# taz.de -- Bremer Bamf-Skandal: Verteidiger*innen erheben Vorwürfe | |
> Im Bamf-Skandal ging es 2018 um angeblich massenhaften Asylbetrug. Doch | |
> nun gibt es Zweifel an den Unterlagen, auf denen die Anklage beruht. | |
Bild: Laut Verwaltungsgerichten wurde hier sauber gearbeitet: Bremer Bamf | |
BREMEN taz | Beruht die Anklage im so genannten [1][Bremer Bamf-Skandal], | |
in dem es 2018 um angeblich massenhaften Asylbetrug ging, auf | |
unvollständigen Unterlagen? Diesen Vorwurf erheben die Verteidiger*innen | |
von Ulrike B., der Hauptbeschuldigten in dem Fall. Sie stützen ihren | |
Vorwurf auf die Akte eines Asylfalls, die das Bundesamt für Migration und | |
Flüchtlinge (Bamf) den Anwält*innen nach anderthalbjährigem Ringen | |
aushändigte und die auch der taz vorliegt. | |
Die Akte betrifft den Fall eines Asylsuchenden, dessen Asylantrag Ulrike B. | |
im Jahr 2015 positiv beschieden hatte – nach Ansicht des Bamf-Zentrale zu | |
Unrecht. Der Akte zufolge hob das Verwaltungsgericht Hannover den Widerruf | |
der Zentrale aber im Oktober 2019 auf. Die Staatsanwaltschaft hat ihn in | |
Unkenntnis der Akte trotzdem angeklagt. Weitere Fälle, wegen denen Ulrike | |
B. angeklagt ist, könnten ähnlich gelagert sein. | |
Ulrike B. leitete 23 Jahre lang die Bremer Außenstelle des Bamf. Im Jahr | |
2018 [2][wurde der Vorwurf publik], sie habe in etlichen Fällen zu Unrecht | |
Asyl gewährt. Die Polizei ermittelte wegen einer Straftat, die die | |
offizielle Kriminalstatistik für 2018 bundesweit nur einmal aufführt: | |
„Gewerbs- und bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen | |
Asylantragstellung, Paragraf 84a Asylgesetz.“ | |
Als Motiv für den vermeintlichen Asylmissbrauch dichteten die | |
Ermittler*innen Ulrike B. sogar eine Liebesbeziehung mit einem Hildesheimer | |
Anwalt an – eine Behauptung, die später [3][gerichtlich unterbunden wurde]. | |
## „Falscher“ Bescheid war korrekt | |
Die Vorwürfe zogen politisch Kreise. Krisensitzungen, Taskforce-Bildungen | |
und personellen Konsequenzen waren die Folge. In einer Pressemitteilung, | |
die das Bremer Oberverwaltungsgericht inzwischen als ehrenrührig und | |
wahrheitswidrig eingestuft hat, sprach Innenstaatssekretär Stephan Mayer | |
(CSU) von „hoch kriminellen Energien“. Jutta Cordt, Chefin des Bundesamts | |
wurde durch einen Hardliner ersetzt. | |
Vor einem guten Jahr erhob die Staatsanwaltschaft schließlich ihre Anklage | |
gegen Ulrike B. und andere Bamf-Mitarbeiter*innen. Nur stützt sie sich | |
dabei in mindestens einem Fall auf einen positiven Asylbescheid, der zwar | |
von der Bamf-Leitung in Nürnberg kassiert, längst aber vom zuständigen | |
Verwaltungsgericht wieder in Kraft gesetzt wurde, weil er nach dessen | |
Auffassung einwandfrei war. | |
Das geht aus der Akte hervor, die der Verteidigung jetzt vorgelegt wurde – | |
nach einer langen Auseinandersetzung. Ulrike B.'s Anwalt Johannes | |
Eisenberg, der in anderen Fällen auch regelmäßig die taz vertritt, hatte | |
schon im August 2018 damit begonnen, das Bamf zur Herausgabe dieser und | |
weiterer Unterlagen aufzufordern. Aus denen geht hervor, wie | |
Verwaltungsgerichte über die angeblich missbräuchlichen Asylbescheide | |
