# taz.de -- Linke-SpitzenkandidatInnen über EU-Wahl: „Wollen eine Aufklärer… | |
> Die Linken-SpitzenkandidatInnen Demirel und Schirdewan diskutieren vor | |
> der Europawahl: Wie scharf muss die Kritik an der EU ausfallen? | |
Bild: Vom 22. bis 24. Februar trifft sich die Partei Die Linke zum Europapartei… | |
taz: Herr Schirdewan, Frau Demirel, lohnt es sich, für die EU zu kämpfen? | |
Özlem Demirel: Es lohnt sich auf jeden Fall, für soziale Gerechtigkeit zu | |
kämpfen, auch auf europäischer Ebene. | |
Martin Schirdewan: Es lohnt sich in jedem Fall, für eine andere, eine | |
bessere EU zu kämpfen. | |
Frau Demirel, liest man Ihre Bewerbungsrede für die Spitzenkandidatur für | |
die Europawahl, [1][dann bekommt man den Eindruck, die EU sei etwas | |
Grässliches.] „Massiver Demokratieabbau, Massen von Menschen werden ins | |
Elend gedrückt.“ Wie wollen Sie so ein europäisches Lebensgefühl | |
ansprechen? | |
Demirel: Wir wollen, dass die Menschen in Europa und der Welt näher | |
zusammenrücken. Die EU-Politik hat in den letzten Jahren aber nicht die | |
Solidarität gestärkt, sondern nationale Egoismen eher auf eine globalere | |
Ebene gehoben. Und auch zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten | |
beigetragen. | |
Also weg damit, wie es einige in der Linkspartei fordern? | |
Demirel: Es gibt einen Unterschied zwischen den Menschen in Europa und den | |
Institutionen der EU. Glauben Sie, es war für uns einfach, zu sehen, wie | |
die Troika damals mit den Menschen in Griechenland umgegangen ist? Es ist | |
unsere Aufgabe als Linke, diese falsche Politik der EU zu kritisieren. Es | |
kommt ja nicht von ungefähr, dass es auch immer mehr Kritik in der | |
Bevölkerung dazu gibt. Wenn man so tut, als sei alles nur Friede, Freude, | |
Eierkuchen, dann macht man eine unehrliche Politik. | |
Die Kritik an der EU kommt heute vor allem [2][von rechter Seite.] Spielen | |
Sie nicht den Rechten in die Hände? | |
Demirel: Nein. Die Rechten greifen die EU aus völlig anderen Gründen an. | |
Linke zeigen klare Kante gegen Nationalismus. Wir stehen für internationale | |
Solidarität und Völkerfreundschaft. Was bieten uns denn Merkel und Macron | |
derzeit für eine Perspektive für die EU? Sie bieten uns gemeinsame | |
Aufrüstungsprogramme und eine Militärunion, Völkerfreundschaft ist das | |
nicht. | |
Herr Schirdewan, Gregor Gysi hat auf dem Hannoveraner Parteitag 2017 | |
gesagt, Die Linke müsse [3][vom Kritiker der heutigen EU zum Gestalter | |
einer besseren EU werden.] Hat er recht? | |
Schirdewan: Er hat vollkommen recht, dass wir für eine grundlegende | |
Veränderung der Politik auf europäischer Ebene kämpfen müssen. Die | |
Interessen der Menschen und der Umwelt müssen die Hauptrolle spielen und | |
nicht Unternehmensinteressen. | |
An welchen Stellen wollen Sie die EU stärken? | |
Schirdewan: Die Frage ist doch gar nicht, ob mehr oder weniger EU oder ob | |
die EU gut oder schlecht ist … | |
Das ist genau die Frage. | |
Schirdewan: Ich sage, wir brauchen eine andere Europa-Politik. | |
Im Wahlprogramm spricht Die Linke nebulös von Neustart. Wollen Sie die EU | |
von innen reformieren – oder von Grund auf neu gründen? | |
Schirdewan: Wir stehen für eine progressive Politik auf europäischer Ebene. | |
Wir führen politische Auseinandersetzungen da, wo wir Verantwortung | |
übernehmen. Es geht nicht darum, dafür oder dagegen zu sein, sondern darum, | |
Gesellschaft zu verändern. Natürlich nehmen wir auch die Ebene der | |
Institutionen als ein politisches Kampffeld an. Wenn ich sage, dass die | |
