| # taz.de -- Wissenschaftsministerin Anja Karliczek: Die Überraschung im Kabine… | |
| > Wissenschaftler begegnen Karliczek mit Herablassung und Dünkel. Auch in | |
| > der eigenen Partei fallen die Urteile nach zehn Monaten im Amt harsch | |
| > aus. | |
| Bild: Ist die Frau mit dem unbeschwerten Lachen am Ende eine Merkel aus dem Tec… | |
| Emsdetten/Tecklenburg taz | Da hat sich die Johannes-Grundschule in | |
| Emsdetten in Westfalen nun wochenlang auf den Besuch aus Berlin | |
| vorbereitet. Im Sachunterricht haben sie immer wieder über Demokratie | |
| gesprochen, das Schülerparlament ist zusammengekommen, der Chor hat das | |
| Lied „Schule ist mehr“ einstudiert und eine Choreografie mit bunten | |
| Tüchern. | |
| 54 Mädchen und Jungen, ausgewählt per Los, dürfen in der Aula des | |
| dreistöckigen Betonbaus im Kreis sitzen, sie dürfen dem Gast aus Berlin die | |
| vorbereiteten Fragen stellen: Über was kannst du alles bestimmen? Arbeitest | |
| du mit Angela Merkel zusammen? Wann kriegen wir schnelles Internet? Und | |
| dann, nach fast einer Stunde, fragt der kleine Junge mit den kurzen dunklen | |
| Haaren, der schon seit geraumer Zeit auf seinem Stuhl hin und her gerutscht | |
| ist: „Wie heißt du?“ | |
| „Ich heiße Anja Karliczek“, sagt Anja Karliczek. Und lacht. Sie ist es | |
| gewöhnt, dass Leute fragen, wer sie eigentlich ist. Hier in ihrem eigenen | |
| Wahlkreis im Tecklenburger Land passiert ihr das zwar selten, seit sie im | |
| März 2018 neu ins Amt kam, tauchte die Frage aber häufiger auf: Wer ist die | |
| neue Bundesbildungsministerin? Gestellt wird sie mal mit herablassender, | |
| mal mit indignierter Attitüde, selten so interessiert wie von dem | |
| Grundschüler in Emsdetten. | |
| Eine gelernte Hotelfachfrau als Wissenschaftsministerin? Ts, ts, die | |
| Eminenzen schüttelten den Kopf. Ihre Vorgängerin war ja immerhin | |
| Professorin, wenn auch an einer – ts, ts – Fachhochschule. | |
| ## Keine Idee, keine Vision, keine Ahnung? | |
| Bei der Personalauswahl für ihre Kabinette war Angela Merkel immer wieder | |
| für eine Überraschung gut: Ursula von der Leyen als | |
| Verteidigungsministerin, Kristina Schröder als Familienministerin. Im | |
| vierten Kabinett präsentierte Merkel Anja Karliczek als ihren Joker. Ob die | |
| Kanzlerin hier das richtige Gespür bewies? Kann Karliczek Bildung und | |
| Forschung? Die Zweifel sind da – nicht nur in den Hochschulen und bei der | |
| Opposition. | |
| Auch in der eigenen Partei fallen die Urteile nach zehn Monaten im Amt eher | |
| harsch aus: [1][keine Idee, keine Vision, keine Ahnung]. | |
| Schon vor der Bundestagswahl 2017 stand fest, dass Bundesbildungsministerin | |
| Johanna Wanka in Rente geht. Klar war also, dass jemand Neues kommt. Die | |
| Koalitionsverhandlungen zogen sich, Wankas Renteneintritt verschob sich von | |
| Monat zu Monat. Lange spekulierte man, wer sie beerben könnte. Hubertus | |
| Heil von der SPD hegte Ambitionen. Viele wünschten sich Helge Braun, der | |
| Arzt aus Gießen war schon mal Staatsminister und kennt das Haus. Monika | |
| Grütters und Annette Widmann-Mauz waren ebenfalls im Gespräch – die eine | |
| ist nun Staatsministerin für Kultur, die andere für Integration. | |
| Ende Februar 2018 war klar: Zum dritten Mal in Folge geht das | |
| Bildungsministerium an die CDU, Anja Karliczek wird die neue Chefin. | |