entschieden haben. Die vermeintlichen Vergehen von Ulrike B. hätten ihren | |
Niederschlag nach Ansicht der Verteidigung in insgesamt 145 Akten finden | |
müssen. | |
Acht Mal musste Eisenberg, der Ulrike B. gemeinsam mit der Bremer Kanzlei | |
Joester und Partner vertritt, seinen Antrag erneuern, bis ihm die eine Akte | |
vorgelegt wurde. Bei den übrigen 144 wird ihnen die Einsicht noch immer | |
nicht gestattet. Eisenberg geht aber davon aus, dass die Gerichte auch in | |
anderen Fällen die Einschätzung der geschassten Bamf-Mitarbeiterin | |
bestätigten. „Die angeklagten Fälle sind sehr ähnlich gelagert“, sagt er. | |
## Verteidigung will die Akten einsehen | |
So seien meist Angehörige der jesidischen Minderheit betroffen gewesen, die | |
brutalster Verfolgung durch den IS ausgesetzt waren – die UN sprachen von | |
einem Genozid. Auf der Flucht hatten viele im Durchgangsland Bulgarien | |
Asylanträge gestellt. Nach Auffassung der Bamf-Spitze hätten sie dorthin | |
abgeschoben werden sollen – im Sinne des Dublin-Verfahrens. | |
Doch Ober- und letztlich auch das Bundesverwaltungsgericht und der | |
Europäische Gerichtshof hatten der Praxis in Grundsatzurteilen einen Riegel | |
vorgeschoben, weil dort menschenrechtswidrige Behandlung drohe. Diese | |
Grundsatzurteile müssten sich auch auf die Fälle ausgewirkt haben, wegen | |
denen die Staatsanwaltschaft Ulrike B. Angeklagt hat. „Wir gehen deshalb | |
davon aus, dass es sehr viele ähnliche Entscheidungen gibt“, sagt Anwalt | |
Eisenberg. | |
Doch selbst der Staatsanwaltschaft hatte das Bamf die Akten zu den | |
Verwaltungsgerichtsentscheidungen nicht zur Verfügung gestellt. Um die | |
Anklageschrift auszuarbeiten, war von Mai 2018 bis Ende September 2019 eine | |
gemischte Ermittlungsgruppe aus Polizei, Staatsanwaltschaft und dafür | |
abgestellten Bamf-Beamt*innen im Einsatz. Gestützt hat sich die „Gruppe | |
Antrag“, so ihr interner Name, lediglich auf Aktenauszüge, die ihr die | |
Nürnberger Bamf-Zentrale zur Verfügung gestellt hatte. Die Fall-Akten, um | |
die es jetzt geht, waren laut einem Schreiben der Ermittlungsbehörde an die | |
Verteidigung nicht dabei. | |
Damit konfrontiert, sagt ein Bamf-Sprecher auf Anfrage der taz, „alle für | |
die Ermittlung benötigten Informationen“ seien zur Verfügung gestellt | |
worden. Hätte die Behörde nicht jedoch im Sinne der beamtenrechtlichen | |
Fürsorgepflicht für ihre Untergebene den Ermittler*innen auch die | |
entlastenden Akten zur Kenntnis geben müssen? „Dass Informationen vom | |
Bundesamt bewusst nicht übermittelt werden, wie ihre Fragen suggerieren, | |
widerspreche ich deutlich“, teilt der Bamf-Sprecher nur mit. | |
## Alle Informationen verfügbar, sagt das Bamf | |
Seit mehr als einem Jahr liegt die Anklageschrift nun beim Landgericht | |
Bremen. Das muss untersuchen, ob sie ausreicht, um einen Prozess zu | |
eröffnen. Verteidiger Eisenberg sieht durch die neue Akte die Chancen | |
seiner Mandantin gestiegen. „Ich habe dem Landgericht diese Fallakte zur | |
Kenntnis gegeben und es aufgefordert, die übrigen beizuziehen“, sagt er. | |
„Notfalls muss es die beschlagnahmen.“ Schließlich gehe es in dem ganzen | |
Verfahren „nur um diese Akten und nichts anderes“, so der Anwalt weiter. | |