moralische Integrität der EU derzeit an ihren Außengrenzen stirbt, dann ist | |
das eine Realität europäischer Politik, das kann man nicht einfach so vom | |
Tisch wischen. | |
Demirel: Es geht darum, soziale Interessen, ökologische Nachhaltigkeit und | |
Abrüstung durchzusetzen. Dafür müssen sich die Kräfteverhältnisse ändern. | |
Deshalb wollen wir da rein. Wir werden für jede Verbesserung streiten. Den | |
Menschen ist es im Zweifel egal, ob prekäre Jobs auf europäischer Ebene | |
oder auf nationaler Ebene abgeschafft werden. | |
Welche drei Initiativen würden Sie ins Parlament einbringen? | |
Schirdewan: Wir werden in jedem Fall gegen den europäischen | |
Verteidigungsfonds kämpfen, also gegen die Aufrüstung auf europäischer | |
Ebene. Wir möchten eine soziale Fortschrittsklausel in den Verträgen | |
verankert sehen, also dass soziale Rechte nicht länger den | |
Unternehmerinteressen untergeordnet werden. Wir werden Initiativen für den | |
Kohleausstieg initiieren und wir wollen auch eine EU-Digitalsteuer. Soziale | |
Fragen, Klimaschutz, Steuerdumping, Migration, Krieg und Frieden – das sind | |
Dinge, die international beantwortet werden müssen. | |
Vor fünf Jahren hieß der Spitzenkandidat der Europäischen Linken Alexis | |
Tsipras, der ein Jahr später griechischer Premierminister wurde. Ist | |
Tsipras jetzt [4][der schwierige Onkel der Europäischen Linken geworden,] | |
den Sie im Wahlkampf gerne verstecken? | |
Schirdewan: Den Eindruck habe ich nicht. Wir arbeiten im Europaparlament in | |
einer Fraktion mit der griechischen Partei Syriza zusammen. | |
Wie beurteilen Sie die Politik von Syriza im Jahr 2015? Anfangs hat Syriza | |
verkündet, die Bedingungen der Troika nicht zu unterzeichnen. Später haben | |
sie härtere Bedingungen akzeptiert als die Regierungen vorher. | |
Demirel: Syriza hat sicher nicht alles richtig gemacht, aber ich finde | |
wichtiger, darüber zu reden, wie wir die deutsche Politik ändern können. | |
Die Bundesregierung darf anderen Ländern in der EU keine Kürzungspolitik | |
mehr diktieren. | |
War Syriza taktisch schlecht aufgestellt? Sie sind etwa viel zu spät zu | |
europäischen Regierungen gefahren, um um Unterstützung zu werben. | |
Demirel: Dass die Troika-Maßnahmen durchgesetzt werden konnten zeigt, dass | |
wir darüber reden müssen, wie wir die Kräfteverhältnisse verschieben | |
können. Das muss in Verzahnung mit der Bevölkerung und sozialen Bewegungen | |
passieren. Wir müssen aus den Erfahrungen lernen und nach vorne blicken. | |
Gut, dann tun wir das. In Ihrem Programm fällt auf, dass Sie ein langes | |
klimapolitisches Kapitel aufgenommen haben. Haben Sie Angst, dass Ihnen die | |
Grünen das Wasser abgraben? | |
Demirel: Der sozial-ökologische Wandel ist ein originär linkes Thema. | |
Ebenso wenig neu ist, dass wir nationale Ausstiegsprogramme aus der Kohle | |
an europäische Initiativen koppeln wollen. | |
Neu ist, dass Sie das Ökologische so betonen. | |
Demirel: Also, ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Dort hat Die Linke immer | |
bei den Protesten am Hambacher Forst mitgemacht. Auch in der Zeit, in der | |
SPD und Grüne in der Regierung Beschlüsse fassten, die die Bewegung | |
keineswegs erfreuten. Unser Engagement für Klimaschutz ist nicht neu. | |
Sie sind sich ja einig, wogegen Sie in Sachen EU sind. Was fehlt, ist eine | |
Vision, wo es hingehen soll. | |
Demirel: Wir wissen sehr klar, wohin wir wollen. Wir wollen eine offene | |
Gesellschaft, in der Menschen gleichberechtigt leben, dazu zählen | |
