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# taz.de -- Jörg-Uwe Albigs Satire „Zornfried“: Wo das Navi vor Nazis warnt
> Homestorys bei Rechten in „Zornfried“: Albigs satirischer Roman widmet
> sich der medialen Faszination für sogenannte Rechtsintellektuelle.
Bild: Der Wald ist für Schierling ein biologisches Kriegsgebiet, dort wird der…
Was für ein Name, Zornfried. Zornfried, darauf muss man erst mal kommen.
Ausgedacht hat sich diesen Namen Jörg-Uwe Albig für seinen Freitag
erscheinenden Roman. Weder diese alte Burg im Spessart noch das
nahegelegene Dorf Wuthen gibt es wirklich. Auch der auf Zornfried hausende
Dichter Storm Linné ist der Fantasie des Autors entsprungen. Albig hat
diesem Sänger von Volk und Wald, von Blut und Boden nicht nur einen Namen
gegeben. Er hat ihm gleich ein ganzes Werk auf den Leib geschrieben. In
jedem Kapitel des Romans wird ein neues Gedicht zitiert, 35 an der Zahl.
Linnés Gedicht „Spessart“ geht so: „Dort wo der fuchs in scharfer waid d…
hasen schlägt / Wo raupen-schmaus erstirbt durch schnabels wucht / Wo
grauer rudel hunger nachts durch tannen schnürt / Der kitze frevel-zahl im
fraß zu bannen sucht / Dort wächst die einheit die aus zwietracht lebt /
Der hohe friede der durch blut gemehrt / Dort sprießt der tausendfache tod
der segen bringt / Im wald der die moral des lebens lehrt.“
Die Gedichte Storm Linnés sind in ihrem Bemühen, scharf und schneidig,
traditionsreich teutsch zu klingen, so kitschig, wie sie lustig sind. Sie
wirken aber auch unheimlich, weil nah dran am mystifizierenden Geraune der
Germanenfreunde, mittelalterfrommen Reichsfreaks, konservativen
Revolutionäre, hippen Identitären und staatspolitischen Waldgänger. Als
Jörg-Uwe Albig vor einigen Wochen in Berlin sein Buch vorstellte, gab er
zu, dass ihm das Schreiben dieser Weisen viel Vergnügen bereitet hat.
Dass er auch sonst viel gelacht haben muss beim Schreiben, kann man beim
Lesen seiner grandiosen Satire auf die Faszination für den Mummenschanz
rechter „Vordenker“ nur vermuten. Denn „Zornfried“ handelt zwar auch von
den meist recht überschaubaren geistigen Landschaften von Leuten, für die
sich die Bezeichnung „Rechtsintellektuelle“ eingebürgert hat. Vor allem
aber geht es Albig um den Magnetismus, [1][den der wilde rechte Mann auf
die Öffentlichkeit ausübt].
Albigs Zornfried ist kein Rittergut, sondern eine Burg. Im Stall stehen
Schafe, keine Ziegen. Aber man ernährt sich aus dem eigenen Garten. Der
Burgherr hat einen breiten fränkischen, keinen schwäbischen Akzent. Er und
seine Dame siezen sich. Sie haben dem deutschen Volk eine unüberschaubare
Zahl blonder Töchter geschenkt. Das alles kann der Leserin bekannt
vorkommen aus den [2][Homestorys, die uns aus dem thüringischen Schnellroda
erreichten].
## Völkischer Sozialdarwinismus
Der Journalist Jan Brock ist der Ich-Erzähler der Geschichte. Er macht sich
eines Tages auf, die Bewohner Zornfrieds zu porträtieren. Brock ist ein
kluger Mann. Der völkische Sozialdarwinismus der Zornfriedianer ist ihm so
fremd, wie ihm die Klischees der wohlmeinenden Vertreter der
Zivilgesellschaft hohl vorkommen, denen er anfangs bei einer
Podiumsdiskussion zuhört.
