Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vierzig Jahre Krieg in Afghanistan: Frieden soll sein
> Ein Ende der Gewalt scheint möglich: US-Amerikaner und Taliban
> verhandeln. Nun schalten sich auch die afghanischen Frauen ein.
Bild: Krieg für immer? Kinder spielen auf einem Panzerwrack aus Sowjetzeiten
Kabul taz | „Nun wird es ja bald Frieden geben“, sagte Chial Muhammad und
legt Ironie in seine Stimme. Der Paschtune, ein Mittfünfziger, pendelt mit
seinem Taxi zwischen dem Herrschaftsbereich der Taliban und dem der
Regierung. Weil beide Seiten Leute, die die Front überqueren, mit
Misstrauen betrachten, möchte er nicht, dass sein richtiger Name genannt
wird Sein Heimatdorf in Kabuls Nachbarprovinz Wardak stehe völlig unter
Talibankontrolle, erzählt er.
Nur in der Distriktstadt sei die Regierung noch präsent, „in einem
Gebäude“. Dort residiert der örtliche Gouverneur unter dem Schutz einer
Armeeeinheit, die gegen die Aufständischen aber nicht viel machen könne.
Sein Begleiter, ein Verwandter, schaut gequält und sagt, wie sehr er und
seine Freunde sich endlich, nach 40 Jahren, Frieden wünschten. Aber richtig
optimistisch ist er nicht: „Fifty-fifty“ stünden die Chancen.
So gut standen sie schon lange nicht mehr. In Katar verhandeln seit ein
paar Monaten [1][US-Amerikaner und Taliban] über ein Ende des Krieges.
US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad, selbst afghanischer Herkunft, traf
dort am Montag Mulla Baradar, die ehemals rechte Hand des verstorbenen
Talibangründers Mulla Omar, zum „Arbeitslunch“. Baradar saß noch bis
Oktober in Pakistan im Gefängnis, wo er 2010 aufgrund von Kontakten mit
Kabul gelandet war, die Pakistans Geheimdienst – Unterstützer, aber auch
Zuchtmeister der Taliban – nicht autorisiert hatte. Der US-Chefunterhändler
selbst hatte die Freilassung durchgesetzt, in der Hoffnung, der wegen seine
Nähe zum Mulla Omar bei den Taliban hochangesehene Baradar könne auch
Hardliner in deren Reihen dazu bringen, einem Friedensschluss zuzustimmen.
Im vorigen Juni gab es einen ersten Probelauf für einen Waffenstillstand.
Während der islamischen Fest des Fastenbrechends schwiegen drei Tage lang
die Waffen aller Seiten. Talibankämpfer kamen unbehelligt in die von der
Regierung gehaltenen Städte. Einige wurden Eis essend und bei
Verbrüderungsszenen mit Passanten und sogar Soldaten abgelichtet. Im
Gegenzug konnten viele Städter zum ersten Mal seit langem ebenso
unbehelligt Verwandte in den Talibangebieten besuchen. Viele trauten sich
dies allerdings nicht – das Misstrauen sitzt tief. Und doch weckte die
Feuerpause Hoffnungen, auch weil vorher niemand glauben wollte, dass die
Taliban wirklich so diszipliniert sein würden.
## Frauen für den Frieden
Parallel zu der Runde in Doha ging in Kabul am Donnerstag eine
[2][„Nationale Übereinkunft der Frauen für den Frieden“ zu Ende]. Dort
wollten Delegierte aus allen 34 Provinzen Afghanistans gemeinsame
Positionen für Gespräche mit den Taliban formulieren und die Regierung
drängen, sie nicht nur wie bisher symbolisch an Verhandlungen zu
beteiligen. Aber das Treffen wurde straff von oben orchestriert. Die
Abschlusserklärung lag schon vor der Diskussion vor, die formal blieb und
viel zu kurz war. Dabei waren dafür anfangs zwei Tage veranschlagt worden.
Dann aber war schon nach dreieinhalb Stunden, inklusive einer Wahlkampfrede
des afghanischen Präsidenten Aschraf Ghanis, Schluss.
