# taz.de -- Nach dem Bremer Bamf-Skandal: Ein Medienskandal? | |
> Tausende Flüchtlinge, hieß es, hätten in Bremen illegal Asyl erhalten. | |
> Dann wurden es immer weniger. Was ist übrig und wie gehen Medien damit | |
> um? | |
Bild: Jutta Cordt, die Chefin des Bundesamtes für Migration musste gehen, obwo… | |
Es schien wie ein riesiger Fall von Korruption und Bestechung, der vor gut | |
einem Jahr als „Bamf-Affäre“ öffentlich wurde. Die Leiterin der Bremer | |
Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) stand in | |
Verdacht, Hunderten, vielleicht sogar Tausenden Geflüchteten widerrechtlich | |
Asyl gewährt zu haben. Von mindestens 1.200 Fällen war die Rede, womöglich | |
gar 2.000. Süddeutsche Zeitung, NDR und Radio Bremen kooperierten für die | |
Recherche und berichteten als Erstes, andere Redaktionen zogen nach. Sie | |
fanden Anwälte, die der Bremer Amtsleiterin Ulrike B. Hotelübernachtungen | |
gezahlt haben sollen, die Busse voll Flüchtlinge nach Bremen gekarrt haben | |
sollen – was sich als falsch herausstellte. Das Bamf wurde zum „Bundesamt | |
für Murks und Führungsversagen“ (Spiegel), es sei „notwendig, hart | |
durchzugreifen“ (SZ). Für die Bild stand gleich fest, dass es sich um | |
„[1][groß angelegten Asylbetrug]“ handelte. Die Vorwürfe aus Bremen traten | |
eine massive Kampagne los, MitarbeiterInnen der Behörde und Geflüchtete | |
gerieten unter Generalverdacht, die Debatte über Migration und Flucht | |
rückte weit nach rechts – das Ganze führte beinahe zum Bruch der Großen | |
Koalition. | |
Gut ein Jahr später ist von „Skandal“ kaum noch die Rede (siehe Kasten). | |
Die Zahl der Asylentscheide, die das Bamf widerrufen oder zurücknehmen | |
musste, [2][ist nach gegenwärtigem Stand viel kleiner als angenommen]. Noch | |
ist die Überprüfung nicht abgeschlossen, aber die Quote der widerrufenen | |
Asylverfahren aus Bremen ist bisher ähnlich hoch wie die bundesweit. In | |
einigen Fälle hat das Bamf Hinweise gefunden, dass bei Bremer | |
Asylbescheiden Regeln des Asylverfahrens bewusst umgangen wurden. Andere | |
Fehler seien auf eine Zeit zurückzuführen, „in der das Bundesamt angesichts | |
der hohen Zugangszahlen vor einer immensen Herausforderung stand“, so ein | |
Bamf-Sprecher gegenüber der taz. | |
Litten die MitarbeiterInnen in der Bremer Außenstelle also eher unter | |
Überforderung, als unter einer korrupten Amtsleiterin, wie die Berichte | |
zeitweise nahelegten? Das prüft die Bremer Staatsanwaltschaft derzeit. | |
Kommentieren will sie den Ermittlungsstand nicht. Zuletzt hieß es, der | |
Kreis der Beschuldigten habe sich auf neun Personen ausgedehnt, der | |
Tatverdacht habe sich erhärtet. Im Sommer will die Behörde bekannt geben, | |
ob sie Anklage erhebt oder nicht. | |
Beweise dafür, dass in Bremen aber „hochkriminell und bandenmäßig mehrere | |
Mitarbeiter mit einigen Rechtsanwälten zusammengearbeitet“ hätten, wie ein | |
Staatssekretär des Innenministeriums behauptet hatte, gibt es jedenfalls | |
noch keine. Das Bremer Verwaltungsgericht hat dem Staatssekretär diese | |
Aussage verboten. Auch das Innenministerium [3][will mittlerweile nicht | |
mehr], wie Horst Seehofer noch Mitte 2018, von einem „handfesten, schlimmen | |
Skandal“ sprechen. | |
War der Bamf-Skandal also eine von Medien aufgeblasene Geschichte? Ein | |
„Rufmord“ ohne Recherche, wie der Regensburger Strafrechtler Henning Ernst | |
Müller [4][im Sommer] behauptete? Ein „[5][Presseskandal]“, wie | |
Datenjournalist Lorenz Matzat schrieb? | |
## Das Dilemma mit dem Verdacht | |
Das bestreiten die Investigativredaktionen, die damals berichteten. „Unsere | |
ersten Berichte waren klassische Verdachtsberichterstattung: Wir haben den | |
Verdacht der Staatsanwaltschaft wiedergegeben“, sagt Christine Adelhardt, | |
die für SZ/NDR/Radio Bremen die Bamf-Recherche koordiniert. „Dieser | |
Verdacht, Korruption und Bestechung in einer deutschen Behörde, kam so | |
monströs daher, da wüsste ich nicht, wie wir nicht hätten berichten | |
sollen.“ Richtigzustellen habe man bei SZ/NDR/Radio Bremen nichts. Vielmehr | |
habe sich wohl das Bamf selbst mit seinen Anschuldigungen gegen Ulrike B. | |