Auf der Bühne sitzen die Politologin, der Gewerkschafter, der Intendant und
die Vertreter der Initiativen: „Sie sprachen vom starken Bündnis, das man
diesen Kräften entgegenstellen musste, aber auch von Sorgen, die ernst zu
nehmen seien; von den Grenzen des Sagbaren, die man schützen, und den
Denkverboten, die man vermeiden müsse.“
Jan Brock kann sich diese Formeln nur in kursivierter Form, also ironisch
gebrochen vergegenwärtigen. Er weiß, dass der Diskurs, der über diese
Kräfte geführt wird, mehr der emotionalen Abwehr dient denn einer
kritischen Analyse folgt. Als jedoch eine Gruppe uniformierter Jungmänner
die Bühne stürmt und einer von ihnen die kryptische Formel „Versklavt nicht
von der Heuchler feiger Zunge“ an die Wand sprüht, ist es um Brock, der
sich seines kritischen Geistes, aber auch seiner journalistischen Neugierde
rühmt, geschehen.
Er erkennt wohl, wie lächerlich die schmalbrüstigen Burschen sind, doch das
alberne Pathos dieser Zeile, die einem Gedicht Storm Linnés entstammt,
packt ihn tief drinnen im Gemüt. Sie ruft „eine Erinnerung an eine
schaurige Vergangenheit“ hervor, „die ich nicht erlebt hatte; ein
Versäumnis, das mir, wie jedes nicht erlebte Ereignis, manchmal als Lücke
in meinem Leben erschien“.
## Gnade der späten Geburt
Der Journalist Brock und der Dichter Linné leiden demnach unter derselben
Krankheit. Sie sind hypnotisiert von einer Zeit, über die ihre Väter
sagten, sie bewusst nicht erlebt zu haben sei eine Gnade, nämlich die der
späten Geburt.
Brock lässt sich „Eiserne Ernte“ vom Sparta-Verlag aus 59200 Brockenschwang
zusenden, worin Gedichte von Linné versammelt sind. Er schreibt fürs
Feuilleton seiner Zeitung, der Nachrichten, einen länglichen Verriss. Darin
legt er „das krude Denken“ Linnés bloß, fordert seine Leser aber auf,
dessen Bücher zu lesen: „Es hat keinen Sinn, an der Gegensprechanlage
abzuweisen, was längst vor der Haustür steht.“
Sein tapferer Versuch, „solche Umtriebe mit großer Geduld zu entlarven“,
trägt dem Journalisten, was Wunder, eine „Einladung zum zwanglosen
Gedankenaustausch“ durch Hartmut Freiherr von Schierling, dem Herren von
Zornfried und Gastgeber Storm Linnés ein.
„Das Dorf Wuthen ließ sich nichts anmerken“, sinniert Brock, als er sich
auf den Weg gen Zornfried macht. „Es war eines dieser Dörfer, in denen die
Deutschen sich eingerichtet hatten wie Glück im Unglück.“ Auch der Jargon
des Kritischen, will uns Albig damit wohl sagen, ist längst Kitsch
geworden. Deutschland, Deutschland, bleiche Mutter!
Auf den letzten Metern vor der Burg wird Brock vom Navi seines Peugeot
gewarnt: „Drehen Sie, wenn möglich, um.“ Aber Brock will nicht hören. Er
will, geschult am Gonzo-Journalismus seiner Helden, „eintauchen, um den
Überblick zu behalten“. Wie ein echter Reporter das so macht.
Als Burgherr von Schierling ihn empfängt, vermeidet Brock „das Wort
Homestory nicht nur, weil es englisch war. Stattdessen sagte ich: Ich
möchte mit Ihnen über Ihre Arbeit sprechen.“ Erst versteht Brock nicht
recht, als Schierling ihm für seine Mühe dankt. Dann entschließt er sich,
nicht zu fragen. „Ich wollte lieber nicht wissen, womit ich mir seinen Dank
verdient hatte.“
## Ein Kampf ums Licht
Schierling führt Brock in seine kleine Welt ein: „Wenn Sie etwas verstehen
wollen, müssen wir in den Wald.“ Der Wald ist für Schierling ein
biologisches Kriegsgebiet, „ein einziges Streben nach oben, ein einziger
Kampf um Licht“. Die Buche, sagt Schierling, ertrage viel Schatten, halte
auch in den dunkelsten Jahren durch. „Und so sei die Buche und nicht etwa
die Eiche der deutscheste aller Bäume.“
Schierling bleibt nicht der Einzige, der Brock dankt. Immerhin war es der
Journalist, der dem dunklen Dichter Linné größtmögliche Aufmerksamkeit
verschaffte. Als Brock schon tagelang in Wuthen weilt, aber bei seinen
Besuchen auf Zornfried nur Schierling, dessen Sekretär und dessen Frau, die
ununterscheidbaren Töchter der Schierlings, und jene Jungs zu Gesicht
bekommt, die ihn auf die Spur des Dichters setzten, darf er endlich an
einer „Tafelrunde“ unterm Dach teilnehmen.
