# taz.de -- Verkehrssenatorin über Abbiegeassistent: Nur für einzelne Kreuzun… | |
> Ein generelles Verbot für Lkws ohne Abbiegewarnsystem lässt sich in den | |
> Kommunen zurzeit nicht realisieren, sagt Berlins parteilose | |
> Verkehrssenatorin Regine Günther. | |
Bild: Radfahrer im toten Winkel: Elektronische Systeme warnen den Fahrer und re… | |
taz: Frau Günther, der Senat hat [1][ein Rechtsgutachten prüfen] lassen, | |
nach dem Städte Lastkraftwagen die Durchfahrt verbieten dürfen, wenn sie | |
keinen Abbiegeassistenten haben. Was sind die Ergebnisse? | |
Regine Günther: Wir kommen zu dem Ergebnis, dass dieser Weg nicht | |
praktikabel ist. Das Gutachten rückt die Abwehr tödlicher Gefahren im | |
Straßenverkehr in den Mittelpunkt. Doch die Straßenverkehrsordnung gibt ein | |
generelles City-Verbot für Lkws ohne Abbiegeassistenten so nicht her, schon | |
gar nicht für ganze Innenstädte. Folgt man dem Gutachten, müsste für jede | |
Berliner Kreuzung – allein mit Ampelanlagen gibt es mehr als 2.000 davon – | |
einzeln nachgewiesen werden, dass die konkrete Gefahrenlage gerade dort | |
unbedingt einen Abbiegeassistenten erfordert und dass alles andere | |
ausscheidet. Nur dann könnten wir nach dem Grundsatz der | |
Verhältnismäßigkeit für diese einzelne Kreuzung den Assistenten zur Pflicht | |
machen. Das wird nicht schnell umsetzbar sein, weil zuvor immer alle formal | |
milderen Mittel genau abgeprüft werden müssen: eine versetzte Haltelinie | |
zum Beispiel, getrennte Grünphasen, ein geschützter Radweg. | |
Werden Sie jetzt für ausgewählte Kreuzungen ein Verbot für Lkws ohne | |
Abbiegeassistent erlassen? | |
Es bringt nichts, nur für einzelne Kreuzungen ein Fahr- oder Abbiegeverbot | |
für Lkws zu erlassen, denn damit würde man das Problem auf andere | |
Kreuzungen verlagern – und dort die Gefahr tödlicher Abbiegeunfälle sogar | |
noch erhöhen. Man kann dies nur in größeren räumlichen Zusammenhängen | |
lösen. Der bessere Weg wäre eine Änderung der Straßenverkehrsordnung, mit | |
der die Behörden zur Anordnung großräumiger Verkehrsverbote in | |
geschlossenen Ortschaften für schwere Lkws ohne Abbiegeassistent ermächtigt | |
würden. Dafür müsste es Fristen geben, in denen Speditionen ihre Fahrzeuge | |
umrüsten können. Schon heute ist das übrigens kein großes Problem mehr, | |
weder technisch noch finanziell. Insofern ist es aus meiner Sicht auch | |
keine unangemessene Bedingung, um weiter in die Innenstädte fahren zu | |
dürfen. Ich werde darüber mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer das | |
Gespräch suchen. Auf EU-Ebene ist gerade entschieden worden, dass | |
frühestens ab 2024 Neuzulassungen nur noch mit Abbiegeassistenten erlaubt | |
sind. Das ist ein richtiger Schritt, aber sehr spät. Wir brauchen auch eine | |
Lösung für die bisherigen Flotten. | |
Hat das Gutachten also gar keine Konsequenzen für den Verkehr in Berlin? | |
Das Gutachten hat noch einmal sehr deutlich gemacht, dass wir | |
Gesetzesänderungen auf Bundes- und Europaebene brauchen. Darum muss es | |
jetzt gehen. | |
Die Zentren von Madrid und Kopenhagen sind fast autofrei, die historische | |
Innenstadt von Paris soll Fußgängerzone werden, London hat eine City-Maut, | |
New York führt eine ein. [2][In fast allen wichtigen Metropolen der Welt] | |
gibt es solche Projekte, nur in Berlin nicht. Warum nicht? | |
Wir haben im Dezember eine internationale Mobilitätskonferenz veranstaltet | |
mit Vertretern aus Paris, London und anderen Metropolen, die über ihre | |
Planungen der letzten Jahre berichtet haben. Alle überlegen, wie Mobilität | |
besser organisiert werden kann. Wir haben in Berlin vielleicht später | |
angefangen, aber wir beschäftigen uns in der Tiefe mit sehr vielen | |
Fragestellungen gleichzeitig. Und wir haben in den letzten zwei Jahren | |
viele Weichen umgestellt … | |
… zum Beispiel? | |
Wir haben jetzt Deutschlands erstes Mobilitätsgesetz, bei dem der | |
Umweltverbund aus Bahn-, Bus-, Rad- und Fußverkehr so gestärkt werden soll, | |
dass künftig mindestens 75 Prozent der Wege darin zurückgelegt werden. Die | |
Berliner Verwaltung ist durch das Gesetz gefordert, in der Planung den | |
Umweltverbund Vorrang bei der Abwägung zu gewähren. Es ist daher nicht nur | |