| ## Karliczeks Wirken steht im Konjunktiv | |
| Das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das sind 58.000 | |
| Quadratmeter Stahlbeton und Glas, das sind 1.200 Mitarbeiter und | |
| Mitarbeiterinnen, von denen 70 Prozent am alten Dienstsitz in Bonn | |
| arbeiten, die anderen 30 am Hauptsitz in Berlin. Das sind 18 Milliarden | |
| Euro Budget im Jahr – der viertgrößte Etat eines Ministeriums. | |
| Geld, das laut Koalitionsvertrag ausgegeben werden soll: für Schulen, die | |
| digital und ganztags unterrichten, für Hochschulen, die Studienplätze für | |
| Erstsemester sowie Forschungslabore für Nobelpreisträger in spe anbieten, | |
| für Forschung der Spitzenklasse. Deutschland soll führend auf dem Gebiet | |
| der künstlichen Intelligenz werden, Vorreiter bei der Gesundheitsforschung. | |
| „Der Koalitionsvertrag ist gut“, sagt ein CDU-Bundestagsabgeordneter, der | |
| der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der Union angehört. „Nun müssten | |
| die Vorlagen auch in Tore verwandelt werden.“ Die Performance der | |
| zuständigen Ministerin, so formuliert er vorsichtig, [2][könnte besser | |
| sein]. Müsste, könnte – Karliczeks Wirken steht bisher im Konjunktiv. | |
| Um Tore zu schießen, braucht eine Bildungsministerin die Länder. Egal, ob | |
| es um Studienplätze oder digitale Schulen geht. 16 Verhandlungspartner, 16 | |
| Sach- und Machtinteressen. Bildung ist eben Ländersache. Aber: Ein großer | |
| Teil des Budgets fließt in die Forschung, hier sind die Länder finanziell | |
| auf den Bund angewiesen, hier kann eine Ministerin sich austoben. | |
| ## „Sie müssen kämpfen“ | |
| Was muss eine Bundesbildungsministerin können, um mit den Ländern zu | |
| verhandeln? | |
| Eine, die es wissen muss, ist Johanna Wanka. Karliczeks Vorgängerin ruft | |
| aus dem schönen Havelberg in Sachsen-Anhalt an. Wanka genießt den | |
| Ruhestand, sie kann dem Kammermusikorchester nebenan beim Proben zuhören, | |
| pflegt den Garten, kümmert sich um die Enkeltöchter. „Ich mache nur noch | |
| das, was mir Freude macht.“ | |
| Wanka will sich nicht zu ihrer Nachfolgerin äußern – nicht ihr Stil. Aber | |
| über das Amt selbst spricht sie. „Was Sie können müssen? Sie müssen | |
| Forderungen stellen können“, sagt Wanka. „Als Bundesbildungsministerin | |
| steht es oft 16 zu 1. Sechzehn MinisterInnen gegen eine. Bei allem Respekt | |
| vor den Länderinteressen – Sie müssen kämpfen.“ | |
| Vor Streit mit den Ländern schreckte Wanka während ihrer Amtszeit nicht | |
| zurück. Zusammen mit der damaligen Staatsministerin Cornelia | |
| Quennet-Thielen nahm sie die Länder im Gegenzug für zwei Milliarden vom | |
| Bund beim Qualitätspakt Lehre in die Pflicht und legte den Digitalpakt auf. | |
| ## Karliczek eierte nicht herum | |
| Tecklenburg, Anja Karliczeks Ortsverband im katholischen Münsterland, ist | |
| eine der wohlhabendsten Gemeinden Deutschlands, jeden Sommer kommen | |
| Zehntausende Touristen für Musicals in die Festspielstadt. Im Winter ist | |
| das Stadtzentrum verlassen, ein einsamer Spaziergänger murmelt: „Hier | |
| möchte ich nicht begraben sein.“ Hier begann 2004 Karliczeks politische | |
| Karriere. | |
| Hinter der Tür eines Einfamilienhauses ein dunkles Bellen: Egbert | |
| Friedrich, ein drahtiger Mittfünfziger mit Brille, schickt den Hund ins | |
| Nebenzimmer und bittet an den Küchentisch, auf dem eine Thermoskanne Kaffee | |
