| # taz.de -- Kolumne Schlagloch: Zeit für Sheroes | |
| > Die Quote ist nicht die Lösung, damit mehr Frauen in die Politik gehen. | |
| > Wir brauchen eine Streitkultur, die zulässt, dass Frauen ihren eigenen | |
| > Weg gehen. | |
| Bild: Wir brauchen starke, eigensinnige Frauen, die unsere Gesellschaft mitgest… | |
| Sahra Wagenknecht ist eine der wenigen Frauen im Land, die fast zu viel auf | |
| einmal kann: Politik messerscharf analysieren, ihre Gedanken klar | |
| artikulieren, bravourös Talkshows in roten Kleidern meisten und interne wie | |
| externe Machtkämpfe gewinnen. Sie kann für ökonomische Schwächere reden, | |
| obwohl sie selbst das Edle liebt. [1][Jetzt kann sie erst einmal nicht mehr | |
| Fraktionsvorsitz. Zu viel Kampf, zu viel Stress.] | |
| Es sind Zeiten, in denen sich immer weniger Frauen in die Politik wagen. | |
| Zeiten, in denen so manche Männer sich wünschen, dieses „Gender-Gaga“ | |
| bliebe ihnen erspart. Im Kampf gegen den Backlash und die Rückkehr der | |
| Autoritären wird jetzt gern die Quote gefordert, vermutlich, weil sie kaum | |
| umsetzbar ist. Deutschland liebt unrealistische Forderungen, da lässt es | |
| sich schön lang ergebnislos an derselben Sache entlang debattieren. | |
| Quoten führen noch lange nicht zum Ziel: Starke, eigensinnige Frauen, die | |
| unsere Gesellschaft mitgestalten, werden es damit nicht leichter haben. | |
| Wichtiger als Quoten, die vor allem harmonisch vernetzte und privilegierte | |
| Frauen in Machtpositionen bringen würden, sind neue Bilder von mächtigen | |
| Frauen, die keiner erwartet hat, wie sie uns derzeit das | |
| US-Repräsentantenhaus liefert. | |
| Gäbe es dort eine Frauenquote, wären es wohl eher die privilegierten weißen | |
| Frauen geworden, die Tea-Partys in ihren feinen Wohnzimmern schmeißen. Doch | |
| Alexandria Ocasio-Cortez und viele andere Neue im Kongress, die Trump von | |
| nun an das Leben schwermachen, sind Vertreterinnen von Minderheiten. Nicht | |
| quotiert, sondern Teil eines Umbruchs. | |
| Ich nenne solche Frauen Sheroes. Sie gehen nicht gegen Männer vor, sie | |
| gehen vor allem ihren Weg. Und weisen so Machtmänner in ihre Schranken. Sie | |
| knöpfen sich jene vor, die gerne die Zeit zurückdrehen würden – und setzen | |
| sich gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit ein: Weil es oft Männer sind, | |
| deren Körper der Kapitalismus auszubeuten weiß. Alte weiße Männer wie Trump | |
| oder Bezos sind auch deshalb reich und mächtig, weil andere alte weiße | |
| Männer ihre Arbeitskraft zu billig verkaufen mussten. Sheroes sehen diese | |
| komplexen Zusammenhänge, sie machen es sich nicht leicht mit ihren | |
| Feindbildern. Schwarz-weiß ist nicht die Farbe der neuen Frauenbewegungen. | |
| ## Eine Kultur der neuen Rollenbilder | |
| Wir brauchen auch in Deutschland diese Kultur der neuen Rollenbilder. Mehr | |
| Bilder von Frauen, die ihren Weg auch in der Öffentlichkeit gegangen sind – | |
| so wie unsere Schweige-Queen Angela Merkel. Sie wollte nie über Feminismus | |
| reden, über ihre speziellen Herausforderungen und Kompetenzen als Frau. | |
| Doch als Trophäe können Feministinnen sie gut gebrauchen. | |
| Sahra Wagenknecht war auch so eine Trophäe. Ihr Rückzug wird in vielen | |
| deutschen Frauen ein noch größeres Misstrauen gegen den Politikbetrieb | |
| wecken. Denn Quoten zu fordern, solange gleichzeitig eine politische | |