geregelt, wie künftig Radwege gebaut werden sollen. Es geht um die gesamte | |
Verkehrswende, zu der noch viel mehr gehört: Bis 2030 soll die gesamte | |
BVG-Busflotte elektrisch sein. Wir werden 1.500 U-Bahn-Wagen und 600 bis | |
700 neue S-Bahn-Wagen bestellen, die wir als Eigentum des Landes | |
übernehmen. Wir bauen Tramlinien aus, verdichten die Takte, prüfen neue | |
U-Bahn-Strecken – und wir werden die Stadt für Radfahrer und Fußgänger | |
bequemer und sicherer machen. Wir müssen uns wahrlich nicht verstecken. Die | |
Botschaft ist: Wir verbessern dramatisch den ÖPNV, wir verändern die | |
Radverkehrsinfrastruktur, wir schützen die Fußgänger. | |
Vor Kurzem haben Sie mit der Äußerung für Aufsehen gesorgt, [3][dass die | |
Leute ihr Auto abschaffen sollen]. War das ein Appell oder eine Drohung? | |
Weder noch: Es ist einfach eine Konsequenz aus dem, was wir um uns herum in | |
puncto Umwelt, Sicherheit und auch Lebensgefühl erleben. Daraus erwächst | |
ein ganz bestimmter Handlungsbedarf: Wenn wir die Mobilität für Menschen | |
und Güter weiter sicherstellen wollen, dann geht es nur mit weniger Autos | |
in der Stadt. Das knappste Gut in der wachsenden Stadt ist die Fläche. Und | |
die Fläche, die der Verkehr beansprucht, ist enorm. Ich bin davon | |
überzeugt, dass der motorisierte Individualverkehr Platz zugunsten anderer | |
Nutzungen abgeben muss. Zugunsten öffentlicher Nutzung, Grünflächen, aber | |
auch von Bauen oder Gewerbe. | |
Schafft man das mit Appellen? | |
Nein, dafür sind neue Gesetze notwendig und der Umbau der Infrastruktur. | |
Mehr Sicherheit durch mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer führt | |
zwangsläufig zu weniger Fläche für den motorisierten Individualverkehr. Es | |
wird dann für die Menschen insgesamt vorteilhafter, das Auto stehen zu | |
lassen, weil es einfach zeitsparender, schneller, sauberer und gesünder | |
ist. Das meinen wir mit neuer urbaner Mobilität. Wir müssen die Probleme | |
der Vergangenheit lösen. | |
Die da wären? | |
Der Verkehrsbereich hat bisher keinen Beitrag geleistet, den Klimawandel zu | |
begrenzen. Wir haben in Berlin ein Emissionsniveau, das dem von 1990 | |
entspricht, hinzu kommen die gesundheitsgefährdenden NOX-Emissionen. Doch | |
es geht nicht nur um saubere Luft. Wir erarbeiten gerade einen neuen | |
Lärmaktionsplan: Das größte Lärmproblem für die Berlinerinnen und Berliner | |
ist der Straßenverkehr. 660.000 Menschen leiden in Berlin unter diesem | |
Lärm. Wir haben das Problem der Verkehrstoten und Schwerverletzten, die | |
völlig zu Recht nicht mehr einfach so als Kollateralschaden des | |
Autoverkehrs hingenommen werden. Und wir haben natürlich das Problem, dass | |
die Leute ja eigentlich gar nicht mehr mobil sind: Denn sie stehen sehr | |
häufig im Stau. Das ist das Gegenteil von Mobilität. Dies wird sich mit dem | |
Bevölkerungszuwachs weiter verschärfen. | |
Aber man steht ja nicht nur im Stau, man steht auch in der U-Bahn. Können | |
Sie nachvollziehen, wenn heute jemand sagt, mit U- und S-Bahn fahre ich | |
nicht, das ist mir nicht komfortabel genug? | |
Ich finde, wir haben ein insgesamt wirklich gutes ÖPNV-System. Aber in den | |
vergangenen Sparjahren wurde auch hier viel zu wenig investiert. Das macht | |
sich nun in der Qualität bemerkbar. Die Wagen sind alt, da haben wir | |
Nachholbedarf. Wir investieren daher in großem Maßstab, mehr denn je. Ich | |
verstehe auch die Kritik an mangelhaften Schienen-Anbindungen in der | |
Metropolregion Berlin-Brandenburg. Da steuern wir kurzfristig durch mehr | |
Fahrten und längere Züge sowie mit dem Projekt „i2030“ gegen, bei dem wir | |
gemeinsam mit Brandenburg acht Korridore identifiziert haben, wo wir die | |
Pendler-Verbindungen dringend verbessern müssen. Berlin und Brandenburg | |
gehen dabei planerisch in die Vorleistung, das heißt: Wir zahlen das. | |
9 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Abbiegeassistenten-fuer-Lkws/!5567895 | |
[2] /Saubere-Luft-in-Europa/!5487629 | |
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-verkehrssenatorin-wir-moechten-d… | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
Anja Krüger | |
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