| bereit steht. Auf der Eckbank sitzt auch Willi Witt, kurze graue Haare, | |
| gemütliches Lächeln. Friedrich ist Fraktionsvorsitzender, Witt | |
| Schriftführer der hiesigen CDU. Für sie ist Anja Karliczek nur „die Anja“. | |
| Egbert Friedrich und Anja Karliczek kamen 2004 beide neu in den Stadtrat. | |
| Er damals noch für die SPD, sie für die CDU. Ihre Kinder – beide haben drei | |
| – waren damals klein. Karliczek und Friedrich saßen sich alle ein bis zwei | |
| Monate im Sitzungssaal des Rathauses gegenüber. Zusammen warben sie um | |
| einen geeigneten Betreiber für die Ganztagsbetreuung an der Schule oder für | |
| ein neues Hotel im Stadtzentrum. | |
| Parteigrenzen zählen hier nicht viel. „In der Lokalpolitik haben Sie | |
| Sachthemen. Da wird gefragt, was gut für den Ort ist“, sagt Friedrich. Die | |
| Anja im Stadtrat erlebte er als sachorientiert und pragmatisch. „Sie eierte | |
| nicht herum und argumentierte nicht ideologisch. Sie hat eben das Herz am | |
| rechten Fleck.“ | |
| ## Kandidatenkür als Wahl-Krimi | |
| Später warb sie ihn, den SPDler, für die CDU. Im Nebenzimmer, wo nun der | |
| Hund hockt, saßen sie auf der Couch. Er vertrete doch im Grunde die | |
| gleichen Themen, sagte Karliczek zu Friedrich. Friedrich wechselte die | |
| Fraktion, 2015, als Karliczek schon im Bundestag war, wurde er ihr | |
| Nachfolger als Vorsitzender der CDU-Stadtratsfraktion „Sie hat mich | |
| geschickt eingefangen. Sich ihr anzuschließen und ihren Gedanken zu folgen | |
| ist nicht schwierig.“ | |
| Egbert Friedrich und Willi Witt gehören zum kleinen Kreis von Menschen, die | |
| nicht überrascht waren, als Karliczek zur Ministerin berufen wurde. „Aus | |
| der wird mal was, das war mir von Anfang an klar“, sagt Witt. Warum? „Weil | |
| sie gut ist.“ Er nickt, als wäre das doch klar. Witt kennt Karliczek, seit | |
| sie ein kleines Mädchen war, mit den Eltern spielte er im Tennisverein, als | |
| langjähriges CDU-Mitglied im Stadtverband begleitete er Karliczek auf ihrem | |
| Weg in die Politik. „Die Anja hört viel zu und fragt viel nach. Sie ist | |
| interessiert und hat eine schnelle Auffassungsgabe.“ | |
| 2012 fragt die CDU-Stadtratsfraktion Karliczek, ob sie sich nicht für ein | |
| Bundestagsmandat bewerben wolle. Die Kandidatenkür der CDU beschreiben die | |
| Westfälischen Nachrichten als „Wahl-Krimi“. Drei Kandidaten bewerben sich | |
| auf das Direktmandat, der Saal im Hotel „Mutter Bahr“ ist überfüllt. | |
| Karliczek spricht als Zweite. [3][Die Zeitung notiert:] „Schutz der | |
| Familie, Mittelstandspolitik sind ihre Schwerpunkte. Ihre Rede ist | |
| schwächer, nicht frei von Phrasen. Aber: Karliczek strahlt Ehrgeiz aus, | |
| wirkt sympathisch, offen, kämpferisch, ‚brennt‘ für ihr Ziel.“ | |
| Karliczek gewinnt mit drei Stimmen Vorsprung. Bei der Bundestagswahl 2013 | |
| holt sie für die CDU das Mandat. Ab dann geht es für sie nur nach oben: | |
| Mitglied im einflussreichen Finanzausschuss, 2017 eine von vier | |
| Parlamentarischen Geschäftsführern der Unions-Fraktion, 2018 | |
| Bundesbildungsministerin. | |
| ## Eine Angela Merkel aus dem Tecklenburger Land? | |
| „Netzwerke zu bilden, das war schon immer ihre größte Stärke“, sagt Witt. | |
| Diese Fähigkeit, so schildert er es, half ihr auch beim Kampf um das | |
| Direktmandat 2012, Karliczeks Eintrittskarte in die Bundespolitik. | |
