncel betreut, der sich seit Ende März im Häuserwahlkampf befindet. | |
Ein anderes Büro gibt's in Gröpelingen, Armutshochburg im Bremer Westen, | |
Wahlbeteiligung 36,8 Prozent. Hier tritt Vogt selbst als die Frau auf, die | |
sich kümmert, hört den Anliegen zu, trägt sie ins Parlament, und manchmal | |
dringt sie damit auch durch: Dass die Aufgabe, in einem Stadtteil mit | |
prekärer Soziallage eine Schule zu leiten, besonders aufwändig ist und die | |
RektorInnen dafür anderweitig entlastet werden sollten zum Beispiel, dafür | |
hat sie schon lange gekämpft. „Jetzt endlich hat der Senat das | |
aufgegriffen“, sagt sie. | |
## Sie redet auch mit denen, die Deutschlandfahnen hissen | |
Manchmal klingt Vogt, obwohl sie doch in Wahrheit mehr von Punk und | |
Arbeiterautonomie her kommt, wie eine waschechte Sozialdemokratin, aber | |
eine von früher, von damals, als die SPD noch wusste, was Sozialdemokratie | |
heißt. | |
Mindestens verfügt sie über deren integrative Kraft: Sie kann mit Menschen | |
reden, die unter dem Druck leiden, der im Niedriglohnsektor mithilfe von | |
ausländischen Beschäftigten aufgebaut wird, und die deshalb auf Parzellen | |
wild entschlossen die Deutschlandflagge hissen – und manchmal schafft sie | |
es sogar, dass sich Ressentiments verflüchtigen. | |
Sie kommt aber auch, was den Grünen manchmal Sorge macht, im vermeintlich | |
postmateriellen Milieu gut an. | |
Als Vogt, Rechtsanwaltsfachgehilfin und Kneipenwirtin 2008 in die | |
Linkspartei eintrat, war die ein Bündel von Streithähnen, und die Fraktion, | |
die erste in einem westdeutschen Landtag, komplett handlungsunfähig. | |
## Linkes Selbstbewusstsein | |
Mittlerweile ist sie ein vor allem von Frauen geprägtes Team, und selbst | |
der Parteivorstand, dem ein gewisser Hang zu Radikalopposition nachgesagt | |
wird, hat sich schon zwei Wochen vor der Wahl dafür ausgesprochen, mit SPD | |
und Grünen Bündnismöglichkeiten zu sondieren, sobald ein Ergebnis da ist. | |
Denn ja, Vogt will Senatorin werden. Das Ressort? Bildung, vielleicht, | |
Wirtschaft, ginge auch, aber warum nicht Finanzen? Vogt würde das packen, | |
daran hat im politischen Bremen niemand echte Zweifel, eingeschlossen sie | |
selbst. | |
Als die Partei neu war, sei ihre Aufgabe gewesen, Dinge zu fordern, hatte | |
sie schon zum Wahlkampfauftakt gesagt. Darüber sei man aber hinaus. „Wir | |
sind in Bremen an einem Punkt, wo wir nicht mehr sagen: Wir fordern | |
irgendwas, sondern wir können etwas“, und zwar „nicht irgendetwas, sondern | |
die Stadt anders gestalten“. | |
Den diametralen Gegensatz dazu bildet die AfD, die laut Umfragen auf sechs | |
bis acht Prozent hoffen darf – warum auch immer: Konstruktive | |
Politikangebote hat sie keine im Portfolio. Und statt auf Bürgernähe setzt | |
sie auf martialisches Auftreten, allen voran der Landesvorsitzende Frank | |
Magnitz. | |
## Saalschützer, Phänotyp: Stiefelnazis | |
Ohnehin wird der von drei Bodyguards des BKA zu Podiumsdiskussionen in | |
Schulen begleitet, darauf hat er Anspruch, seit er im Januar überfallen und | |
verletzt worden war. Mitunter hat der Bauunternehmer aber auch noch | |
zusätzlich treu ergebene Saalschützer aus dem eigenen Lager an seiner | |
Seite, Phänotyp Stiefelnazis, aber das kann täuschen. | |
Um in größerem Umfang Plakate zu kleben und auf Klingeltour zu gehen, | |
fehlen offenbar das nötige Kleingeld und die motivierten Parteigänger: Man | |
hat nach Eigenangaben 165 Mitglieder – andere Quellen sprechen von 120 –, | |
