| # taz.de -- Cohens Aussage zum US-Präsidenten: Trumps Trickster | |
| > In der Mythologie eine klassische Figur: der ambivalente Charakter, der | |
| > die Wirklichkeit durcheinanderbringt. Für Trump war Cohen lange Jahre | |
| > genau das. | |
| Bild: Der Mann mit vielen Gesichtern: der ehemalige Trump-Anwalt Michael Cohen | |
| Berlin taz | Die Bühne war bereitet für Michael Cohen. Als sich der | |
| langjährige Ex-Anwalt Donald Trumps über fünf Stunden vor dem Oversight | |
| Committee des US-Kongresses [1][den Fragen von Demokraten und Republikanern | |
| stellte], übertrugen etliche TV-Sender und Nachrichtenportale live, sodass | |
| Millionen Amerikaner die Anhörung am Bildschirm verfolgten. | |
| Und was sie sahen, war eine große conversio. Denn jener Michael Cohen, der | |
| rund eine Dekade lang als verschlagener Problemlöser des Präsidenten | |
| agierte, der für diesen nach Eigenaussage rund „500-mal“ Menschen oder | |
| Institutionen einschüchterte, der mutmaßlich Schweigegelder zahlte und | |
| unter anderem bereits wegen Steuerhinterziehung zu drei Jahren Gefängnis | |
| verurteilt wurde, dieser Michael Cohen zeigte sich nun reumütig. „Ich | |
| schäme mich, dass ich daran beteiligt war, Trumps illegale Taten | |
| verheimlicht zu haben, anstelle auf mein Gewissen zu hören“, [2][gab er zu | |
| Protokoll]. „Herr Trump ist ein Rassist, ein Schwindler, ein Betrüger.“ | |
| Wenngleich in der Anhörung inhaltlich kaum Neues zutage trat und Cohen auch | |
| kaum Beweise für seine Anschuldigen vorlegen konnte, offenbarte seine | |
| bußfertig vorgetragene Passionsgeschichte dennoch eine geradezu | |
| demokratietheoretische Einsicht. Jedoch eben nicht, weil es hier | |
| tatsächlich Erkenntnisgewinne über den US-Präsidenten gegeben hätte, die | |
| erhofft man sich vom ausstehenden Bericht des Sonderermittlers Robert | |
| Mueller, sondern weil die Figur des Michael Cohen en passant auch die | |
| Herausforderung des Populismus verkörpert. | |
| Denn die Bühne des US-Kongresses passte für Cohen deshalb auch so gut, weil | |
| man ihn zunächst genau als das begreifen muss: als quasiliterarische Figur. | |
| Und zwar nicht nur vor dem Hintergrund des Gemeinplatzes, dass Politik | |
| immer auch als theatrale Inszenierung daherkommt, sondern vielmehr in dem | |
| sehr präzisen Sinne, dass Cohen Trumps Trickster ist. Letzteres bezeichnet | |
| in Mythologie und Literatur jene ambivalenten Charaktere, die mittels | |
| Betrug, Täuschung und Verstellung die Ordnung verunklaren und die | |
| Wirklichkeit durcheinanderbringen. | |
| Sie, die zumeist verdeckt an den Peripherien des Politischen operieren, | |
| sind damit buchstäbliche Schaltfiguren der Macht, die durch die Vernebelung | |
| der Verhältnisse neue Möglichkeitsräume kreieren. Ob Loki, Shakespeares | |
| Jago oder Schillers „Mohr“: Sie alle offenbaren sich als Agenten der | |
| Entscheidung, deren zentrale Aufgabe darin besteht, die Grenzen von wahr | |
| und falsch, gut und böse, eindeutig und uneindeutig porös werden zu lassen. | |
| ## Cohen – der Spieler, der devil’s advocate | |
| Als trickreiche Ein-Mann-Agentur war Michael Cohen für Trump nun genau das: | |
| ein Spieler, der mittels Bestechung, Bedrohung und Täuschung die Lügen des | |
| US-Präsidenten ermöglichte, zumindest absicherte. Und mehr noch: Besteht, | |
| wie Hannah Arendt einst bemerkte, der Nährboden des Autoritarismus weniger | |
| in der Ausstellung ideologischer Überzeugungstäterschaft, als vielmehr in | |
| der Herstellung einer Öffentlichkeit, „für die der Unterschied zwischen | |
| Fakten und Fiktion, wahr und falsch, nicht länger existiert“, kann man | |
| Cohen als Prototyp jener populistischen Politingenieure begreifen, die den | |
| Wiederaufstieg des Autoritarismus erst ermöglichten. | |
| Das eigentlich Interessante an Trumps Ex-Anwalt besteht nun jedoch darin, | |
| dass es zu kurz greift, verbuchte man ihn lediglich als devil’s advocate, | |
| der das Trickster-Dasein satt hat und nach seiner eigenen Verurteilung zum | |
| Kronzeugen von Trumps Ruchlosigkeit wird. Während seiner Anhörung im | |
| US-Kongress konnte man nämlich gut beobachten, wie Cohen, ob gewollt oder | |
| ungewollt, auf einer zweiten Ebene abermals zum Trickster wurde. Denn | |