| Unkultur des Parteiendauerzanks gepflegt wird, die selbst eine Sahra | |
| Wagenknecht vom Platz jagt, wird Frauen nicht helfen. | |
| Der ausgeschlachtete Machtkampf zwischen Wagenknecht und Katja Kipping | |
| zeigt zudem: Nach wie vor wird die Frau der Frau zum Wolf. Man redet gerne | |
| über weibliche Solidarität, doch heimlich stellt man noch immer die | |
| Schneewittchen-Frage: Wer ist die Schönste im ganzen Land? Im echten wie im | |
| übertragenen Sinn ist dies der Schwachpunkt der Feministinnen. | |
| Was läuft falsch in diesem Politikbetrieb und dem öffentlichen Diskurs, | |
| dass Frauen sich nicht in die Arena begeben wollen? Warum geht nach all den | |
| Jahren Frauenbewegung und trotz #MeToo die [2][Zahl der Frauen, die sich in | |
| die Politik begeben,] zurück? | |
| Warum gerät eine [3][Verteidigungsministerin ins Kreuzfeuer der Kritik für | |
| Beraterverträge], deren Kosten nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was | |
| unser Heimatminister Horst Seehofer dafür ausgibt? Ursula von der Leyen hat | |
| sogar das geringste Auftragsvolumen in Sachen Beraterverträgen: 1,2 | |
| Millionen im Vergleich zu Seehofers 533 Millionen. Aber eine Frau als | |
| Verteidigungsministerin geht man natürlich anders an als noch einen Mann an | |
| der Macht. | |
| ## Ein fatales Signal | |
| Wagenknechts Rückzug, ob aus gesundheitlichen Gründen oder als Niederlage | |
| in einem Machtkampf, ist ein fatales Signal. Der Politikbetrieb hat einen | |
| schlechten Ruf für Menschen mit Eigensinn. Wer mit klugen Köpfen spricht, | |
| der hört schnell: Diese Machtkämpfe in Parteien gebe ich mir nicht. | |
| Fraktionszwang und Konformität tue ich mir nicht an. Aber Politik braucht | |
| Querköpfe, sie braucht die Denkräume und Debattenkultur. Sie braucht eine | |
| Konfliktkultur, die weniger biblisch ist – gerade die junge Generation hat | |
| für diese Form der Hierarchie nichts mehr übrig. | |
| In der Politik fehlen sowohl Frauen als auch junge Menschen. Die | |
| jahrzehntealte Männerdominanz der Händeschüttler hat die Aura der Politik | |
| mittelmäßig und für viele langweilig gemacht. Timothy Garton Ash | |
| provozierte einmal sinngemäß: In Deutschland haben die Menschen wenig | |
| Chancen auf Top-Politiker, weil sich kein wirklich kluger Kopf das | |
| Händeschütteln und die Ochsentouren antun will. Er geht woanders sein Geld | |
| verdienen, jenseits der Hysterie, die beim kleinsten Nonkonformismus sofort | |
| hervorbricht. | |
| Die deutsche Politik hat ein Problem in Sachen Gleichstellung. Angela | |
| Merkel hat es genauso wenig für die Frauen gerichtet wie Barack Obama für | |
| die schwarze Community. Der Backlash kommt. In Deutschland kommt er in | |
| vielen kleinen Schritten, auch in Frauenfragen. Eine Wagenknecht, die | |
| aufgibt. Eine AKK, die – nach Jahren Merkel’scher Öffnung hin zur Mitte – | |
| meint, eine solide Flüchtlingspolitik sowie der Einsatz für Minderheiten | |
| seien eine Bedrohung fürs Land, statt als Frau solidarisch zu sein im Kampf | |
| für Menschenrechte. | |
| Zeit für Sheroes. Menschen mit Mut für den Wandel, ganz gleich ob Mann oder | |
| Frau. Nur Frauen müssen es noch einige mehr sein. Parität wird nicht nur | |
| durch Gesetze hergestellt, sondern auch durch Penetranz. | |
| 14 Mar 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jagoda Marinić | |
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