| # taz.de -- Ex-Bauhaus-Leiter über das Jubiläum: „Uns fehlt ein Bauhaus-Str… | |
| > Die Feierlichkeiten zu „100 Jahre Bauhaus“ beginnen. Philipp Oswalt, | |
| > ehemaliger Leiter der Bauhaus-Stiftung, findet die Musealisierung der | |
| > Institution problematisch. | |
| Bild: „Hat man noch mal den Mut für ein Experiment wie es die HfG oder das B… | |
| taz: Herr Oswalt, das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum steht unter dem Motto | |
| „Die Welt neu denken“. Wenn ich mir das Programm anschaue, dann finde ich | |
| nichts, was dieses Motto rechtfertigt. Es kann ja nicht nur retrospektiv | |
| gemeint sein? | |
| Philipp Oswalt: Es sind sicher sehr interessante Sachen im Programm zu | |
| finden. Aber es geht um die große Linie, die in Hinblick auf das Bauhaus | |
| selbst und das Jubiläumskonzept deutlich werden sollte. Und da finde ich | |
| diesen Slogan „Die Welt neu denken“ problematisch. Das ist so eine | |
| Allerweltsfloskel, die radikal klingt, aber unverbindlich ist. Das ist eine | |
| Floskel, die Neil MacGregor schon fürs Humboldt Forum verwendet hat. So ein | |
| Motto kann gar nicht sinnvoll eingelöst werden. | |
| Bund und Länder und die entsprechenden Institutionen arbeiten schon seit | |
| Jahren auf das Jubiläum hin. In diesen Jahren fällt aber beim Bauen der | |
| öffentlichen Hand vor allem die Lust an der Rekonstruktion auf. Am | |
| Wiederaufbau von Gebäuden und Ensembles, mit denen an eine Tradition vor | |
| 1919 angeknüpft wird – also vor der Gründung des Bauhauses. Das kann einem | |
| das Jubiläum doch verdrießen, oder? | |
| Hinsichtlich dieser Obsession mit der Geschichte vor 1919 bin ich dankbar, | |
| dass das Bauhaus über das Jubiläum ein kulturpolitisches Gewicht bekommt. | |
| Für jemanden wie mich ist das anschlussfähiger als ein Luther-Jubiläum, die | |
| fünfte Otto-Ausstellung oder eine Preußenfeier. Es ist also gut, dass die | |
| Moderne so in den kulturellen Kanon einbezogen und als relevanter Teil des | |
| deutschen Selbstverständnisses erkennbar wird. | |
| Aber dann wird die vom Bauhaus mitbegründete Moderne eben doch | |
| vernachlässigt und wenn möglich abgerissen. Worum geht es dann in so einer | |
| kulturpolitisch betriebenen Jahresfeier? | |
| Das Problem ist die Fetischisierung, der Gegenstand wird in seiner Feier | |
| radikal verändert. Das passiert nicht erst mit dem 100-jährigen Jubiläum. | |
| Das war schon so beim 50-jährigen Jubiläum. Im Zuge der Westorientierung | |
| stand das aus den USA reimportierte Bauhaus damals in der Bundesrepublik | |
| für die Fiktion eines moralisch guten Deutschlands, an dessen Tradition | |
| nach der NS-Zeit angeschlossen werden konnte. Dabei war das Bauhaus-Erbe so | |
| sauber nicht. Aber die Realgeschichte interessierte nicht. Dieses Problem | |
| hat sich in das jetzige Jubiläum perpetuiert. | |
| Anlässlich des Bauhaus-Jubiläums werden gleich drei Museumsbauten | |
| realisiert. Ein Neubau in Dessau und je ein Erweiterungsbau in Weimar und | |
| in Berlin. Wären heute aber nicht Projekte und Planungen im Bereich | |
| Wohnungs- und Städtebau das richtige Signal, das nun völlig fehlt? | |
| Die Musealisierung, die nicht nur das Bauhaus betrifft, ist fraglos | |
| problematisch. Was die Wohnungsfrage angeht, hat das historische Bauhaus | |
| keine relevanten Beiträge geleistet. Die wesentlichen Beiträge zur | |
| Wohnungsfrage kamen von den Kommunen. Etwa in Berlin, Frankfurt am Main, | |
