# taz.de -- ARD-Spielfilm „Lotte am Bauhaus“: Ab in die Weberei! | |
> Ein ARD-Spielfilm und eine Dokumentation erzählen das Bauhaus einmal aus | |
> der Sicht einer jungen Frau. Aber was heißt hier „einmal“?! | |
Bild: Lotte (Alicia von Rittberg) arbeitet in der Werkstatt vom Bauhaus Weimar … | |
Sie sind splitterfasernackt. Sie laufen, nein sie tollen durch den Wald und | |
durch den Fluss. Sie werfen Farbpulver in die Luft. Sie haben Spaß. Eine | |
der beiden Frauen, die das bunte Treiben beobachten, guckt pikiert. Die | |
andere, ihre Schwester, ist schon drauf und dran, sich die Klamotten vom | |
Leib zu reißen. Ja, diese Lotte, die bald darauf dem Filmtitel gemäß die | |
„Lotte am Bauhaus“ (Buch: Jan Braren; Regie: Gregor Schnitzler) sein wird, | |
ist schon ein Trotzkopf, ein Teufelsbraten, eine Urgewalt. Und die Nackten, | |
das sind natürlich die Bauhäusler. | |
[1][Das 1933 verstorbene Bauhaus wäre in diesem Jahr hundert geworden.] | |
Deutschlandweit erinnern mehr als 500 Veranstaltungen an die Gründung 1919. | |
Die ARD hat einen Programmauftrag, sie darf da nicht zurückstehen. Bauhaus | |
– aber wie? Am beliebtesten ist derzeit der (Neu-)Zugang über die Rolle der | |
Frau. Schon seit 2012 hat das Berliner Bauhaus-Archiv die Geschichte der | |
Bauhaus-Künstlerinnen mit einer Ausstellungsreihe aufgearbeitet. | |
Eine aktuelle Serie im Deutschlandradio Kultur heißt: „Frauen im Bauhaus“. | |
Und neben einer Neuausgabe von Ulrike Müllers Sachbuch „Bauhausfrauen“ | |
liegen in den Buchhandlungen: „Gläserne Zeit“ von Andreas Hillger; | |
„Blaupause“ von Theresia Enzensberger; „Wenn Martha tanzt“ von Tom Sall… | |
„Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus“ von Jana Revedin. Alle vier Autoren | |
hatten die gleiche Idee, eine junge Frau am Bauhaus in die Mitte einer – | |
mehr oder weniger – fiktionalen Romanhandlung zu betten. Soviel also zur | |
Originalität des ARD-Spielfilms am heutigen Abend. Aber egal, wenn’s nur | |
gut gemacht ist. Wäre! | |
So durchlaufen wir (Zuschauer) also mit Lotte den Vorkurs bei Johannes | |
Itten, das Triadische Ballett bei Oskar Schlemmer, die Harmonielehre bei | |
Gertrud Grunow; sehen ihr beim Erfinden von Alma Siedhoff-Buschers „Bauhaus | |
Bauspiel“ zu; begleiten ihr Coming of Age mit erstem Sex und erster Liebe – | |
wobei die Liebeserklärungen von Bauhäuslern, das ist so eine der vielen | |
kleineren Enttäuschungen dieses Films, auch nicht ausgefallener sind als | |
bei Rosamunde Pilcher: „Weißt du, seitdem es dich gibt – da gibt es kein | |
‚Ich‘ und kein ‚Du‘ mehr, es gibt nur noch ein ‚Wir‘!“ | |
## Mutwillig unhistorisch | |
Und währenddessen machen wir so große Augen wie die Hauptdarstellerin | |
(Alicia von Rittberg) und tun wahnsinnig erstaunt, dass das Bauhaus in | |
Gender-Fragen (ja, möglicherweise kannten Walter Gropius & Co. diesen | |
Begriff noch nicht einmal) noch nicht auf dem Niveau von 2019 war. Da | |
faselt ein Itten (Christoph Letkowski) in Priesterkutte etwas von | |
„natürlicher Bestimmung“ und ein etwas steifer, technokratischer Gropius | |
(Jörg Hartmann) erklärt der Lotte: „Als Frau sind Sie […] eine Ausnahme [… | |
und es gibt ganz einfach männliche Mitbewerber, die […] die Nase vorn | |
haben. Wir möchten Ihnen nahelegen, sich in der Weberei zu bewerben.“ | |
Abschieben in die Weberei: So haben die das damals am Bauhaus mit allen | |
Frauen versucht, erfahren wir aus der anschließenden Dokumentation (1 + 1 = | |
„Themenabend im Ersten“). In der es dann Monika Stadler obliegt, Tochter | |
der ersten Bauhaus-Meisterin Gunta Stölzl, die Sache mal angemessen | |
lakonisch auf den Punkt zu bringen: „Wir sehen das alles als so | |
hypermoderne Künstler. Aber in ihrer ganzen Auffassung eben auch über | |
Frauen waren die nicht aufgeklärt. Es ist halt 100 Jahre her.“ | |
So einfach kann man das sagen. Man kann natürlich auch erst einmal eine | |
durch und durch heutige Lotte mit ihren großen Augen staunend durch eine | |
105-minütige Versuchsanordnung von Szenen laufen lassen, die (fast) alle | |
nur das eine sagen: Hey, ihr (mittel-)alten weißen Männer wollt also dieses | |
sagenhaft moderne, seiner Zeit um Jahrzehnte voraus seiende Bauhaus sein! | |
Ja, wo ist denn dann eure Frauenbeauftragte und eure Frauenquote? Der Blick | |
über den Tellerrand, etwa nach Großbritannien und in die USA, wo die | |
Suffragetten das Frauenwahlrecht eben erst – im Wortsinne – erkämpft hatten | |
(das heißt: in Großbritannien sollte es noch bis 1928 dauern) muss bei | |
einer derart mutwillig unhistorischen Betrachtung natürlich außen vor | |
bleiben. | |
Apropos: kämpfen. [2][Beim ZDF zieht gerade eine altgediente | |
TV-Journalistin gegen ihre Kollegen vor Gericht,] weil sie überzeugt ist, | |
für gleiche Arbeit nicht den gleichen Lohn zu bekommen. Anno 2019. Aber das | |
ist eine andere Geschichte. Aber das ist eben auch der Hintergrund, vor dem | |
die öffentlich-rechtlichen Fernsehmacher heute Abend so eilfertig und | |
wohlfeil darum bemüht sind, sich als Feministen zu beweisen. Ausgerechnet | |
am Beispiel des Bauhauses. Das seiner Zeit um Jahrzehnte voraus war. Das | |
nur den Fehler hatte, 1919 noch nicht da gewesen zu sein, wo wir 2019 immer | |
noch nicht sind. | |
13 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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