| Tecklenburg besteht aus vier Stadtteilen: Tecklenburg, Brochterbeck, Ledde | |
| und Leeden. Um die Mehrheit der Delegierten für zu gewinnen, brauchte die | |
| Brochterbecker Kandidatin Karliczek, die als Außenseiterin galt, Stimmen | |
| aus den anderen Stadtteilen. „Da müssen Sie richtig hart arbeiten, um den | |
| Wahlkreis zu überzeugen“, sagt Witt. Karliczek zu unterschätzen, hält er | |
| für einen Fehler. „Nee, nee, die ist nicht nur nett.“ | |
| Ist die Frau mit dem unbeschwerten Lachen am Ende eine Angela Merkel aus | |
| dem Tecklenburger Land? Zuverlässig unterbewertet, doch bereit, im | |
| richtigen Moment die Konkurrenz beiseite zu schubsen? | |
| Wenn Karliczek ihren Weg in die Machtzentren der Berliner Republik | |
| beschreibt, dann bekommt man den Eindruck, sie habe zunächst mehr die Pläne | |
| anderer abgearbeitet als ihre eigenen. Für den Bundestag kandidierte sie, | |
| weil sie gefragt wurde, Parlamentarische Geschäftsführerin wurde sie, weil | |
| man sie fragte und als Bundesbildungsministerin – „ja, auch da wurde ich | |
| gefragt.“ Sie lacht, herzlich und unprätentiös. | |
| ## Einige Politiker gelten als Generalisten | |
| Es war ein Mittwochnachmittag im Februar 2018, als Angela Merkel sie zum | |
| Gespräch bat. Karliczek sagt, sie habe keinen blassen Schimmer gehabt, | |
| worum es ging. Merkel fragte sie, ob sie Bildungsministerin werden wolle, | |
| sie sprachen kurz über das Amt und die Aufgaben. „Da hat man nicht viel | |
| Zeit zu überlegen. Es ist eher die Frage, ob es passt oder nicht“, sagt | |
| Karliczek. | |
| Hat Merkel erläutert, warum sie ausgerechnet sie ausgewählt hat? Nein, sagt | |
| Karliczek. Und sie habe auch nie danach gefragt. „Wenn man in die Politik | |
| geht, will man gestalten. Und je weiter man sich vorarbeitet, desto größer | |
| ist der Gestaltungsspielraum. Ich muss nicht in die Politik gehen, wenn ich | |
| diesen Spielraum nicht will.“ | |
| Das konkrete Politikfeld ist demnach zweitrangig, frei nach dem Motto: Wer | |
| gern Sport treibt, dem ist die Disziplin egal. Es gibt solche Politiker, | |
| sie gelten als Generalisten. Ursula von der Leyen etwa. Egal in welchem | |
| Ressort – Gesundheit, Soziales, Familie oder Verteidigung: | |
| Sie.Dient.Deutschland. | |
| Das mag auch am Ressort liegen. Für andere Ministerposten scheinen nur | |
| Fachleute geeignet. Das Landwirtschaftsministerium wird zuverlässig von | |
| Leuten geführt, die als Agrarexperten gelten, selbst wenn dieser Nimbus nur | |
| daher rührt, dass sie bei der CSU sind. | |
| ## Karliczek sorgte im Ministerium für Bewegung | |
| Auch das Ministerium für Bildung und Forschung wurde 20 Jahre lang von | |
| Fachfrauen geleitet: Edelgard Bulmahn war Studienrätin, Annette Schavan | |
| hatte promoviert, der Doktortitel wurde ihr 2013 allerdings aberkannt. | |
| Anja Karliczek, die berufsbegleitend an der Fernuni Hagen BWL studiert hat, | |
| gilt hier als Quereinsteigerin. Von Wissenschaft, so hieß es anfangs aus | |
| dem Haus, hat die ja keine Ahnung. | |
| Den vermeintlichen Nachteil, von außen zu kommen, nutzte Karliczek zu ihrem | |
| Vorteil. Kaum hatte sie ihr Büro bezogen, sorgte die Managerin und | |
| Finanzexpertin – ohne allzu großen Respekt vor gewachsenen Strukturen – | |
| mächtig für Bewegung. Sie schüttelte das seit zwölf Jahren unveränderte | |