verrannt. | |
Tatsächlich bringt Verdachtsberichterstattung immer ein Dilemma mit sich: | |
dass man über Dinge schreibt, die noch nicht gerichtsfest sind. Behörden, | |
wie die Staatsanwaltschaft, werden von vielen Redaktionen als privilegierte | |
Quelle, also als besonders glaubwürdig, behandelt. Dass das problematisch | |
sein kann, zeigt ein Beschluss des Bremer Verwaltungsgerichts aus der | |
vergangenen Woche. Die Richter befanden, dass die Staatsanwaltschaft die | |
ehemalige Leiterin des Bremer Bamf, Ulrike B., in den Medien unzulässig | |
vorverurteilt hat. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft hatte einem | |
Journalisten der Zeit private Details von Ulrike B. erzählt. ZeitOnline | |
musste den Bericht löschen. | |
Auch Christine Adelhardt ist bei privilegierten Quellen vorsichtig. „Solche | |
Informationen müssen sorgfältig geprüft werden, das haben wir gemacht.“ | |
Aber: Es gab und gibt ja tatsächlich ein Ermittlungsverfahren mit | |
schwerwiegenden Vorwürfen gegen Ulrike B. und andere. Ermittler haben | |
Wohnungen und Kanzleien durchsucht, KollegInnen glaubten schon länger, dass | |
Ulrike B. einige Geflüchtete anderen vorziehe. | |
Woher SZ/NDR/Radio Bremen seine Informationen im Einzelnen hatte, sagt | |
Christine Adelhardt nicht. Nur so viel: Am Anfang der Recherche habe mehr | |
gestanden als der Durchsuchungsbeschluss der Bremer Staatsanwaltschaft. Für | |
die Zahl der 1.200 respektive 2.000 angeblich manipulierten Akten, habe man | |
zwei unabhängige Quellen gehabt. Ein Bamf-Sprecher bestreitet gegenüber der | |
taz, dass diese Zahlen damals in der Behörde kursierten. | |
Verdachtsberichterstattung muss auch sprachlich erkennbar sein. Das war sie | |
– in den meisten Texten und Beiträgen der seriösen Medien. Da hieß es oft, | |
Ulrike B. könnte, habe, soll, womöglich, mutmaßlich. Auf die Spitze | |
getrieben wurde das unter anderem in dem ersten [6][Kommentar], der in der | |
SZ erschienen ist: „Noch ist nichts bewiesen … noch gibt es nicht einmal | |
eine Anklage, und für Haftbefehle reichen die Ermittlungen … offenbar noch | |
nicht aus. Dennoch und bei aller gebotenen Vorsicht, … hätte das Bundesamt | |
einen echten Skandal.“ Formal ordentlich formuliert, nur: Wem nützt ein | |
solcher Kommentar? | |
Der Spiegel scheute sich trotz der vielen Konjunktive nicht vor härterer | |
Rhetorik: „[7][Bundesamt für Durchwinken]“, hieß einer der ersten Texte, | |
darin: „Bundesamt für Murks und Führungsversagen“, „Zwei Wochen später | |
platzte die Bombe“, „Merkel hatte den Mund zu voll genommen“, später, es | |
sei zu „[8][Hunderten fragwürdigen Asylbescheiden]“ gekommen. | |
„Bis heute steht im Raum, dass es in Bremen zu Hunderten fragwürdigen | |
Asylbescheiden kam“, sagt die Spiegel-Sprecherin Anja zum Hingst auf die | |
Frage, ob diese Rhetorik angemessen war. „Die Bundesregierung spricht von | |
rund 200 ‚schwerwiegenden‘ Fällen. Wie Sie das bewerten, bleibt Ihnen | |
überlassen, das gilt auch für einzelne Formulierungen im Spiegel. Wir | |
stehen zu unserer Berichterstattung.“ | |
Die Rechercheure des Spiegel finden nicht, dass der Bamf-Skandal kleiner | |
wird. Wie groß er war, lasse sich erst beantworten, wenn die | |
Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abgeschlossen habe und die Gerichte | |
Urteile gesprochen hätten. | |
Der Anwalt der früheren Bremer Bamf-Leiterin, Johannes Eisenberg, der auch | |
die taz vertritt, ist gegen die Berichterstattung im Spiegel vorgegangen. | |
Er ist unter anderem der Meinung, der Spiegel habe zum Nachteil der | |
Beschuldigten berichtet und ihr keine faire Gelegenheit zur Stellungnahme | |
gegeben. | |
Diese rechtlichen Schritte seien von den Gerichten überwiegend | |
zurückgewiesen worden, sagt Anja zum Hingst, „nur ein einziger Satz wurde | |
dem Spiegel verboten“. | |
Der Spiegel schrieb auch: „Der Skandal in Bremen sendete Schockwellen durch | |
die Republik“. Stimmt. Nur: Waren es nicht auch viele Medien, die diese | |
Schockwellen mitsendeten? | |
„Das kann ich so nicht erkennen“, sagt Christine Adelhardt von SZ/NDR/Radio | |
Bremen. „Wir haben so gut wir konnten in beide Richtungen recherchiert. Was | |
