Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Linke im Europa-Wahlkampf: Die Erfolgssimulation
> Die Linke tut sich im Europawahlkampf schwer. Ihr fehlen im NRW-Wahlkampf
> die Zuhörer. Aber auf Facebook sieht trotzdem alles gut aus.
Bild: Das sind sie: Linken-Geschäftsführer Jörg Schindler zeigt auf die Plak…
Essen/Köln/Düsseldorf taz | Am Dienstagmorgen ist es am Essener
Willy-Brandt-Platz frühlingskühl und leer. „Die Linke on tour“ wirbt ein
Ständer, „44 Städte, 29 Tage, 5.984 km, 6 Großbühnen“. Die Linke im
Europawahlkampf. Heute ist NRW-Tag: Essen, Köln, zum Abschluss die
Großbühne in Düsseldorf.
Der Platz liegt strategisch günstig: am Eingang der Fußgängerzone,
gegenüber vom Hauptbahnhof. Aber um 10.30 Uhr ist in der selbsternannten
„Einkaufsstadt Essen“ nichts los. Martin Schirdewan, Spitzenkandidat der
Linken für die Europawahl, redet vor einem leeren Platz. Vielleicht zehn
Parteimitglieder inklusive seines Begleitstabes und zwei oder drei
Passanten hören zu.
Immerhin, man muss das können, souverän auf einem großen Platz reden, wenn
man kaum beachtet wird. Schirdewan kann das. Am Ende seiner Rede begrüßt er
seine Ko-Spitzenkandidatin Özlem Demirel: „Ich bin mir sicher, dass Özlem
noch weitere gute Argumente finden wird, wenn Sie noch schwanken sollten“,
sagt er. Aber da schwankt niemand, es ist bloß keiner da.
Die Linke und ihre Wähler fremdeln mit Europawahlen, die Ergebnisse blieben
dort stets unter denen der Bundestagswahlen. 2009 erhielt sie 7,5 Prozent,
2014 7,4. Woran die Partei nicht ganz unschuldig war – beide Male schickte
sie mit Lothar Bisky und Gabi Zimmer altgediente Parteigranden auf eine
letzte Runde als Spitzenkandidat nach Brüssel.
## Hop-on-Hop-off-Wahlkampf
Diesmal versucht sie es mit zwei jungen Talenten: Schirdewan, 43, rotierte
2017 ins Europaparlament hinein, Özlem Demirel, 35, war Spitzenkandidatin
der Linken im vergangenen NRW-Wahlkampf. Schirdewan ist eloquent,
sachkundig, differenziert. Demirel spricht die migrantische Community und
die Parteilinke an. Aber Vertrauen und Bekanntheit erwirbt man nur
langfristig, in einem kurzfristigen Wahlkampf ist das kaum zu schaffen.
Es ist ein Hop-on-Hop-off-Wahlkampf: Um 11 Uhr steigt Schirdewan mit seinem
Begleittross in den ICE nach Köln, dann fahren alle nach Ehrenfeld. Am
Bahnhofsausgang hängen untereinander zwei Plakate, die an den Kampf der
judäischen Volksfront gegen die Volksfront Judäas erinnern: Oben wirkt
Giannis Varoufakis für seine DiEM25-Liste: „Wenn Politiker*innen einen
grünen Planten in einen blauen verwandeln, müssen wir handeln.“ Unten wirbt
die Linke mit „Klima vor Profite. Saubere Energie fördern“.
Varoufakis hätte so etwas wie der Posterboy der deutschen Linken im
Wahlkampf werden können, am Ende waren die Eitelkeiten stärker. Jetzt
treten beide Parteien getrennt an.
Schirdewan zieht zwei Stunden durch Ehrenfeld, lässt sich von
Mieteraktivisten die Gentrifizierung im Stadtteil erklären. Dann geht es
zurück zum Hauptbahnhof, zur nächsten Kundgebung. Vor einem Café treffen
sich Schirdewan und Demirel wieder. „Ich gehe davon aus, dass die
Wahlbeteiligung steigen wird“, sagt Demirel. Es gebe eine Fülle von
Veranstaltungen, vor allem in Schulen.