politische Rechte genauso wie soziale Rechte. Wir wollen eine soziale Union | |
und machen konkrete Vorschläge, wie man dorthin kommt. Wir haben die | |
Vision, dass es eine sozialere, friedliche und ökologische Politik geben | |
kann. Es eint uns als europäische Linke, dass wir von Lissabon bis Warschau | |
dafür streiten. Und die Kämpfe werden mehr. Unsere Vision ist, mit den | |
Menschen der Seebrücke zusammen dafür zu sorgen, dass Deutschland und dass | |
die Europäische Union nicht weiterhin eine Migrationspolitik machen, die | |
Menschen ertrinken lässt. | |
Auf dem Europaparteitag werden die Reformer in der Linkspartei wieder eine | |
Republik Europa vorschlagen. Eine EU mit gleichen sozialen Standards, | |
einheitlicher Rechtsprechung. Was halten Sie davon? | |
Schirdewan: Es gibt Themen, die sind nur auf europäischer Ebene zu lösen. | |
Und denen widmen wir uns auch auf europäischer Ebene. Und dann gilt es eben | |
zu entscheiden, welche Kompetenzen auf welcher Ebene am besten zu | |
verhandeln sind. | |
Wollen Sie der EU mehr oder weniger Kompetenzen geben? | |
Demirel: Das ist doch total abstrakt – welche Kompetenzen zu welchen | |
Themen? Das muss konkret gemacht werden. Ich möchte keine Kompetenzen an | |
die EU geben, die eine europäische Armee aufbauen. Ich möchte aber, dass | |
soziale Mindeststandards gelten für alle Menschen in der EU. Jene müssen | |
natürlich auf EU-Ebene durchgesetzt werden. | |
Die Reformer wollen, dass auf dem Europaparteitag ein eindeutigeres | |
Bekenntnis zur EU im Wahlprogramm verankert wird. Möchten Sie sich zur EU | |
bekennen, Frau Demirel? | |
Demirel: Ich werde von vielen beschrieben als genau die Person, die für | |
Vielfalt steht. Aber bekennen? Ich bekenne mich zu einer sozialeren | |
Politik. Ich bekenne mich zu einer Politik der Diplomatie statt der | |
Aufrüstung. Ich bekenne mich dazu, dass ich es satt habe, dass Konzerne und | |
Unternehmen sich eine goldene Nase daran verdienen, dass unsere Umwelt | |
nachhaltig beschädigt wird. Und ich bekenne mich dazu, Teil der Bewegung zu | |
sein, die für eine gerechtere Gesellschaft eintritt, über nationale Grenzen | |
hinweg. | |
Und Sie, Herr Schirdewan, würden Sie sagen, ich bin Europäer? | |
Schirdewan: Wie soll ich auf die Frage anders antworten als mit ja? | |
Im Moment steht Die Linke in Umfragen zur EU-Wahl bei dürftigen 6 Prozent. | |
Was ist Ihr Ziel? | |
Demirel: Wir wollen stärker werden als das letzte Mal. | |
Also über 7,4 Prozent. Wie schaffen Sie das? Sie beide sind – mit Verlaub – | |
nicht gerade prominent. | |
Schirdewan: Ich bin mir sicher, dass wir ein sehr gutes Ergebnis erzielen. | |
Was bieten die anderen? Wir stehen gemeinsam mit sozialen Bewegungen für | |
ein besseres Europa. | |
Zugkräftige Personen werden in der Politik immer wichtiger, das zeigen alle | |
Wahlen. SPD und Union haben mit Katarina Barley und Manfred Weber bekannte | |
Leute aufgestellt. | |
Demirel: Vor allem aber geht es darum, für welche Politik man eintritt und | |
was man erreichen will. Wir wollen eine Aufklärer-Partei sein. Viele | |
Debatten gehen an den Menschen vorbei. Wir werden klare Haltung gegen die | |
Rechten und Nationalisten zeigen und das ist kein Zuckerschlecken in einem | |
Europa-Parlament mit faschistischen Kräften. Wir werden Politik im Sinne | |
der Menschen und der sozialen Gerechtigkeit machen, statt | |
Unternehmensinteressen zu begünstigen. | |
18 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
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