| Wien und Amsterdam wurde sehr innovativ und auch in großer Stückzahl neuer | |
| Wohnungsbau realisiert. Das war zwar ein Architektur-, vor allem aber ein | |
| politisches Projekt. Dazu bedurfte es einer anderen Finanzierung und neuer | |
| Bauherrenschaften. Man hat die spekulativen Bauherren des 19. Jahrhunderts | |
| und der Gründerzeit durch genossenschaftliche und kommunale | |
| Wohnungsbaugesellschaften abgelöst. Das waren auch immer Projekte, die aus | |
| dem Kontext der Sozialdemokratie ermöglicht wurden. Ohne diese politischen | |
| Bündnisse hätte es die Architektur der Moderne gar nicht geben können. Das | |
| ist etwas, das heute viel zu wenig verstanden wird. | |
| Aber inwieweit haben sich wesentliche Protagonisten des Bauhauses mit dem | |
| Wohnungsbau auseinandergesetzt? Und entstanden Konzepte, die heute noch | |
| tragen? | |
| Gropius hat sich in den 1920er Jahren dazu geäußert und Projekte gemacht. | |
| Aber man muss es deutlich sagen, er war, was den Wohnungsbau angeht, | |
| weitestgehend ein Versager. Das lässt sich an verschiedenen Punkten | |
| festmachen. Die Bauhausproduktion war in seiner Ära im Wesentlichen etwas | |
| fürs Großbürgertum: Lebensstil, Distinktion. In Dessau mit den | |
| Meisterhäusern und der Siedlung Törten hat man dann die interessante | |
| Situation, dass die Meisterhäuser in der Tradition des großbürgerlichen | |
| Wohnens stehen, eigentlich sind es ja Villen. Schlemmer war das auch | |
| unangenehm und er hat das kommentiert. Die Meister führen vor, wie man | |
| heute zu leben hat. Es wurde extra ein Film dazu produziert. Das war ein | |
| extrem elitäres Konzept. Im thüringischen Ministerium, das dem Bauhaus | |
| natürlich böse gesinnt war, sagten sie nicht unrichtig, sie könnten dem | |
| Bauhaus keine Gemeinnützigkeit attestieren, weil es Luxusprodukte | |
| produziere. Und gleichzeitig baut Gropius in Törten eine Siedlung für | |
| weniger betuchte Leute in Vorfertigung. | |
| Und das funktioniert nicht? | |
| Das ganze Projekt ist eher eine Inszenierung. Gropius will sich als der | |
| Ford des Wohnbaus etablieren. Es ist die Inszenierung einer Vorfertigung, | |
| die damals nicht wirtschaftlich war. Die Häuser waren 15 Prozent teurer als | |
| in konventioneller Bauweise. Aufgrund der Mehrkosten kam es dann auch zum | |
| Bruch zwischen der Sozialdemokratie und dem Bauhaus. Die Sozialdemokratie | |
| hat das ganze Projekt Bauhaus unterstützt – dass eine Kommune sich eine | |
| Hochschule leistet, war ja etwas irrsinnig –, weil Gropius versprochen | |
| hatte, wir bauen euch billige Wohnungen, wir bauen einen Produktivbetrieb | |
| auf und stehen mittelfristig auf mehr oder minder auf eigenen Füßen. Das | |
| war das Versprechen. Das wurde nicht eingelöst und die Sozialdemokratie | |
| hatte Schwierigkeiten, das ihren Wählern zu vermitteln, in ökonomisch | |
| schwierigen Zeiten. Gropius interessiert sich eigentlich nicht für das | |
| Arbeiterwohl. Ihm ging es um die Propagierung einer technischen Lösung, und | |
| man kann sagen, der DDR-Plattenbau ist die perfekte Einlösung dessen, was | |
| er propagiert hat. | |
| Was war mit Hannes Mayer? | |
| Hannes Mayers Beitrag zum Wohnungsbau war punktuell, aber von Substanz. Er | |
| kommt aus der Schweizer Genossenschaftsbewegung und hat in Freidorf bei | |
| Basel 1919 bis 1921 eine sehr brauchbare Siedlung im Stil der | |
| reformerischen Moderne realisiert. Sein Credo war es, mit den lokalen | |
| Akteuren zu bauen. Sein Modernisierungsverständnis war Bottom-up. Deswegen | |