| zwischen Demokraten und Republikanern entbrannte schnell die Debatte | |
| darüber, wie glaubwürdig Cohen überhaupt sei. Für die Republikaner stand | |
| die Antwort schnell fest: gar nicht. Immerhin handele es sich bei ihm um | |
| einen gleichermaßen egomanischen wie notorischen Lügner. | |
| Auch wenn die Grand Old Party längst nur noch eine politische Geisel Trumps | |
| ist, sodass sich derlei erwartbare Einschätzungen als Ausstellung des | |
| eigenen Stockholm-Syndroms verstehen lassen, macht das die Zweifel an | |
| Cohens Glaubwürdigkeit dennoch nicht komplett unplausibel. Die Demokraten, | |
| auf deren Ansinnen Cohen überhaupt erst vorgeladen wurde, sahen das | |
| freilich komplett anders und feierten diesen als geläuterten | |
| Widerstandskämpfer gegen die Trump’sche Tyrannei. Der Abgeordnete Jim | |
| Cooper fragte Cohen sogar, welche Tipps er für junge Juristen habe, damit | |
| diese nicht vom rechten Weg abkommen. | |
| So durchsichtig die Argumentation der Republikaner ist, so bemerkenswert | |
| scheint jedoch auch, wie Demokraten und Trump-Gegner Cohen nun symbolisch | |
| um den Hals fallen. Denn hier sagte schließlich ein Mann aus, der | |
| juristisch zwar nichts mehr zu verlieren hat, dessen narzisstischer | |
| Geltungsdrang und öffentliches Rehabilitationsbedürfnis aber eben auch | |
| nicht klein sein dürften, sodass sich einstweilen also kaum sagen lässt, ob | |
| und inwiefern er wirklich glaubwürdig ist. Die Demokraten wollten in ihm, | |
| dem einstigen Vernebeler und Verunklarer, jedoch den moralisch eindeutig | |
| Geläuterten sehen. Einfach, weil es so gut passt. | |
| Paradoxerweise funktionierte die Figur des Michael Cohen aber gerade | |
| deshalb abermals als Trickster. Indem die Demokraten ihn so bedenkenlos | |
| umschmeichelten und seine Aussagen als Ausweis wahrhafter Reue verbuchten, | |
| beteiligten sie sich selbst an der Grenzverwischung von wahr und falsch. | |
| Denn die vorherrschende Logik schien hier: Cohen gilt nicht deshalb als | |
| glaubhaft, weil er Beweise liefert oder über Zweifel erhaben ist, sondern | |
| deshalb, weil man sich gut vorstellen kann, dass Trump tatsächlich all das | |
| getan und befohlen hat, was Cohen sagt. Doch genau diese Logik ist von | |
| derjenigen Trumps gar nicht mehr weit entfernt. | |
| ## Gäbe es Cohen nicht, Trump müsste ihn erfinden | |
| Hatte Aristoteles einst die berühmte Unterscheidung zwischen | |
| Geschichtsschreibung und Dichtung eingeführt, wonach Erstere das „wirklich | |
| Geschehene mitteilt“, während es Zweiterer darum geht, „was geschehen | |
| könnte“, besteht eine Kernstrategie des Populismus nämlich darin, ebendiese | |
| Differenz in der Erwartungshaltung des Publikums aufzulösen. Sprich: | |
| Besonders gut lassen sich die Verhältnisse verunklaren, wenn politisch | |
| nicht mehr entscheidend ist, ob etwas passiert ist, sondern nur noch, ob | |
| man glaubt, dass etwas passiert sein könnte oder passieren wird können. Wie | |
| konkret Trump von dieser Strategie profitiert, sieht man am Beispiel der | |
| kürzlichen Ausrufung des Notstands. Denn selbst von seinen | |
| Hardcore-Anhängern wird kaum jemand glauben, dass an der Grenze zu Mexiko | |
| tatsächlich jene Verhältnisse herrschen, die diesen rechtfertigen würden. | |
| Das aber ist eben auch gar nicht wichtig. Wichtig ist viel eher, dass sie | |
| sich gut vorstellen können, dass es diese geben könnte. | |
| Und zumindest dem Grundsatz nach ist es diese Literarisierung des | |
| Politischen, die nun auch von all jenen Demokraten betrieben wird, die | |
| Cohen schon deshalb als glaubwürdig verbuchen, weil sie sich gut vorstellen | |
| können, dass all das stimmt, was er sagt. Doch gerade mit dieser Sehnsucht | |
| nach Eindeutigkeit verunklaren sie die Verhältnisse weiter, sodass Michael | |
| Cohen zum Trickster zweiter Ordnung wird. Bedienen sich die Demokraten, | |
| wenn auch womöglich ungewollt, damit Trumps eigener Logik, besteht die | |
| dialektische Pointe dieser Anhörung in der Einsicht: Gäbe es Michael Cohen | |
| nicht, Trump müsste ihn erfinden. | |
| 28 Feb 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nils Markwardt | |
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