Das Gericht selbst gibt auf Anfrage derzeit keine Auskünfte zum Verfahren, | |
die Staatsanwaltschaft auch nicht. Dabei hätte man doch gerne erfahren, | |
warum sie die Akten zu den Verwaltungsgerichtsentscheidungen offenbar nicht | |
selbst eingefordert hat. Schließlich hat die Staatsanwaltschaft laut | |
Strafprozessordnung „auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu | |
ermitteln“ – und dazu muss man die Akten zu den | |
Verwaltunsgerichtsentscheidungen nach Auffassung der Verteidigung zählen. | |
Unumstritten ist diese Ansicht nicht. So sagt Sönke Gerhold, | |
Strafrechtsprofessor an der Bremer Uni: „Im Verwaltungsrecht gelten andere | |
Beweisregeln als im Strafrecht.“ Er will den konkreten Fall nicht | |
kommentieren. Grundsätzliche gelte aber, dass die entsprechenden Urteile | |
nicht bindend für die Strafgerichte seien. Soweit es sich um einen Streit | |
um Rechtsfragen und nicht um Tatsachen handele, wären die | |
Verwaltungsgerichtsakten „für die Ermittlungen nicht relevant“. | |
Bloß: Die Rechtslage ganz anders zu beurteilen, als das eigentliche | |
Fachgericht und aus dieser Interpretation dann strafbares Handeln | |
abzuleiten, das ist unabhängig von der Frage der Bindungswirkung schwer | |
durchzuargumentieren. Damit würde der Fall zu einem reinen Kampf um die | |
politische Interpretation. In dem, so stellt es sich dar, hätte die | |
Staatsanwaltschaft die Sache einer Behördenspitze übernommen: Deren | |
Interesse ist es, die Dublin-Verordnung durchzusetzen. Und dafür muss sie | |
eine Untergebene sanktionieren, die das im Grundgesetz verankerte | |
Menschenrecht höher bewertet hat. So, wie es der Amtseid von ihr verlangt. | |
3 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Anklage-im-Bamf-Skandal/!5624571/ | |
[2] /Nach-dem-Bremer-Bamf-Skandal/!5593166 | |
[3] /Gericht-missbilligt-Justizbehoerde/!5591146/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) | |
Bremen | |
Horst Seehofer | |
Hass | |
Asylsuchende | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) | |
Flüchtlinge | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bamf-Prozess vorm Bremer Landgericht: Den wahren Skandal erkennen | |
Der Prozess um den vermeintlichen Bremer Bamf-Skandal braucht eine große | |
Bühne. Nur auf ihr wird anschaulich, wie grotesk das Verfahren ist. | |
Angeblicher Bremer Bamf-Skandal: Der Skandal, der keiner war | |
Laut Staatsanwaltschaft soll die ehemalige Bremer Bamf-Chefin in 121 Fällen | |
Straftaten begangen haben. Geblieben ist von den Vorwürfen fast nichts. | |
Geflüchtete bangen um Schutzstatus: Anlasslos auf dem Prüfstand | |
Das BAMF prüft bewilligte Asylanträge erneut. Betroffene sind tief | |
verunsichert, die Linke kritisiert Ressourcenverbrauch. | |
Nach dem Bremer Bamf-Skandal: Ein Medienskandal? | |
Tausende Flüchtlinge, hieß es, hätten in Bremen illegal Asyl erhalten. Dann | |
wurden es immer weniger. Was ist übrig und wie gehen Medien damit um? | |
Gericht missbilligt Justizbehörde: Schwatzanwälte gerügt | |
Mit Plaudereien und erotischen Fantasien zum „Bamf-Skandal“ haben Ermittler | |
laut Verwaltungsgericht Bremen die Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten | |
verletzt. |