daraus politisch gemacht wird, dafür können wir nichts.“ Abgesehen davon | |
sei es ihre Redaktion gewesen, die schon früh viele Fakten infrage gestellt | |
hätten: Die angeblich von Anwälten gemieteten Busse, die Flüchtlinge nach | |
Bremen gebracht haben sollen, die Hotelrechnungen und Abendessen, die | |
Anwälte Ulrike B. gezahlt haben sollen. Sehen kann man das zum Beispiel in | |
dem NDR-Film „Die Akte Ulrike B.“, der am 15. Juni, also gut zwei Monate | |
nach den ersten Vorwürfen, lief. Zwei Tage vorher veröffentlichten | |
sueddeutsche.de, NDR und Radio Bremen [9][einen Bericht], dass die Zahl der | |
manipulierten Akten doch viel kleiner sein könnte als angenommen. | |
## Transparenz bei Recherchen | |
Als sich das im September 2018 bestätigte und das Bamf einräumte, dass | |
„flächendeckender Asylbetrug“ in Bremen nicht erkennbar sei, berichteten | |
das alle Medien, allerdings meist deutlich kleiner als beim | |
Anfangsverdacht. Von „Skandal“ sprach zu dieser Zeit kaum noch ein | |
Berichterstatter – über eventuellen Fehleinschätzungen in der eigenen | |
Recherche allerdings auch nicht. | |
Wenn es darum geht, ihre Erfolge zu inszenieren und zu vermarkten, | |
präsentieren sich viele Redaktionen stolz: Egal ob Panama Papers oder | |
Football Leaks. Inzwischen gehört dazu, dass man die Recherche selbst | |
spannend aufbereitet. Die Story hinter der Story gehört heute zu jedem | |
Scoop. Wäre so eine Transparenz nicht auch angebracht bei Recherchen, die | |
sich im Nachhinein als überzogen erweisen könnten? | |
Der NDR sendete Ende März im Politmagazin „Panorama“ einen Film zum | |
aktuellen Stand. Der „‚[10][Bamf-Skandal‘ wird immer kleiner]“, heißt … | |
darin. Der Film kritisierte auch die aufgeblasenen Berichte vieler Medien – | |
allerdings nicht die eigenen. „Wir haben unsere Berichterstattung intern | |
diskutiert und darüber gesprochen, wie weit Verdachtsberichterstattung | |
gehen kann“, sagt Christine Adelhardt. „Vielleicht hätten wir an der ein | |
oder anderen Stelle noch deutlicher machen sollen, dass es sich um einen | |
Verdacht handelt. Ich finde aber nicht, dass wir Fehler gemacht haben.“ Die | |
Redaktion halte weiter Kontakt zu allen Beschuldigten. Adelhardt glaubt: | |
Hätten die sich von der Berichterstattung diffamiert gefühlt, hätten sie | |
den Kontakt doch abgebrochen. | |
Auch der Spiegel sieht keinen Anlass, die eigene Berichterstattung zu | |
thematisieren: „Der Spiegel hat zur Bremer Bamf-Affäre korrekt berichtet, | |
es steht nicht eine unwahre Tatsachenbehauptung im Raum.“ | |
Ein Ort, an dem Journalisten regelmäßig über ihre Arbeit sprechen, ist das | |
Jahrestreffen des Netzwerk Recherche beim NDR. Einen Antrag, beim nächsten | |
Treffen im Juni über die Bamf-Recherchen zu sprechen, hatte die | |
Organisatoren zuerst abgelehnt. „Aber nicht, weil wir uns dem Thema nicht | |
stellen wollen. Sondern weil wir zu viele Vorschläge für zu wenig Platz | |
hier hatten“, sagt Kuno Haberbusch, NDR-Journalist und Organisator des | |
Jahrestreffen. Mittlerweile sehe er aber den Bedarf an einer öffentlichen | |
Auseinandersetzung. Eine Veranstaltung zu den Bamf-Recherchen wird es wohl | |
geben. | |
18 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bild.de/politik/inland/betrug/so-lief-der-asyl-betrug-von-breme… | |
[2] /Vermeintliche-Fehler-in-Bremen/!5586346 | |
[3] https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2019/03/KA-19_7624-Sachstand-… | |
[4] https://community.beck.de/2018/06/14/der-eigentliche-bamf-skandal-erst-der-… | |
[5] https://medium.com/@lorz/der-bamf-skandal-ist-ein-presse-skandal-3ca7ce3da4… | |
[6] https://www.sueddeutsche.de/politik/asyl-unter-verdacht-1.3952778 | |
[7] https://magazin.spiegel.de/SP/2018/22/157533400/index.html | |
[8] https://magazin.spiegel.de/SP/2018/34/158957317/index.html | |
[9] https://www.sueddeutsche.de/politik/bamf-zweifel-vorwuerfe-1.4013662 | |
[10] https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2019/BAMF-Skandal-wird-immer-klein… | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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