# taz.de -- Volksentscheid Wohnungsbau in Bremen: Entscheid wider die Vernunft | |
> Am 26. Mai stimmen die BremerInnen auch über den Bau von 1.200 neuen | |
> Wohnungen ab. Eine Bürgerinitiative will das Bauvorhaben verhindern. | |
Bild: Während die Mieten in Bremen steigen, nimmt die Zahl der Sozialwohnungen… | |
Bremen taz | Der 26. Mai ist in Bremen Superwahltag: Die BürgerInnen wählen | |
einen neuen Landtag, ebenso neue Beiräte, also Stadtteilparlamente, | |
Bremerhaven wählt eine neue Stadtverordnetenversammlung, es ist Europawahl | |
– und dann gibt es am gleichen Tag auch noch einen Volksentscheid gegen die | |
Bebauung eines 36 Hektar großen Geländes im Bremer Osten. | |
Dort, wo einst eine Galopprennbahn betrieben wurde, soll Wohnraum | |
entstehen. Die Bürgerinitiative Rennbahngelände Bremen will das verhindern | |
und hat zum Erstaunen vieler Menschen über 20.000 Unterschriften für ihr | |
Begehren gesammelt. Nun darf das Volk entscheiden. | |
Dabei sind die Bremer Probleme in der Wohnungspolitik keineswegs kleiner | |
als in den anderen deutschen Großstädten: Die Stadt wächst, die Mieten | |
steigen, der Wohnraum ist knapp, private Investoren und profitorientierte | |
und börsennotierte Wohnungsgesellschaften wie Vonovia bebauen und verwalten | |
ganze Quartiere. In Bremen sind die Mietpreise von 2008 bis 2018 im Schnitt | |
um 38 Prozent gestiegen. Im Vergleich unter 77 deutschen Städten mit mehr | |
als 100.000 Einwohnern liegt Bremen bei der Mietbelastungsquote auf Rang 5. | |
Trotz des Beschlusses der bremischen Bürgerschaft im Dezember 2018, die | |
Quote für Sozialwohnungen von 25 auf 30 Prozent zu erhöhen und trotz der | |
jüngst erfolgten Rekommunalisierung der Wohnungsbaugesellschaft Brebau | |
sinkt die Zahl der Sozialwohnungen kontinuierlich: 2018 wurden in Bremen | |
und Bremerhaven rund 300 neue Sozialwohnungen fertiggestellt, zugleich sind | |
aber über 400 alte aus der 20 Jahre währenden Preisbindung gefallen. | |
Während es im Jahr 2007 noch 14.500 Sozialwohnungen in Bremen gab, waren es | |
2018 nur noch 8.300. | |
## 110 Jahre Pferdesport | |
Allein im letzten Jahr lag der Verlust an gebundenen Sozialwohnungen höher | |
als der gesamte Zuwachs in den vorangegangenen fünf Jahren. Und trotzdem | |
erhält die Bürgerinitiative (BI) Rennbahngelände Bremen großen Zuspruch in | |
ihrem Engagement gegen dringend nötige Maßnahmen zur Entspannung des | |
Wohnungsmarkts. | |
Ihre Anfänge nahm die Initiative 2016 mit dem Ende der Galopprennbahn im | |
Stadtteil Vahr, auf der mehr als 110 Jahre lang Pferdesport betrieben | |
worden war: Damals kündigte Bremen als Eigentümer des Areals an, dem | |
Rennverein die Nutzungsrechte für das Gelände zu entziehen, um dort | |
Wohnungen zu bauen. | |
Für BI-Sprecher Andreas Sponbiel, Vahrer Beiratsmitglied für die | |
rechtspopulistische Wählervereinigung Bürger in Wut (BIW), gehörte die | |
Rennbahn „zu Bremen, wie der Roland und das Weserstadion“. Er kritisierte, | |
„dass die traditionelle Sportstätte dem Wohnungsbau zum Opfer fallen soll“. | |
5.000 Unterschriften für den Erhalt der Galopprennbahn bekam die BI | |
zusammen und überreichte sie dem Bürgerschaftspräsidenten. Erfolglos: Am | |
Karfreitag 2018 fanden die letzten Pferderennen in der Vahr statt. | |
Aber Sponbiel machte weiter – ihm und seiner BI geht es nun um den Erhalt | |
der riesigen brachliegenden Grünfläche. Diese „grüne Lunge“ zwischen den | |
Stadtteilen Vahr und Hemelingen müsse erhalten bleiben. Dabei besteht das | |
Gelände zum größten Teil aus ökologisch weitestgehend wertlosem Rasen und | |
aus Teichen und Hecken; auf einem Teil des Areals befindet sich noch bis | |
zum kommenden Jahr ein Golfplatz. Fast vier Millionen Euro hat Bremen dem | |
Golfclub bezahlt, damit er vor Ende seines Pachtvertrags den Betrieb | |
einstellt. | |
## Auch die CDU ist gegen den Bau | |
Grün, das tatsächlich erhaltenswert ist, soll erhalten bleiben: der | |
Altbaumbestand auf einem fünf Hektar großen Bereich des Geländes. Nur rund | |
die Hälfte der insgesamt 36 Hektar sollen bebaut, der Rest ökologisch | |
aufgewertet werden. 1.200 Wohnungen sind geplant, wobei der Senat | |
Hochhäuser kategorisch ausschließt. Bei der Volksabstimmung geht es aber | |
ohnehin nicht um das wie, sondern grundsätzlich um das ob: Nicht ein | |
einziges neues Haus auf dem Rennbahn-Gelände wollen die InitiatorInnen. | |