Ghanis muss sich im Juli Neuwahlen stellen, und es ist nicht sicher, ob er
wieder gewinnt. Außerdem sitzen seine Vertreter bei den Doha-Gesprächen
bisher nicht mit am Tisch, die Taliban verweigern der
„Marionettenregierung“ Direktgespräche. Der Frauenratschlag sollte deshalb
wie eine im März geplante Loya Jirga – eine traditionelle große
Versammlung, in der nationale und ethnische Fragen geklärt werden –
signalisieren, dass die Bevölkerung hinter Ghani steht. So soll Druck
aufgebaut werden, damit Ghani als dritte Konfliktpartei in die Gespräche
einbezogen wird.
Unter Frauenrechtlerinnen hatte es allerdings von Anfang an Zweifel an der
Ehrlichkeit der Regierung gegeben. Und tatsächlich machte Ghani in seiner
Rede während der „Frauen für den Frieden“-Übereinkunft keinerlei konkrete
Zusicherungen zu einer Verhandlungsbeteiligung. Für diesen Fall hatten
Frauen wie Sozan Behbudzade aus dem westafghanischen Herat angekündigt,
dass sie „separat mit den Taliban sprechen“ würden. „Wir werden nicht st…
bleiben“, sagte sie im Gespräch mit der taz am Wochenende. Es brauche
Garantien dafür, dass ein Friedensabkommen den Taliban nicht freie Hand für
die Umsetzung ihrer rückwärtsgewandten Gesellschaftsvorstellungen erteilt.
Denn trotz aller Zusicherungen, dass sie Mädchen das Recht auf Bildung und
Frauen das auf Arbeit zubilligen würden, sieht die Praxis oft anders aus.
Chial Muhammad berichtet aus Wardak, dass es dort im Gegensatz zu manchen
anderen Gegenden nicht einmal Mädchenschulen bis zur sechsten Klasse gibt.
Dass die Taliban im Rahmen einer Machtteilung zurück ans Ruder kommen
würden, steht außer Frage. Anders ist ein Friedensabkommen mit ihnen kaum
denkbar. Das aber könnte zu einer Koalition mit anderen Islamisten führen,
die in Kabul schon in Regierung und Parlament sitzen und in Sachen
Frauenrechten nicht viel anders denken als die Taliban.
Ebenso befürchten viele Afghanen, dass die Amerikaner zu schnell abziehen,
Ghanis Regierung zusammenbrechen und ein neuer Bürgerkrieg ausbrechen
könne. So erinnert zum Beispiel Nader Nadery, während des Talibanregimes im
Untergrund als Menschenrechtler aktiv und heute Chef der Kommission für
Verwaltungsreform, an das Genfer Abkommen von 1988, das zwar zum Abzug der
sowjetischen Besatzungstruppen geführt hatte, einen Krieg zwischen den
verschiedenen Bürgerkriegsfraktionen aber nicht verhindern konnte. Denn
hinter US-Chefunterhändler Khalilzad drängt Präsident Trump auf ein Ende
des Afghanistan-Einsatzes. Der hatte schon in seinem ersten Wahlkampf – wie
so häufig durch Tweets – deutlich gemacht, wie viel er davon hält, nämlich
nichts: „Unsere Truppen werden von den Afghanen getötet. Wir vergeuden dort
Milliarden. Wir bauen Straßen und Schulen für Leute, die uns hassen.“ Trump
will offenbar seinen nächsten Wahlkampf als der Mann führen, der die Boys –
im Gegensatz zu Obama – aus Afghanistan heimgeholt hat.
## Druck auf die Taliban
Trotz der Verhandlungen hat der Krieg in Afghanistan nicht nachgelassen.