| Organigramm durch, stellte Abteilungen neu zusammen und entließ die graue | |
| Eminenz des Hauses Cornelia Quennet-Thielen, als diese im Sommerurlaub | |
| weilte. | |
| Karliczek ersetzte die erfahrene Staatssekretärin, die laut eines Insiders | |
| als geschickte Verhandlerin, aber auch als ein wenig herrschsüchtig galt, | |
| durch den moderater auftretenden Georg Schütte. Der verhandelt mit den | |
| Ländern gerade den neuen Hochschulpakt. Dass Schütte konzilianter als seine | |
| Vorgängerin ist, können die Länder allerdings nicht feststellen. | |
| ## Ihre Agenda bleibt nebulös | |
| [4][Der Hochschulpakt, über den Bund und Länder seit 2007 Hunderttausende | |
| Studienplätze finanziert haben], soll dauerhaft verlängert werden. So sieht | |
| es der Koalitionsvertrag vor. Die Länder wollen, dass die Summe für die | |
| gemeinschaftlich finanzierten Studienplätze jedes Jahr steigt, um Kosten | |
| und Tarifsteigerungen auszugleichen. Anja Karliczek hat früh klargemacht, | |
| dass sie dagegen ist. Im Koalitionsvertrag stehe nichts davon, beharrt sie | |
| auch jetzt. | |
| Karliczek hat recht. Doch nun haben die Länder quer über die politischen | |
| Lager vereinbart: Wir wollen das. Sie setzen Karliczek gehörig unter Druck. | |
| Was ihr auf kommunaler Ebene gelang – Verbündete zu suchen und Allianzen zu | |
| schmieden –, ist ihr auf Bundesebene noch nicht geglückt. Auch bei einem | |
| anderem Großthema, dem Digitalpakt für schnelles WLAN und intelligente | |
| Lernplattformen in Schulen, kann sie derzeit nur plädieren und nicht | |
| agieren. Sie muss hoffen, dass Bundestag und Bundesrat im | |
| Vermittlungsausschuss eine Lösung finden. | |
| Schütte indes lobt den „Kulturwandel“ im Haus. Frau Karliczek mache das | |
| Haus kommunikativer und verständlicher. In allen Referaten gibt es nun eine | |
| Grundsatzabteilung für Wissenschaftskommunikation. „Wir müssen die Menschen | |
| mehr mitnehmen, besser erklären, woran wir forschen und was wir fördern“, | |
| sagt Karliczek. | |
| Doch ihre eigene Agenda bleibt nebulös. Wohin will die | |
| Bundesforschungsministerin, fragen sich Abgeordnete und | |
| Wissenschaftlerinnen. Was hat sie vor mit den milliardenschweren | |
| Wissenschaftspakten, worauf können sich Forschungseinrichtungen, | |
| Hochschulen, Lehrende und Studierende einstellen? | |
| ## Noch kein „Starker-Name-Gesetz“ | |
| Bisher auf gar nichts, sagen ihre Kritiker. | |
| „Der Ministerin fehlt es an Zukunftsideen“, so der Grünen-Obmann im | |
| Bildungsausschuss Kai Gehring. | |
| „Karliczek bleibt zu blass“, sagt die Hochschulpolitikerin der Linken, | |
| Nicole Gohlke. | |
| Der FDP-Politiker Christoph Meyer sagt: Ihre Bilanz sei traurig, sie sitze | |
| im Bummelzug. | |
| Und auch Oliver Kaczmarek, Bildungsexperte vom Koalitionspartner SPD, | |
| findet, die Geschwindigkeit, mit der die Ministerin arbeite, müsse | |
| schneller werden. | |
| CDU-Bildungspolitiker wollen sich lieber gar nicht öffentlich über ihre | |
| Arbeit äußern. | |
| Tatsächlich hat Karliczek seit ihrem Amtsantritt vor gut zehn Monaten noch | |
| keinen Gesetzentwurf vorgelegt, andere Kabinettsneulinge wie Franziska | |
| Giffey oder Hubertus Heil präsentieren nahezu im Monatstakt das nächste | |
| „Starker-Name-Gesetz“. | |
| ## „Ich mache ja zurzeit alles zum ersten Mal“ | |
| Karliczek betont, sie wolle sich eben gründlich einarbeiten. Sie reist | |