aber genug für unzählige interne Streitereien. | |
So befindet sich der einzige aktuelle Bürgerschaftsabgeordnete Alexander | |
Tassis im Dauer-Clinch mit dem Landesverband. Gegen Magnitz selbst wird, | |
auf die Anzeige eines früheren Landesschatzmeisters, wegen des Verdachts | |
auf Untreue ermittelt. Und am Landgericht laufen massenhaft zivilrechtliche | |
Verfahren, darunter mindestens 17 Klagen gegen Parteiausschlüsse, höchstens | |
29, aber Vorsicht! Auch um die Zahl wird prozessiert. | |
Die Klagen stammen [1][großteils von AfDlern], denen der Rechtsruck und die | |
Alleinherrscher-Ansprüche von Magnitz nicht passten. Der steht dem | |
völkisch-nationalistischen „Flügel“ um Björn Höcke nahe. Seine Nähe zur | |
rechtsextremen „Identitären Bewegung“ ist notorisch, seine Ämterhäufung | |
bemerkenswert: Der Partei-Chef sitzt für Bremerhaven als Abgeordneter im | |
Bundestag. | |
## Bürger in Wut: Abspaltung der AfD | |
Nun will er auch in die Bürgerschaft, aber nicht ohne seine Tochter. Die | |
26jährige Studentin ohne weitere Berufserfahrung jobbt derzeit als | |
Pressesprecherin der Partei und kandidiert, [2][klarer Verstoß gegen die | |
AfD-Bundessatzung], auf Listenplatz 5. Die Bürgerschaftsmandate in Bremen | |
sind mit 4.987 Euro brutto plus 795 Euro Zuschuss zur Altersvorsorge | |
[3][für ein Halbtags-Parlament recht üppig dotiert]. | |
Auch gegen den ehemaligen Radio-Bremen- und „Stern TV“-Reporter Hinrich | |
Lührssen zog Magnitz vor Gericht. Lührssen hätte eigentlich | |
AfD-Spitzenkandidat werden wollen, unterlag dann dem Gegenkandidaten | |
Magnitz – und war erbost zu den „Bürgern in Wut“ (BIW) gewechselt, einer | |
kaum minder rechten Wählervereinigung. | |
Das tat er nicht lautlos: Im AfD-Landesverband hätten „Anti-Demokraten“ das | |
Sagen, „die sich mit üblen Tricks an der Macht halten“, sagte er. Die AfD | |
wollte Lührssen das gerichtlich verbieten lassen – erfolglos. | |
Mit mehr Fortune kämpft sie um mediale Wahrnehmung, indem sie ihre | |
Opfererzählungen ausbaut: Schon die Attacke im Januar hatte Magnitz in | |
seiner Schilderung stark übertrieben. Zugleich nutzte die Partei den | |
Vorfall in Pressemitteilungen, um „eine mediale Betroffenheit zu erzeugen“ | |
wie Magnitz in einer internen Mail [4][kurz nach seinem Klinikaufenthalt | |
schrieb]. | |
## AfD strickt weiter an ihrem Opfermythos | |
Daran hat man, so scheint es, anknüpfen wollen, als man sich über | |
angebliche Morddrohungen gegen den Betreiber eines Festsaals beklagte. In | |
dem Saal wollte die AfD ihren Kampagnenabschluss ausrichten, mit Alexander | |
Gauland und Europakandidat Jörg Meuthen als Stars. | |
Das habe man also absagen müssen, teilte die AfD der Presse mit, die das | |
bereitwillig verbreitete, Bezichtigung vermeintlich linker Täter inklusive. | |
Die Staatsanwaltschaft indes bestätigt nur, dass der Saalbetreiber zwei | |
anonyme Anrufe erhalten hat. Drohungen? Naja: „Da jetzt eine Morddrohung | |
reinzuinterpretieren, halte ich für gewagt“, so der Sprecher der | |
Staatsanwaltschaft zur taz. | |
21 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /AfD-Bremen-verklagt-sich-selbst/!5540794 | |
[2] https://www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2018/07/AfD-Bundessatzung-S… | |
[3] http://www.lexsoft.de/cgi-bin/lexsoft/justizportal_nrw.cgi?xid=168638%2C1 | |
[4] /!5563270 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
Simone Schnase | |
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