Die Amerikaner versuchen, die Taliban mit Drohnen und Nachtangriffen unter
Druck zu setzen. Chial Muhammad erzählt, wie vor ein paar Nächten nahe
seines Dorfes ein örtlicher Talibankommandeur getötet wurde. „Er fuhr auf
einem Motorrad die Straße lang, dann –– drang!, die paschtunische Variante
für 'bumm!’ – riss es ihm den Arm ab und er verblutete.“ Er trauert dem
Mann nicht wirklich nach. „Er war grausam“, erzählt er. Auf sein Konto
ginge eine ganze Reihe von Morden an Leuten, die für die Regierung
gearbeitet hätten. Aber in seinem Dorf sei man auch mit den
Regierungstruppen unzufrieden. Besonders die bewaffneten Einheiten des
Geheimdienstes erschösse bei Einsätzen „jeden, der ihnen über den Weg
läuft. Dabei fallen ihnen vor allem einfache Leute zum Opfer.“
Im Distrikt Zurmat, gut hundert Kilometer südöstlich von Wardak, operiert
eine besonders berüchtigte Miliz, die direkt der CIA untersteht. Ein Mann,
der dort lebt, erzählt, dass die Milizvor etwa einem Monat einen wichtigen
Talib schnappen wollten und dabei auch drei seiner Söhne, einen Bruder
sowie Frauen und Kinder erschossen hat. Wenn die Einheit in irgendein Haus
gehe, „töten sie jeden, den sie darin finden und zünden es hinterher. Ja,
auch bei Kommandant Naim haben sie es so gemacht.“ Das brutale Vorgehen
dieser Truppe bestätigt auch der vor einer Woche veröffentlichte
UN-Zivilopferbericht für 2018.
Auch der Taxifahrer Chial leidet unter der Situation. Sein Taxi hat er für
heute bei Verwandten in Kabul abgestellt. Es ist inzwischen dunkel, und er
schafft es nicht mehr nach Hause. „Die Taliban errichten abends um acht
immer eine Barriere und legen ein paar Minen, denn sie fürchten die
Nachtangriffe“ erzählt er.
So schlimm es klingt: ein Hindernis für einen Friedensschluss müssen die
anhaltenden Kämpfe gar nicht sein. Amerikaner wie Taliban halten es mit der
Devise „Verhandeln und schießen.“ Eine Logik, die nur ein Friedensschluss
außer Kraft setzen kann. „Ich bete dafür“, sagt Chial Muhammads Begleiter.
Dann verabschieden sie sich.
3 Mar 2019
## LINKS
[1] /Gespraeche-zwischen-USA-und-Taliban/!5565593
[2] /Frauenrechte-in-Afghanistan/!5574260
## AUTOREN
Thomas Ruttig
## TAGS
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Schwerpunkt Afghanistan
Taliban
Frauen
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
Aschraf Ghani
Naher Osten
Schwerpunkt Afghanistan
Indien
Schwerpunkt Afghanistan
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mullah Baradar bekommt ein Gesicht: Der Verhandler der Taliban
Erstmals lässt sich der afghanische Taliban-Vizechef Mullah Abdul Ghani
Achund, besser bekannt als Mullah Baradar, fotografieren – in Moskau.
Afghanische Friedensbemühungen: „Gespräche sind keine Hochzeit“
Afghanen sind enttäuscht, dass erste Gespräche zwischen Vertretern von
Taliban und Regierung abgesagt wurde. In der Kritik: die uneinige
Regierung.
Große Ratsversammlung in Afghanistan: Ghani will jetzt beim Frieden mitreden
Afghanistans Präsident Ashraf Ghani ist marginalisiert. Nun versucht er
Zugang zu den Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban zu bekommen.
1979 als Schicksalsjahr des Nahen Ostens: Das toxische Jahr, das Hoffnung macht
Vor 40 Jahren kam es in den Staaten des Nahen Ostens zu grundlegenden
Umwälzungen. Vieles hätte ganz anders kommen können in Politik und
Gesellschaft.
Neujahrsfest in Kabul: Mindestens sechs Tote bei Explosionen
Millionen Afghanen feierten das Neujahrsfest. Sie wünschten sich ein Jahr
des Friedens. Bei mehreren Explosionen in der Hauptstadt wurden viele
verletzt.
Kommentar Konflikt Indien und Pakistan: Neues Denken ist gefragt
Der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan und der Aufstieg Chinas verschiebt
die Machtbalance in Asien. Die Dschihadisten sind auf dem Vormarsch.
Frauenrechte in Afghanistan: „Wir werden nicht stummbleiben“
Afghanische Frauen kämpfen um ihr Mitspracherecht im Friedensprozess. Sie
haben Angst vor den Taliban, trauen aber auch der Regierung nicht.
Selbstmordattentat in Afghanistan: Tote bei Anschlag auf Isaf-Basis
Zum Jahrestag von 9/11 hatten die Taliban den USA mit einem "langen Krieg"
in Afgahnistan gedroht - und machen die Drohung wahr: Ein Anschlag auf eine
Isaf-Basis kostet drei Menschenleben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.