# taz.de -- Kolumne Schlagloch: Bachelor of Reinigung | |
> Die Regierung gibt sich die allergrößte Mühe, den Arbeiter abzuschaffen, | |
> um ihn irgendwie aufzuwerten. Arbeiter aller Länder, verschwindet euch! | |
Bild: Bringt der Bezeichnungsaufstieg auch den sozialen Aufstieg? | |
Es gibt da so eine Postkarte über Arbeiter, die hat es halbwegs zu Ruhm | |
gebracht. Darauf: ein Dutzend Bauarbeiter vor einer Baugrube. Sie stehen da | |
wie die zwölf Apostel um das letzte Abendmahl. Bis auf einen stehen sie | |
alle vor der Baugrube wie Kapitäne am Damm. Sie arbeiten nicht, sie tragen | |
Titel: Communication Manager. Security Manager. IT-Manager. Der Einzige, | |
der arbeitet, ist der schaufelnde Horst. | |
Nun hat das tatsächlich einmal nichts mit [1][Horst Seehofer] zu tun. Denn | |
Horst Seehofer hat nicht mitgearbeitet, sondern als Security Manager vor | |
allem Unsicherheit verbreitet. Obwohl er als Innenminister seiner Heimat | |
dient, arbeitet er bislang zum Beispiel noch nicht öffentlich an der | |
Beantwortung der Frage mit, was das jetzt für die Heimat bedeuten könnte, | |
wenn sich [2][„Hannibals Schattenarmee“] formiert. Oder hätte hier besser | |
Frau von der Leyen arbeiten sollen? | |
Es ist ja auch ein völlig altmodischer Blick von mir, tatsächlich von | |
Arbeiten zu sprechen. Arbeiten ist so ein gesellschaftlicher, aber auch | |
individualistischer Vorgang, an den sich manche noch erinnern werden, der | |
aber so gut wie von der politischen Agenda verschwunden ist. So abwesend | |
wie die Arbeit im politischen Diskurs ist, entsteht leicht der Eindruck, | |
alles stellt sich heutzutage von selbst her. Wozu wird die Arbeit überhaupt | |
noch ins Ausland verlagert, wo man sie unwürdig billig kaufen kann, wenn | |
der Arbeiter doch angeblich gar nicht mehr gebraucht wird? | |
Der Arbeiter rückt nur noch dann ins Visier der politisch Verantwortlichen, | |
wenn zum Beispiel ein sozialdemokratischer Finanzminister wie [3][Olaf | |
Scholz sich um die Grundsteuer bemüht]. Schnell fällt ihm ein, wie sich die | |
Grundsteuer auf den Mieter umlegen ließe. Olaf Scholz scheint davon | |
auszugehen, das trifft den Arbeiter nicht. Wichtige Teile der Politik haben | |
sich längst auf das Motto geeinigt: „Arbeiter aller Länder, verschwindet | |
euch!“ In so einem Deutschland, in dem der Arbeiter als arbeitender Mensch | |
und Kategorie politisch verschwunden ist, lässt sich selbst Angela Merkel, | |
die international gerne mit einer neo-liberalen Wirtschaftsagenda | |
assoziiert wird, als sozialdemokratische Geheimagentin beschimpfen, die das | |
Konservative zu zersetzen droht. | |
## „Facharbeiter“ nun „Fachbachelor“ | |
Die Speerspitze der konsequenten Arbeiter-Auslöschungs-Initiative bildet | |
allerdings die Bildungsministerin dieser Großen Koalition. [4][Anja | |
Karliczek] persönlich treibt das Verschwinden des Arbeiters jetzt richtig | |
voran, und zwar sprachlich. Frau Ministerin Karliczek, die der | |
interessierte Bundesbürger daher kennt, dass sie von vier Amtsjahren ein | |
ganzes für die Einarbeitungsphase beansprucht, hat geliefert. In der | |
Lieferung enthalten: Die Abschaffung des Arbeiters! Angeblich, um die | |
Arbeit des Arbeiters aufzuwerten. | |
Sehen wir uns das mal näher an: Der „Facharbeiter“ soll nun „Fachbachelo… | |
heißen. Können wir das bitte alle einmal im schönsten Denglisch | |
ausbuchstabieren: Fach-bätsch-älorr. Klingt dann fast nach Andrea Nahles. | |
Eine einfache Reinigungskraft? Braucht schon heute Diplome. Wäre nach der | |
Karliczek-Reform die Trockenreinigung Aufgabe des „Bachelor of Reinigung“, | |
während Nasswischen dem „Master of Reinigung“ vorbehalten wäre? Im | |
Bildungsministerium geht es tatsächlich um die existenziellen Fragen der | |
deutschen Bildungslandschaft. | |
Demnach wird ein Bäcker erst wertvoll, wenn er Bachelor heißt, nicht, wenn | |
er Brot zu backen weiß. Wer empört sich darüber? Die akademischen Zünfte! | |
Und zwar über die Abwertung der Studienabschlüsse, die ja keine | |
Berufsabschlüsse sein sollen. Hätten sie da mal aufgeschrien, als sie | |