| war sein Einfluss bei den jüdischen Studenten groß, mit dem Versuch, erst | |
| soziale Zusammenhänge zu stiften und aus diesen heraus die Projekte zu | |
| entwickeln. Das entsprach auch genau dem basisdemokratischen | |
| Kibbuzgedanken. Er hat dann in Dessau als Direktor mit den Studierenden des | |
| Bauhauses – das war ein absolutes Novum, mit den Studenten zu bauen, das | |
| gab es vorher nicht – die Laubenganghäuser für die Genossenschaft in Dessau | |
| realisiert. Die waren nicht überteuert, gut durchdacht, das funktioniert | |
| bis heute. Sie sind aber nicht so spektakulär, verzichten auf klassische | |
| Insignien des Bauhausstils, sie sind etwa aus Ziegel, weil Ziegel billig | |
| war. | |
| Wo wir bei den Studenten sind. Das Bauhaus war eine Schule. Das scheint | |
| aber nicht zu interessieren. Die Stuttgarter Weißenhofsiedlung gehört zum | |
| Jubiläumsprogramm, obwohl sie ein Werkbundprojekt war, aber die Ulmer | |
| Hochschule für Gestaltung (HfG) ist Fehlanzeige? | |
| Ja, das ist auch so eine Fortschreibung der Situation vor 50 Jahren. 1968 | |
| wurde die Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ in Stuttgart eröffnet, und im | |
| gleichen Moment wird die HfG in Ulm dichtgemacht. Da hat man es ganz | |
| plakativ: Nur das tote Bauhaus ist das willkommene Bauhaus. Die HfG als | |
| lebendige Institution, die so nah ans Bauhaus gekommen ist wie nur | |
| vorstellbar, die wurde von Filbinger geschlossen. Das pädagogische | |
| Experiment, mit den Schülern zu bauen, und das Entwurfsverständnis, beides | |
| war innovativ. | |
| Gab es in der DDR eine Schule, die das Bauhaus-Erbe für sich reklamierte? | |
| Es gab den Versuch direkt nach 1945, das Bauhaus in Dessau | |
| wiederzueröffnen. Das hatte sich dann aber schnell erledigt. Substanzieller | |
| war die Berufung von Mart Stam, der unter Mayer Gastdozent am Bauhaus war, | |
| an die Kunsthochschule Weißensee in Berlin, und diese holte dann auch mit | |
| Selman Selmanagić und Marianne Brandt zwei bedeutende BauhausschülerInnen | |
| dorthin. Vor der Teilung gab es in Ostdeutschland eine sehr interessante | |
| Phase des Wiederauflebens der Moderne, die dann aber abgewürgt wurde im | |
| Prozess der Stalinisierung. Es gibt natürlich die Hochschule für | |
| Architektur und Bauwesen in Weimar, die zentrale Ausbildungsstätte für | |
| Architekten in der DDR. Hier wandte man sich ab den 1970er Jahren dem | |
| Bauhaus zu, führte die Bauhaus-Kolloquien ein und bemühte sich, eine | |
| Sammlung aufzubauen. Vor allem kam es zu einer Geschichtsschreibung und | |
| Analyse zum Bauhaus, die schillerte zwischen Reformbestrebung und | |
| Systemlegitimierung. Bitter zu sehen ist, dass die heutige Forschung zum | |
| Bauhaus dieses Osterbe weitgehend ignoriert. Ein klassischer Fall ist | |
| Karl-Heinz Hüter, ein sehr guter Historiker, der in der DDR marginalisiert | |
| und politisch drangsaliert wurde und der wichtige Sachen zum Bauhaus | |
| geschrieben hat. Er wird heute nicht mehr wahrgenommen und zitiert. | |
| Zeigt das Bauhaus-Jubiläum nicht, welche tiefen und langfristigen Wirkungen | |
| ein pädagogisches Experiment haben kann? | |
| Unbedingt, aber hat man noch mal den Mut für ein Experiment wie es die HfG | |
| oder das Bauhaus war? Beide Hochschulen haben sich durch extreme Freiheiten | |
| ausgezeichnet, was die Berufung der Lehrenden und die Zulassung von | |
| Schülern angeht. In unserer Gegenwart liegen die Labore der Zukunft wohl in | |