Einer der Gäste, der sich gefährlich gebende Filmemacher Krathmann, kann
Sätze aus Brocks Verriss von Linnés Gedichten sogar auswendig vortragen.
Brock ist es „ein bisschen unangenehm“, dass Krathmann seine Sätze
gefallen, „aber es gab keinen Grund, sie deshalb falsch zu finden“.
Bald lauschen geladene Gäste dem leibhaftigen Storm Linné, der einige
seiner Gedichte deklamiert, bevor er so schnell wieder verschwindet, wie er
vor der Tafelrunde erschienen war. Endlich hat Brock den Dichter persönlich
getroffen, den die rechte Szene in ganz Deutschland wie einen Messias
verehrt, wenn auch nicht gesprochen. Da aber zeigt sich auch die Konkurrenz
von der Neuen Allgemeinen höchst interessiert an diesem „Rechts-Rilke“ und
„Spessart-Spengler“, dem „bösen Barden von der Burg“. Bald ist Brock a…
Burgberichterstatter nicht mehr allein.
Jenny Zerwien heißt die Kollegin. In den Augen Brocks „ein kleines Geschöpf
mit dem Gesicht einer Siebzehnjährigen, patzig und ungeformt; durch die
runde Nickelbrille strahlten blassblaue Kinderaugen. Nur das Kostüm, braun
meliert und aus massivem Tweed, sah aus, als hätte es die Volljährigkeit
erreicht“.
## Schützengräben und Granaten
Zerwien ist fortan Schierlings Lieblingsjournalistin. Sie hat Brock eine
gewisse Geschmeidigkeit voraus, was diesen wurmt. „Holen Sie doch nicht
immer gleich die Nazikeule raus“, belehrt sie ihren Kollegen und wiederholt
das Mantra der zugewandten Intellektuellen, die in den Feuilletons
erklären, dass man mit Rechten reden müsse: „Wenn kein unvoreingenommener
Meinungsaustausch mehr möglich sei, fuhr Jenny Zerwien fort, zwischen
Medienpartnern, von Staatsbürger zu Staatsbürger, wenn Journalisten nicht
mehr darüber berichten dürften, was ist, sei es kein Wunder, wenn sich die
andere Seite in ihre Schützengräben zurückziehe, aus denen dann irgendwann
Granaten flögen.“
Leute, die ihr Interview mit Schierling feiern, weil sie ihn für einen
deutschen Helden halten, sind für Zerwien nur Kretins, die Schierlings
lachhafte Widersprüche nicht zu erkennen vermögen.
Am nächsten Tag trifft Zerwiens Fotograf ein. Was wäre eine solche Story
ohne Bilder! Die zupackende Zerwien, ganz pragmatisches Millennial,
dirigiert die Aufnahmen. Sie drückt dem Burgherren ein Schwert in die Hand.
„Wie das Hamburger Bismarckdenkmal, sagte Frau Zerwien zufrieden und fügte
fast warm hinzu, wohl schon eine Idee für die Bildunterschrift: Der Goldene
Schnitter.“
Schöner Schabernack, den Jörg-Uwe Albig da mit seinen Lesern treibt. Denn
all die Homestorys über den Vordenker, seine Runkelrüben zubereitende
Gattin und ihre komischen Ideen von Volk, Geschlecht und Schicksal, man hat
sie doch gern gelesen. Es macht großen Spaß, Jörg-Uwe Albigs Anspielungen
auf reale Ereignisse, Texte und Personen zu entschlüsseln. Sein brillanter
Roman sagt uns: Gebt Aufmerksamkeit, wem Aufmerksamkeit gebührt.
28 Feb 2019
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## AUTOREN
Ulrich Gutmair
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