| # taz.de -- Terrormilizen in Burkina Faso: Das Koglweogo-Dilemma | |
| > Islamisten verüben in Burkina Faso blutige Anschläge, lokale Milizen | |
| > schlagen brutal zurück. Die Behörden sehen meist tatenlos zu. | |
| Bild: Schutz vor Milizen: Flüchtlinge warten im Lager Barsalogho auf Wasser | |
| Ouagadougou/Kaya taz | Es ist ein Begriff, der in fast jedem Gespräch über | |
| die Sicherheitslage in Burkina Faso fällt: Niemandsland. Damit gemeint ist | |
| die riesige Fläche, die irgendwo zehn bis zwanzig Kilometer nördlich der | |
| Hauptstadt Ouagadougou anfängt und wo es für Terroristen und Banditen immer | |
| leichter wird, Anschläge zu verüben oder Menschen verschwinden zu lassen. | |
| In Burkina Faso herrscht teilweise [1][Ausnahmezustand], aber auf der 100 | |
| Kilometer langen Straße von Ouagadougou nach Kaya wird das Auto nicht | |
| einmal angehalten oder gar kontrolliert. Erst in Kaya, Hauptstadt der | |
| Region Centre-Nord, zeigt sich wieder Polizei. Beamte in sandgelben | |
| Uniformen stehen etwas verdeckt an Kreuzungen mit Stoppschildern. Wer nicht | |
| vorschriftsmäßig anhält und wartet, wird herausgewunken. | |
| Wirklich für Sicherheit sorgen andere. Youssouf Ouédraogo trägt ein | |
| blau-rot-weiß gestreiftes Poloshirt und sitzt mit drei anderen Männern in | |
| einem Hinterhof. Das Lehmgebäude findet man nur, wenn man den Weg genau | |
| kennt. Zwischen Holzbänken, Plastikstühlen und ein paar Eimern befindet | |
| sich in Kaya das Hauptquartier der Koglweogo-Miliz, der „Wächter des | |
| Waldes“. | |
| Seit 2015 sind im ganzen Land lokale Koglweogo-Gruppen entstanden und haben | |
| Aufgaben der Polizei übernommen. Zum Treffen hat Generalsekretär Ouédraogo | |
| ein Schreiben vom Ministerium für territoriale Administration, | |
| Dezentralisierung und Sicherheit mitgebracht. Darauf steht, dass in der | |
| Region Centre-Nord die Existenz seiner Miliz anerkannt wird. | |
| ## Burkina Faso wurde demokratischer und instabiler | |
| „Wir haben die Gruppe gegründet, weil es früher Banden gab, die | |
| Straßensperren errichteten. Es gab Einbrüche, Viehdiebstähle. Darüber | |
| spricht heute niemand mehr“, sagt Ouédraogo und nickt selbstzufrieden. | |
| Burkina Faso galt lange als stabilstes Land der Sahelzone. Das änderte sich | |
| nach der Revolution im Oktober 2014, als ein Volksaufstand der 27-jährigen | |
| Herrschaft von Präsident Blaise Compaoré ein Ende setzte. Burkina Faso | |
| wurde demokratischer, aber auch instabiler. Dreimal gab es in Ouagadougou | |
| Terroranschläge. Heute werden mehrmals pro Woche Polizeistationen im Norden | |
| angegriffen. Seit Jahresbeginn starben in Dörfern nördlich von Kaya | |
| Dutzende Menschen durch ethnische Gewalt. Von November 2018 bis März 2019 | |
| wurden nach Angaben des Armed Conflict Location and Event Data Project | |
| (ACLED) 499 Menschen bei Gewaltakten in Burkina Faso getötet. | |
| Nicht immer lässt sich sagen, von wem die Gewalt ausgeht, wer sie | |
| finanziert und wer davon profitiert. Als gesichert gilt, dass es unter | |
| Compaorés Herrschaft Deals mit regionalen Terrorgruppen gab, die Anschläge | |
| in Burkina Faso verhinderten – heute aber nicht mehr. | |
| „Es ist ein landesweites Problem geworden“, sagt im Rathaus von Kaya Binta | |
| Sawadogo, die stellvertretende Bürgermeisterin. „Im Sahel gibt es | |
| Terroristen, die sich weiter in Richtung Kaya bewegen. Es stimmt, dass | |
| Sicherheit nicht überall gewährleistet ist.“ Dennoch würden Streit- und | |
| Sicherheitskräfte tun, was sie könnten. Neben den staatlichen | |
| Sicherheitskräften lobt sie vor allem die Koglweogo. „Sie haben in den | |
| Dörfern gute Arbeit geleistet. Dort ist die Bedrohung verschwunden.“ | |
| ## „Der einzige Ort, an dem ich mich noch sicher fühle“ | |
| Trotz des staatlichen Dokuments, das Milizenchef Youssouf Ouédraogo immer | |
| wieder durch seine Finger gleiten lässt, ist die Rechtslage schwierig. In | |
| Ouagadougou heißt es, dass die Koglweogo in Strukturen eingebunden und zur | |
| Ordnung gerufen werden müssten. In Kaya hat Ouédraogo andere Sorgen: Geld. | |