| Silicon Valley. Die Großkonzerne brillieren in Steuervermeidung und leisten | |
| sich dank dem gesparten Geld jede Art von Innovationsschmiede. | |
| Worauf wäre beim jetzigen Jubiläum der Akzent zu setzen, wenn man nicht | |
| meint, ausgerechnet die performativen Künste am Bauhaus betonen zu müssen, | |
| wie es jetzt geschieht? | |
| Was das heutige Markenprofil des Bauhauses betrifft, so entbehrt es jeden | |
| kritischen Potenzials. Es ist total affirmativ. Jeder will kreativ sein, | |
| alles muss designt sein, unser Alltag, unsere städtische Umwelt, unser | |
| Genom. In diesen Korridor passt das Bauhaus mit seinem | |
| Modernitätsbekenntnis perfekt hinein. Es gibt keine Widerständigkeit und | |
| keine Kritik, die formuliert würde. Und das geht völlig am Bauhaus vorbei. | |
| Denn was man sich vergegenwärtigen muss, bei aller Kritik an Gropius: Er | |
| und die Bauhäusler haben ein Experiment durchgesetzt und verteidigt in | |
| einer Situation, in der es sehr strittig war. Nicht allein die NSDAP hat | |
| dem Bauhaus den Hahn zugedreht, es waren auch die konservativen | |
| bürgerlichen Kräfte. Konflikte und widersprüchliche Positionen samt dem | |
| Streit zwischen diesen Positionen genauso wie die ständige Veränderung der | |
| Richtung, in der man arbeitet, waren konstitutiv für das Bauhaus. Ich habe | |
| ja 2009 den Band „Bauhaus Streit“ herausgegeben. Was uns heute fehlt, ist | |
| ein Bauhaus-Streit. | |
| 15 Jan 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
| ## TAGS | |
| Bauhaus | |
| Bauhaus Dessau | |
| Architektur | |
| Design | |
| Bauhaus Jubiläum 2019 | |
| Bauhaus Jubiläum 2019 | |
| ZDF | |
| Bauhaus | |
| Bauhaus | |
| Architektur | |
| Bauhaus | |
| Bauhaus Dessau | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Essay zum 100. Bauhaus-Jubiläum: Bau der Zukunft | |
| Neue Produktionsmittel, alte Eigentumsverhältnisse? Über das | |
| sozioökonomische Reflexionsdefizit des Bauhauses und dessen Aktualität. | |
| Einhundert Jahre Bauhaus in Weimar: Goethe war hier nie | |
| Lange stieß das Bauhaus nicht nur auf Begeisterung. Jetzt ist die | |
| Architekturschule wieder da – museal verpackt, aber alles andere als | |
| museumsreif. | |
| ARD-Spielfilm „Lotte am Bauhaus“: Ab in die Weberei! | |
| Ein ARD-Spielfilm und eine Dokumentation erzählen das Bauhaus einmal aus | |
| der Sicht einer jungen Frau. Aber was heißt hier „einmal“?! | |
| Diskussion im Jubiläumsjahr: Wie politisch ist das Bauhaus? | |
| Auf einer Podiumsdiskussion in Berlin wird die Annäherung an den | |
| politischen Kern des Bauhauses versucht. Das gelingt nur in Teilen. | |
| Bauhaus in Berlin: Schlicht und ergreifend | |
| Heute beginnt die Feier von 100 Jahren Bauhaus – auch in Berlin, wo das | |
| Bauhaus zu Ende ging. Aber ist Berlin eine Bauhaus-Stadt? | |
| Nachhaltige und preiswerte Architektur: Die Kisten der Zukunft | |
| Modulares Bauen mit Recyclingmaterial – der Architekt Werner Sobek zeigt, | |
| wie's geht. Er knüpft dabei an die Experimente der 1920er-Jahre an. | |
| Bauhaus 2.0: Modernistisches Leben im Globalen | |
| Das Bauhaus wird gerade 100 Jahre alt. In Friedrichshafen stellt eine | |
| Ausstellung die Frage, wie es heute aussehen könnte. | |
| Dessau-Konzert von Feine Sahne Fischfilet: Pfeffi fürs Bauhaus, Party für alle | |
| Das Bauhaus Dessau wollte sie nicht spielen lassen. Feine Sahne Fischfilet | |
| nutzten das zu ihrem Vorteil und feierten eine antifaschistische Party um | |
| die Ecke. |