bachelorisiert wurden. Es geht um Eitelkeiten, nicht um den arbeitenden | |
Menschen. Je länger sich dieses Trauerspiel vollzieht, desto klarer müsste | |
jedem sein: Im selben Maße wie die Arbeit von der Agenda verschwunden ist, | |
verschwand auch die Sozialdemokratie. | |
## Die krasse digitale Grube | |
Die lautesten Debatten über Arbeit sind jene vom Verschwinden der Arbeit. | |
Digitalisierung ist bisher vor allem das Reden vom Verschwinden der Arbeit, | |
sonst hört (noch) keiner zu. Dabei reißt das Reden über die digitale | |
Zukunft eine so krasse Grube auf, die könnte ein einzelner Horst gar nicht | |
herausschaufeln: Einerseits hält man ganze Vorträge beispielsweise darüber, | |
wie Busse und Bahnen automatisiert fahren werden, andererseits hört man | |
Meldungen wie: Die Deutsche Bahn wird es in den nächsten Jahren über weite | |
Strecken nicht organisiert bekommen, die Anschlusszüge zu erreichen. Wie | |
vernetzt sind überhaupt jene, die den digitalen Wandel propagieren und | |
jene, die wissen, weshalb schon die Technik der Gegenwart nicht | |
funktioniert? | |
Jeder Arbeiter, der überhaupt noch hinhören möchte und dessen Hirn nicht | |
stumpfdebattiert wurde, kann klar benennen, was sich in den letzten zehn | |
Jahren verschlechtert hat. Von Arbeit können zu viele nicht mehr leben, arm | |
trotz Arbeit, arm trotz Rente und so. Jetzt stelle man sich vor, wie diese | |
Menschen von der neuen Idee der Bildungsministerin hören: „Arbeiter, ihr | |
seid jetzt alle Bätschäloorr“! Und die Nöte? All jene, deren Arbeitsleben | |
eine politische Strategie erfordert? An deutschen Flughäfen finden sich | |
inzwischen Zustände wie in den USA: Den Reinigungs-Bacherlor dürfen | |
Dunkelhäutige machen, Einwanderer, die kaum Deutsch sprechen. Eine | |
Immigrantenarmee arbeitet im Niedriglohnsektor. Sie arbeiten in Hotels, | |
Küchen und Kantinen, in Krankenhäusern, Altenheimen oder bei | |
Pflegebedürftigen zu Hause. Politik? [5][Das macht ab morgen der Roboter!] | |
Es muss aber auch über das Leben jener geredet werden, die heute und jetzt | |
arbeiten und die nicht mehr wissen, welche Partei sich überhaupt noch um | |
Arbeiter kümmern will. Sie alle könnten es ziemlich satt haben, der Horst | |
zu sein, dem die anderen, die mit Titel, ständig sagen wollen, was und wie | |
er arbeiten soll. Wahrscheinlich interessiert diese Arbeiter am wenigsten, | |
ob man sie bei ihrem alltäglichen Überlebenskampfs nun Bachelor nennt. | |
29 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] /!t5010718/ | |
[2] /Rechtes-Netzwerk-in-der-Bundeswehr/!5548926 | |
[3] /Olaf-Scholz-Plaene-fuer-Grundsteuer/!5554060 | |
[4] /!t5487186/ | |
[5] /Foerderung-neuer-Technologie/!5518286 | |
## AUTOREN | |
Jagoda Marinić | |
## TAGS | |
Schlagloch | |
Bachelor | |
Bildung | |
Akademiker | |
Arbeiter | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Feminismus | |
Anja Karliczek | |
FPÖ | |
Usbekistan | |
Anti-Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Schlagloch: Zeit für Sheroes | |
Die Quote ist nicht die Lösung, damit mehr Frauen in die Politik gehen. Wir | |
brauchen eine Streitkultur, die zulässt, dass Frauen ihren eigenen Weg | |
gehen. | |
Referentenentwurf zur Bildung: Bundesregierung will Bafög erhöhen | |
Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) will mehr junge Menschen in der | |
Ausbildung finanziell unterstützen. Die Opposition hält das für nicht | |
ausreichend. | |
Kolumne Schlagloch: Wie man nicht mit Rechten redet | |
Mit Rechten reden? Der Auftritt der Anwältin Seyran Ateş bei der | |
populistischen FPÖ in Wien zeigt schon mal, wie man es nicht machen sollte. | |
Kolumne Schlagloch: Der heilige Narr von Taschkent | |
Die Legende vom Narren Nasreddin Hodscha, auch Afandi genannt, gehört zum | |
kulturellen Erbe Usbekistans. Jetzt ist sein Humor bedroht. | |
Kolumne Schlagloch: Wir müssen die Eliten erobern | |
Die Unteilbar-Demo hat gezeigt: Es gibt viele Ideen für eine | |
Übergangsgesellschaft, aber niemand ist bereit, sie in Politik umzusetzen. |