| „Niemand gibt uns auch nur einen CFA-Franc. Wir verkaufen Ziegen und | |
| Hühner, damit wir die Gegend überwachen können.“ Auf die Frage, ob nicht | |
| eigentlich die Polizei auf Streife gehen sollte, lächelt Ouédraogo fast | |
| mitleidig. „Wir arbeiten zusammen und haben den Segen der Bevölkerung und | |
| von Gott.“ Auf Nachfrage äußert er schließlich noch einen Wunsch: Waffen. | |
| „Wenigstens eine, damit wir uns selbst verteidigen können. Wir haben keine | |
| einzige.“ | |
| Eine gute Stunde weiter entlang einer rotbraunen Sandpiste ist am Rande der | |
| Kleinstadt Barsalogho eine Notunterkunft für 1.400 Menschen entstanden. | |
| Geflüchtet sind die Menschen aus Yirgou und den umliegenden Dörfern. In | |
| Yirgou kam es Anfang Januar zu einem Massaker, bei dem offiziell 49 | |
| Menschen starben. Lokale Quellen geben über 200 Todesopfer an. | |
| Aus einem der großen weißen Zelte tritt der 62-jährige Abdoulaye Diallo. Er | |
| ist froh, dass es das Camp gibt, eher ein kleines Dorf in der prallen Sonne | |
| mit Arztpraxis, Kindergarten, Grundschule und ein paar Verkaufsständen – | |
| nur Wasser muss aufwendig von woanders angeliefert werden. „Es ist der | |
| einzige Ort, an dem ich mich noch sicher fühle“, sagt der kleine Mann. | |
| Alle Bewohner gehören der Volksgruppe der Peul an – eine Ethnie, die in | |
| ganz Westafrika zu finden ist und auch Fulani oder Fulbe genannt wird. | |
| Diallo floh im Januar vor einem Angriff auf sein Heimatdorf Sago, 40 | |
| Kilometer entfernt. „Sie haben meine Eltern umgebracht“, erzählt er | |
| monoton. Die Antwort auf die Frage, wer es war, fällt knapp aus: Koglweogo. | |
| Warum sie das Dorf überfallen hätten, kann er nicht sagen. | |
| ## Das Massaker begann mit der Ermordung des Dorfchefs | |
| Burkina Faso galt bisher als Land der Toleranz. Das Nebeneinander von | |
| Religionen und Ethnien ist Normalität. Doch jetzt werden Peul-Terroristen | |
| für die Zunahme von Terrorangriffen verantwortlich gemacht. Terrorexperten | |
| gehen davon aus, dass die 2017 gegründete, Al-Qaida-nahe | |
| „Unterstützergruppe des Islams und der Muslime“ (JNIM) für Anschläge in | |
| Mali und Burkina Faso verantwortlich ist. Zur Führung gehört der Peul | |
| Amadou Kouffa, vorheriger Chef der Macina Liberation Front in Mali. Kouffa | |
| stammt aus Zentralmali und wird als „Peul-Dschihadist“ bezeichnet. Das | |
| schürt mittlerweile nicht nur dort, sondern auch in Nachbarländern Angst | |
| und Misstrauen. | |
| Zurück in Kaya schüttelt Koglweogo-Milizenchef Ouédraogo unwirsch den Kopf | |
| über die Geschichte des alten Peul-Flüchtlings Diallo. „Ich bin 100 Prozent | |
| sicher, dass das nicht stimmt. Wer das erzählt, hat falsche Informationen.“ | |
| Im Rathaus ist die stellvertretende Bürgermeisterin Binta Sawadogo | |
| vorsichtiger. „Es gibt Dinge, die passieren können, wenn die eigene Familie | |
| angegriffen wird. Wenn man frustriert ist, ist man zu Dingen fähig, die | |
| nicht mit dem Gesetz zu vereinbaren sind.“ | |
| In Yirgou begann das Massaker in der Neujahrsnacht mit der Ermordung des | |
| Dorfchefs und fünf Familienmitgliedern durch Angreifer auf Motorrädern, die | |
| schnell wieder in den Weiten der Savanne verschwunden. Der blutige Angriff | |
| auf die Peul des Ortes in den Tagen danach wird als Racheakt bewertet. Auf | |
| die Frage, warum die Polizei nicht einschritt, stockt Bürgermeisterin | |
| Sawadogo einen Moment. „Es gibt einfach Momente, in denen keine Polizei vor | |
| Ort ist.“ | |
| Mehr als 135.000 Binnenflüchtlinge gibt es mittlerweile in Burkina Faso. 95 | |
| Prozent davon leben nicht in Lagern, sondern sind in anderen Dörfern | |
| aufgenommen worden. Jeder hat eine Geschichte zu erzählen, und so | |
| verfestigen sich Rachegelüste. Auch werden Spekulationen laut, ob | |
| Terroristen die Taktik von Angriffen und Racheakten bewusst nutzen, um die | |
| Gesellschaft zu spalten und am Ende ganz Burkina Faso in ein Niemandsland | |
| zu verwandeln. | |
| 27 Apr 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Gänsler | |
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