| viel, trifft Kollegen und Koryphäen der Forschung. An einem verregneten | |
| Dezembertag steht sie mit Kittel und Schutzbrille im | |
| Batterieforschungszentrum der Universität Münster, hört interessiert zu und | |
| stellt Fragen. Sie sei zum ersten Mal hier, sagt sie. Scherzt: „Ich mache | |
| ja zurzeit alles zum ersten Mal.“ | |
| In Südkorea, Japan und China werden Batterien billig und massenhaft | |
| hergestellt, im Batterieforschungszentrum Münster versucht Deutschland, | |
| innovativer zu sein als die Konkurrenz in Asien. Es geht um den künftigen | |
| Platz an der Weltspitze. | |
| Der Bund hat bereits 50 Millionen nach Münster überwiesen und wird | |
| weiterhin jedes Jahr Millionen bereitstellen. „Wir könnten überall | |
| draufschreiben ,sponsored by BMBF'“, sagt einer aus dem Tross, der an | |
| Hunderten von Knopfzellen vorbeigeht, durch einen Raum, in dem die Luft | |
| hundertmal trockener ist als in der Sahara. | |
| Karliczek spricht mit den vorwiegend männlichen Wissenschaftlern auf | |
| Augenhöhe, sie ist so groß wie die meisten von ihnen. „Sind wir vorn?“, | |
| will sie wissen. Man habe einen Plan, aber bis 2025 noch einige Problemchen | |
| zu lösen, sagt Martin Winter. Der Chemiker ist eine internationale | |
| Koryphäe. Dass er im Münsterland und nicht in Kalifornien forscht, ist | |
| nicht selbstverständlich. Erst im September hat ihm Karliczek das | |
| Bundesverdienstkreuz angesteckt, bei ihrem jetzigen Besuch bedankt sich | |
| Winter für den neuen Zuwendungsbescheid für sein Institut. | |
| ## Sympathisch, nahbar, ungekünstelt | |
| Ja, es stimme, die Forschungspolitik sei nie ihr Schwerpunkt gewesen, sagt | |
| Karliczek in einem Sitzungsraum des Batterieforschungszentrums. Aber: „Ich | |
| muss ja nicht die Forschung machen, meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, | |
| dass wir richtig gut sind.“ Ihr Aufgabenfeld vergleicht sie mit einem Wald: | |
| „Ich sorge dafür, dass immer aufgeforstet wird.“ | |
| Sie klingt weniger wie eine Försterin denn wie die Hotelmanagerin und | |
| Betriebswirtin, die sie ist. Pragmatisch. Output-orientiert. Sachbezogen. | |
| So, wie man sie in Tecklenburg kennt. Man kann sagen, sie ist sich treu | |
| geblieben. | |
| Manche Politiker sind fachlich brillant, aber menschlich unerträglich. Wen | |
| sie für unwichtig halten, den ignorieren sie, Kritik empfinden sie als | |
| Kränkung. Anja Karliczek ist sympathisch, nahbar, ungekünstelt, eine, die | |
| sich beim Rundgang mit den Professoren an die Assistentin wendet und fragt, | |
| was diese vorher beruflich gemacht habe. Integrität ist keine Voraussetzung | |
| dafür, erfolgreich Politik zu machen. Sie kann aber helfen. | |
| Ob sie noch weiter hinaus wolle, fragt eine Grundschülerin in Emsdetten. | |
| Karliczek antwortet ernst: „Das kann man nicht planen. Man muss gucken, was | |
| in der Partei für einen angedacht ist.“ Karliczek braucht jetzt Erfolge. | |
| Sonst könnte ihre Partei bald ohne sie planen. | |
| 5 Feb 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Verpatzter-Start-im-Ministerium/!5526149 | |
| [2] /Neue-Chefin-im-Forschungsministerium/!5503158 | |
| [3] https://www.wn.de/Muensterland/Kreis-Steinfurt/2012/12/CDU-kuert-Bundestags… | |
| [4] /Hochschulpakt-fuer-Studienplaetze/!5565804 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
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