# taz.de -- Ethnische Milizen in Mali: Auf Menschenjagd | |
> In Mali bekämpft die Jägermiliz Dan Na Ambassagou „Terroristen“ – ein | |
> Staat im Staate. Jetzt verlangt sie von den Militärmachthabern | |
> Anerkennung. | |
Bild: In der Mitte: Moïse Sagara, Generalsekretär von Dan Na Ambassagou | |
MOPTI taz | Ein Keil aus Sonnenlicht ragt in die dunkle Lehmhütte. Er | |
beginnt an der Türschwelle und endet vor den Füßen eines Mannes, der auf | |
einem alten Benzinkanister sitzt. Auf seinem Schoß liegt ein abgewetztes, | |
einläufiges Schrotgewehr. | |
„Die ist zum Jagen“ sagt Moïse Sagara. Er legt die Flinte beiseite, greift | |
in eine dunkle Ecke und zieht ein Kalaschnikow-Sturmgewehr hervor. „Und die | |
ist zum Töten.“ | |
Moïse Sagara ist Generalsekretär der mächtigsten Miliz im Zentrum Malis: | |
Dan Na Ambassagou, „die Jäger, die auf Gott vertrauen“. Es ist Anfang | |
November. Sagara beschreibt seine Männer als traditionelle Jäger der | |
Dogon-Volksgruppe, die sich plötzlich einem mächtigen Feind stellen | |
mussten: einem Ableger von al-Qaida. „Wir kannten das nicht, bevor die | |
Dschihadisten kamen“, sagt er. „Die Regierung tut ihr Bestes, aber sie | |
braucht Hilfe. Unsere Dörfer sind nicht sicher. Unsere Bauern trauen sich | |
nicht auf ihre Felder.“ | |
Jahrelang hat Malis Regierung Dan Na Ambassagou geduldet, mitunter gar | |
unterstützt. In mindestens einem Fall hat der malische Staat ortskundige | |
Jäger sogar dafür bezahlt, ihnen Verstecke der Dschihadisten zu zeigen, so | |
ein UN-Expertenbericht. Ein geheimer Pakt im „Krieg gegen den Terror“. Doch | |
es ist nur ein paar Monate her, dass diese Regierung von unzufriedenen | |
Militärs gestürzt wurde – unter dem Beifall vieler Malier. | |
Seither ist nicht mehr klar, was aus dem Pakt zwischen Staat und Miliz | |
wird. Davon aber hängt Malis Zukunft ab – vielleicht die der ganzen Region. | |
## Selbstjustiz und Aberglaube | |
Sagara trägt eine braune Kappe und ein weites, braunes Gewand. Daran kleben | |
Lederverzierungen, die „Giri Giris“ genannt werden. Die Amulette sollen | |
ihren Besitzern übernatürliche Kräfte verleihen: Unsichtbarkeit im Kampf | |
etwa. Um Sagaras Hals hängen Lederketten, an seinem Handgelenk baumeln | |
Armbänder aus Kuhschwänzen: die Tracht der Jäger. Sagara öffnet zischend | |
eine Bierdose. Er gießt ein paar Tropfen auf die Erde vor seinen Füßen. | |
Schaum und Sand vermischen sich zu einem blubbernden Matsch. Ein Schluck | |
für die Verstorbenen. | |
Dann nimmt Sagara selbst einen. Und noch einen, und noch einen. Später an | |
diesem Morgen, an dem der Dunst von Alkohol schwer in der heißen Luft | |
liegt, sagt er: „Wir wollen mit der neuen Regierung zusammenarbeiten.“ | |
Doch so einfach ist das nicht. Den Jägern wird Selbstjustiz vorgeworfen. | |
Von Massakern an Zivilisten ist die Rede, von ethnischen Säuberungen. Für | |
[1][Malis neue Übergangsregierung], dominiert vom Militär, wird der Umgang | |
mit Dan Na Ambassagou ein entscheidender Test. | |
Dan Na Ambassagou entstand 2016, als Dschihadisten aus dem Norden Malis | |
sich nach Süden ausbreiteten. Traditionelle Jäger, die im Siedlungsgebiet | |
der Dogon seit jeher über die Dörfer wachen, organisierten sich. Dan Na | |
Ambassagou ist schnell gewachsen, die Miliz hatte Anfang 2020 eigenen | |
Angaben zufolge 8.000 Kämpfer. | |
## Als die Dschihadisten kamen | |
In dieser Zeit, es ist März 2020, fährt ein weißer Jeep über das | |
Felsplateau von Bandiagara. Bis zu 500 Meter hohe Sandsteinklippen ziehen | |
sich quer durch die Region Mopti, [2][das Land der Dogon]. Amassagou Saye | |
sitzt auf dem Beifahrersitz. „Halt“, sagt er. Die Reifen sinken in der | |
losen Erde ein. Am Wegesrand stehen ein Dutzend Kerle mit Schrotflinten und | |