Unterstützung erhalten sie dabei von FDP, AfD und BIW – und ausgerechnet | |
von der Bremer CDU, obwohl die in der Vergangenheit grundsätzlich fast | |
überall für die Nutzung von Wohnungsbauflächen war. Einigkeit über die | |
Bebauung herrscht bei SPD, Grünen und der Linken. Diese appelliert auf | |
ihren Wahlplakaten zur Bürgerschaftswahl an die WählerInnen, bei der | |
Volksabstimmung mit „Nein“ zu stimmen. | |
Dass es vor allem AnwohnerInnen sind, die die Bebauung aus Sorge vor | |
Baulärm und Veränderungen vor ihrer eigenen Haustür ablehnen, ist | |
auszuschließen. Dafür sind 20.000 Unterschriften einfach zu viel. Der | |
CDU-Abgeordnete Jens Eckhoff wirft dem Senat vor, bei den Plänen zur | |
Bebauung des Geländes „echte Bürgerbeteiligung sowie Gesprächsangebote | |
verschlafen“ zu haben. | |
Damit benennt er einen Umstand, der möglicherweise tatsächlich | |
ausschlaggebend für die so breite Unterstützung des eigentlich sehr | |
unvernünftigen Begehrens ist: Das Gefühl, nicht genug mitreden zu dürfen | |
bei stadtplanerischen Entscheidungen. | |
## Mehr Bürgerbeteiligung | |
Diesen Vorwurf machte im vergangenen Jahr auch der ehemalige Staatsrat | |
Hans-Christoph Hoppensack vom Bremer Netzwerk Bürgerbeteiligung: Bei großen | |
Projekten wie dem geplanten Wohnungsbau auf der Rennbahn hätte es | |
frühzeitig eine Bürgerbeteiligung geben müssen. In Bremen, sagte | |
Hoppensack, rege sich bei solchen Projekten häufig Widerstand, weil keine | |
Beteiligung vorgesehen sei. | |
Das hatte der Senat eigentlich ändern wollen: 2013 wurde auf Antrag von SPD | |
und Grünen beschlossen, einen „Entwicklungsplan Bürgerbeteiligung“ zu | |
erstellen. Dieser sollte bis Anfang 2015 fertiggestellt werden. Doch erst | |
im vergangenen November beschloss der Senat ein „Leitbild und Kriterien der | |
Bürgerbeteiligung in Bremen.“ Noch nie habe er erlebt, dass ein Beschluss | |
vom Senat derartig ignoriert worden sei, sagte Hoppensack. | |
Die Grünen scheinen angesichts der breiten Unterstützung des Volksbegehrens | |
ebenfalls ein tieferliegendes Problem gewittert zu haben: Sie schlugen fast | |
schon panisch einen eigenen Volksentscheid vor: für die | |
Halbe-Halbe-Bebauung des Areals. Das lehnte die SPD ab; das Verfahren würde | |
dadurch zu kompliziert. | |
Vertrauen in die Vernunft der WählerInnen hat aber auch sie offenbar nicht: | |
Der Senat hat 250.000 Euro in die Hand genommen, um eine breit angelegte | |
Werbekampagne aufzuziehen. Mit Hochglanzpostwurfsendungen und Plakaten | |
wirbt er bei den BremerInnen für ein „Nein“ beim Volksentscheid. | |
## Werben für das „Nein“ | |
Auch andere setzen auf Aufklärung statt auf Vertrauen: Rund 20 | |
Organisationen haben Anfang April einen gemeinsam Appell veröffentlicht, | |
der sich für die Bebauung des Rennbahngeländes ausspricht. Das Spektrum der | |
UnterstützerInnen reicht vom Deutschen Gewerkschaftsbund über die Handels- | |
und Handwerkskammern, den Mieterbund, das Bremer Bündnis Menschenrecht auf | |
Wohnen und den Naturschutzbund Nabu bis hin zu Caritas und Diakonie. | |
Das Rennbahngelände, heißt es in dem Aufruf, müsse „zu einem attraktiven | |
Wohnquartier mit großzügigen Flächen für Grün, Sport und Naherholung | |
werden“. Es herrsche „großer Wohnraumbedarf, insbesondere für Familien, | |
aber auch für Singles, Baugruppen, Mietgemeinschaften“. Angesichts dessen | |
sei eine „Nulllösung“ für das Gelände unsozial und unökologisch. | |
Ein Positionspapier hat Ende April auch das Bündnis Grünes Bremen, | |
bestehend unter anderem aus Architektenkammer, Bund der | |
Landschaftsarchitekten sowie dem Bund für Umwelt und Naturschutz | |
Deutschland (Bund), veröffentlicht: Die „undifferenzierte Gegenüberstellung | |
‚Grün statt Beton‘“ seitens der Bürgerinitiative stehe „im Widerspruc… | |
der fachlich notwendigen und verantwortbaren Diskussion über eine | |
qualitätsvolle und zukunftsfähige Entwicklung der Stadt an dieser Stelle“, | |
heißt es dort. | |
Es ist nicht das erste mal, dass BürgerInnen sich gegen Bebauung wehren: In | |
Freiburg hatte zuletzt eine Bürgerinitiative gegen den Bau des neuen | |
Stadtteils Dietenbach genügend Unterschriften für einen Entscheid | |
gesammelt, im Februar wurde abgestimmt. Erfolg hatte die Initiative nicht: | |
60 Prozent der FreiburgerInnen entschieden sich für das Bauprojekt. | |
17 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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