## Junckr als „Bodyguard der Steuerhinterzieher“
Aber bei der Kundgebung sieht es nur wenig besser aus als in Essen.
Vielleicht 30 Parteiaktivisten sind gekommen. Am Rande klagt einer von
ihnen, an der Basis hätten nur wenige Lust, sich im Europawahlkampf zu
engagieren. Die Wahlen interessierten nicht sonderlich, die
Spitzenkandidaten seien schwach. In seinem Bekanntenkreis würden viele
diesmal eine der kleinen Parteien wählen. Er rechne mit einem Ergebnis für
die Linke um die sechs Prozent.
Eine Stunde später in Düsseldorf, eine der sechs Großbühnen der Linken im
Europawahlkampf: Parteichef Bernd Riexinger ist angereist, Sahra
Wagenknecht tritt auf. Aber trotz Wagenknecht – mehr als 100 bis 150
Zuhörer sind auch in Düsseldorf nicht dabei. Linkenchef Riexinger, der als
rhetorisch schwach gilt, tritt als eine Art Vorband auf. Dann folgen die
beiden Spitzenkandidaten, schließlich, als Höhepunkt, Wagenknecht.
Sie hat die gleichen Themen wie Schirdewan und Demirel: Konzerne wie
Amazon, die kaum Steuern zahlen, die steigenden Kosten für die Armen und
die reicher werdenden Reichen. Aber es ist rhetorisch einen Zacken
schärfer. Jean-Claude Juncker wird bei Wagenknecht zum „Bodyguard der
Steuerhinterzieher“, wegen der Debatte um Kevin Kühnerts Enteignungsideen
herrscht laut Wagenknecht „Schnappatmung in Berlin“.
Am Tag darauf hat die NRW-Linke Fotos von der Kundgebung auf ihrer
Facebook-Seite veröffentlicht. Auf den meisten sind die Rednerinnen und
Redner zu sehen, auf keinem ein Panorama des schlecht gefüllten Platzes.
Italiens Rechtsaußen-Innenminister Matteo Salvini bevorzugt die umgekehrte
Technik: Die Fotos seiner Kundgebung in Pavia, die Salvini gestern
einstellte, zeigen ihn von hinten vor einer riesigen Menschenmenge. Muss
man mehr zur Frage wissen, wer bei den Europawahlen zulegen wird?
8 May 2019
## AUTOREN
Martin Reeh
## TAGS
Schwerpunkt Europawahl
europawahl Politik
Özlem Demirel
Martin Schirdewan
Sahra Wagenknecht
Europawahl
Schwerpunkt Europawahl
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Europawahl
Nationalstaat
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Linke nach der Europawahl: Alle sehen sich bestätigt
Einen Monat nach der Europawahl sucht die Linkspartei Gründe für ihr
schlechtes Abschneiden. In ihrer Haltung zur EU ist sie nach wie vor
gespalten.
Blick über den Tellerrand: Die Hoffnung auf den Promifaktor
Die Grünen in Österreich wie die Linken in Frankreich hoffen, mit der
EU-Wahl aus der Krise zu kommen. In Italien sieht es für beide düster aus.
Linken-Politiker zu Macron-Vorschlägen: „Deutsche Regierung wachrütteln“
Es sei gut, dass Macron eine Debatte über die Zukunft der EU anstoße, sagt
Linken-Politiker Martin Schirdewan. Er will mehr Bekenntnis von
Deutschland.
Linke kürt Spitzenkandidaten für Europa: Mit No Names auf nach Brüssel
Mit Martin Schirdewan und Özlem Demirel schickt die Linke zwei eher
Unbekannte als Spitzenkandidaten in die Europawahl. Aber: Reden können sie.
Europaparteitag der Linkspartei: Eine Art Liebeserklärung an Europa
„Es geht um mehr Europa“: Die Linkspartei kann auch ruhig. Auf dem Bonner
Parteitag gibt es am ersten Tag kaum Streit.
Linke-SpitzenkandidatInnen über EU-Wahl: „Wollen eine Aufklärer-Partei sein…
Die Linken-SpitzenkandidatInnen Demirel und Schirdewan diskutieren vor der
Europawahl: Wie scharf muss die Kritik an der EU ausfallen?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.