Sturmgewehren. Saye steigt aus, marschiert auf die Männer zu. Kurz vor | |
ihnen geht er auf Knie und berührt mit der Hand den sandigen Boden: das | |
Begrüßungsritual der Jäger. | |
Die Milizen unterhalten Checkpoints, patrouillieren an Straßen und in | |
Dörfern. Saye hat den letzten Checkpoint der Jäger vor Guemeto-Téréli | |
erreicht. Zwei Wochen vorher wurde das Dorf von Dschihadisten überfallen. | |
Sie kamen mit Motorrädern und Sturmgewehren. | |
Zum Dorf sind es von hier aus nur noch 10 Kilometer. Der nächste Checkpoint | |
der malischen Streitkräfte ist mehr als 60 Kilometer entfernt. | |
Die Dschihadisten haben in Guemeto-Téréli nur verbrannte Erde hinterlassen. | |
Das Vieh wurde gestohlen, die Getreidespeicher sind nur noch Haufen aus | |
schwarzen Ziegeln. Saye stapft über rußschwarzen Sand. Der Lauf seines | |
Gewehrs ragt weit über seinen Kopf hinaus. | |
Während der Jäger die Szene durch eine schwarze Sonnenbrille mustert, hört | |
er zu, was die Überlebenden berichten. „Als die Dschihadisten kamen, sind | |
einige von uns drei Kilometer gerannt, um hinter einer Düne in Deckung zu | |
gehen“, erinnert sich ein Bauer. Die Erde rund um das Dorf sei so flach und | |
karg, sonst gebe es kein Versteck. Der Dorfvorsteher schildert, dass sich | |
Vertreter des Staates hier nicht blicken ließen. „Unser Bürgermeister lebt | |
in Bamako, sein Stellvertreter an der Elfenbeinküste … Dan Na Ambassagou | |
ist hier.“ | |
Die Menschen sind froh, dass sich überhaupt jemand um sie kümmert. | |
Allerdings gilt das nur für einen Teil der Bevölkerung dieses Landesteils: | |
die Dogon. | |
## Überleben in Leichenbergen | |
Vor einem baufälligen Haus in der Stadt Sévaré stehen Plastikstühle, | |
daneben staubige Decken – ein Unterschlupf für Flüchtlinge der | |
Peul-Volksgruppe. Wenn die 13-jährige Fatouma Barry ihren linken Arm | |
bewegt, folgt ihre Hand dem Impuls nur zögerlich. Ihre Finger sind kaum | |
noch als solche zu erkennen. Sie sind geschwollen, zu Krallen deformiert | |
und wackeln leblos am Gelenk. | |
„Ich war glücklich“, erzählt Barry über ihr früheres Leben im Dorf | |
Ogossagou. Sie spricht von Freunden, die gern scherzten. Als sie von der | |
Nacht des 23. März 2019 erzählt, wird ihre Stimme dünn. Lärm riss Barry aus | |
dem Schlaf. Sie wankte zur Tür. Draußen sah sie ihre Nachbarn, getroffen | |
von Kugeln, leblos auf den Boden fallen. Männer mit Gewehren schrien. Barry | |
erkannte die Sprache der Dogon und fiel in Ohnmacht. | |
Als sie wieder zu sich kam, lag sie inmitten von 150 Leichen. Der | |
[3][Überfall auf Ogossagou] gilt bis heute als das schlimmste Massaker in | |
der jüngeren Geschichte Malis. „Ich war alleine unter den Toten“, sagt | |
Barry. „Es waren so viele.“ Die Hütten ihres Dorfes waren niedergebrannt. | |
Das Feuer nahm Barry ihre Finger. | |
Ogossagou, Bare, Peh – die Liste der Siedlungen, die Dogon-Milizen | |
überfallen haben sollen, ist lang. Barry hat ihren Schleier an Kopf und | |
Schultern mit glitzernden Steinchen verziert. Während sie erzählt, dass sie | |
bei einem zweiten Angriff auf Ogossagou Anfang 2020 ihren Vater und | |
Großvater verlor, lässt sie ihre zerstörte Hand immer wieder unter dem | |
Stoff verschwinden. | |
Dan Na Ambassagou ist nicht einfach eine Gruppe traditioneller Jäger, die | |
sich den Dschihadisten entgegenstellt. In der wohl positivsten aller | |
Lesarten ist sie eine dilettantische Bürgerwehr, die in eine tödliche Falle | |
getappt ist. | |
[4][Amadou Koufa], der mächtigste Islamistenführer im Zentrum Malis, hat zu | |
einem Peul-Dschihad aufgerufen. Damit hat er dafür gesorgt, dass seine | |
Ethnie der Peul unter den Generalverdacht des Terrorismus gerät. Die | |
Dogon-Jäger greifen nun seit einigen Jahren immer wieder Peul-Zivilisten | |
an, die sie für Dschihadisten oder deren Kollaborateure halten. | |
Es wäre jedoch naiv zu glauben, dass alle Jäger in Koufas Falle tappen. | |
Einige nutzen den Dschihadismus als Vorwand. Weil Dogon-Milizen, aber auch | |
Soldaten, wahllos Peul umbringen, sehen die oft keinen anderen Ausweg, als | |
sich Terrorgruppen anzuschließen. Sie werfen den Jägern vor, sie ausrotten | |
zu wollen. Manche sprechen von Völkermord, den die Regierung decke. Auch | |
Peul haben Selbstverteidigungsmilizen gebildet, auch ihnen werden | |
[5][schwere Verbrechen] vorgeworfen. | |
Peul und Dogon tragen eine uralte Fehde aus: Vor vielen Jahrhunderten haben | |
Peul die Dogon versklavt. Diese Zeiten sind nicht vergessen. Zudem kämpfen | |
Peul und Dogon um Ressourcen: Peul sind meist Viehhirten, Dogon Farmer. In | |
einer Region, in der Acker- und Weideland wegen des Klimawandels knapp | |
wird, sorgt das für immer größere Spannungen. | |
## Eng verwoben mit dem Staat | |
Von Malis Hauptstadt Bamako aus führt eine holprige, staubige Straße zum | |
großen Militärstützpunkt Kati. Zwischen diesen beiden Machtzentren des | |
malischen Staates wohnt Mamadou Goudienkilé. Er trägt ein elegantes | |
lilafarbenes Gewand und ist der politische Vertreter von Dan Na Ambassagou. | |
„Die Leute behaupten, im Zentrum Malis gäbe es einen ethnischen Konflikt“, | |
sagt er, ein Mann geschliffener Worte. „Doch einen Konflikt gibt es nur | |
zwischen Dogon und Dschihadisten.“ Natürlich seien nicht alle Peul | |
Dschihadisten. „Aber die Dschihadisten haben die Peul infiltriert.“ | |
Goudienkilé ist ein Beleg, wie eng verwoben Dan Na Ambassagou und der | |
staatliche Machtapparat sind. Der politische Vertreter der Jäger ist | |
Hauptmann im Ruhestand der malischen Streitkräfte. Er ist bis heute im | |
regen Dialog mit den Eliten in Bamako, eigenen Angaben zufolge auch mit der | |
neuen Führung. Von ihr fordert er, sich ein Beispiel an Burkina Faso zu | |
nehmen. Im Nachbarland hat die Regierung die Miliz [6][Koglweogo, „die | |
Wächter des Waldes“], als Partner im Kampf gegen den Terror anerkannt. | |
Wie geht Malis neue Führung damit um? Im Bericht der UN-Experten heißt es, | |
die Miliz sei „unkontrollierbar“ geworden. Ein Staat im Staate. Der | |
„Stabschef“ von Dan Na Ambassagou, Youssouf Toloba, hat der neuen Führung | |
bereits mehrere Ultimaten gestellt, zuletzt Mitte Dezember. In einem drohte | |
er, die Seiten zu wechseln. | |
Einige Beobachter halten das für Getöse. Trotzdem ist es fraglich, ob Dan | |
Na Ambassagou einfach so die Waffen niederlegt, falls die neue Regierung | |
das wünscht. In einem Land, das schon jetzt in Gewalt versinkt, droht eine | |
weitere Kriegsfront zu entstehen. | |
## Der Kampf geht weiter | |
Moïse Sagara, auf dem Benzinkanister in der Lehmhütte, gibt sich | |
diplomatisch – auf seine Art. Der Generalsekretär der Jäger ruft einen | |
Kameraden herbei. Der zieht drei Vogelkadaver aus seiner Ledertasche und | |
wirft sie auf den Boden. Kleine, ins Weiß verdrehte Augen starren tot in | |
alle Himmelsrichtungen. | |
„Das ist die Arbeit von Jägern“, sagt Sagara. Sobald die Dschihadisten | |
besiegt seien, würden seine Männer die schweren Waffen niederlegen und | |
wieder Tiere jagen, so wie früher. | |
Dann verlässt er die Hütte und spaziert durch das Camp seiner Miliz. | |
Überall sind Männer in braunen Trachten. Das Lager ist von einem Tafelberg | |
geschützt, durchzogen von einem Labyrinth aus Höhlen und Gängen. Die Jäger | |
kennen jeden Winkel. Nach Süden ist ein schweres Maschinengewehr gerichtet. | |
5 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Issio Ehrich | |
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