| # taz.de -- Mehr kranke Obdachlose in Berlin: „Nur eine Art Nothilfe“ | |
| > Obdachlose, die medizinische Hilfe brauchen, werden mehr, sagt Kai-Gerrit | |
| > Venske von der Caritas. Er fordert eine andere Finanzierung von Hilfen. | |
| Bild: Schlafstätte eines Obdachlosen auf der Oberbaumbrücke | |
| taz: Herr Venske, Sie warnen davor, dass sich die Gesundheitslage der | |
| Obdachlosen in Berlin deutlich verschlechtert. Wie kommen Sie zu dieser | |
| Einschätzung? | |
| Kai-Gerrit Venske: Wir haben vor einigen Jahren einen runden Tisch aller | |
| Einrichtungen ins Leben gerufen, die sich um die medizinische Versorgung | |
| von Obdachlosen kümmern. Für 2016 haben wir einen umfangreichen | |
| Gesundheitsbericht erstellt und jetzt auch die Zahlen für 2017 | |
| zusammengetragen. Es gab demnach in unseren Einrichtungen eine Zunahme der | |
| Patienten um über 30 Prozent auf etwa 8.700. Die Behandlungszahlen sind im | |
| gleichen Zeitraum um 25 Prozent gestiegen, sie lagen 2017 bei knapp 34.000. | |
| Der Anstieg hängt sicherlich damit zusammen, dass viele Menschen aus Ost- | |
| oder Südosteuropa zu uns gekommen sind. | |
| Es gibt zahlreiche Anlaufstellen für die gesundheitliche Versorgung | |
| Obdachloser in Berlin, vom Malteser Hilfsdienst über die Ambulanz der | |
| Stadtmission und der Caritas bis zur Praxis am Stralauer Platz. Was ist das | |
| Problem? | |
| Vor allem die Finanzierung dieser Einrichtungen. Es gibt eine öffentliche | |
| Förderung von Wohnungslosenprojekten, aber die richtet sich an die | |
| Zielgruppe derer, die Anspruch auf Sozialleistungen haben, also vorrangig | |
| an Deutsche. Projekte für EU-Bürger bekommen kaum Gelder. Das Gros der | |
| obdachlosen Menschen in Berlin, ich schätze mal zwei Drittel, wird von der | |
| offiziellen Förderung also gar nicht erfasst, die Hilfsangebote müssen sich | |
| mehr oder weniger über Spenden finanzieren. | |
| Was hat das für Folgen? | |
| Die Anlaufstellen für Obdachlose können häufig nicht mehr als eine Art | |
| Nothilfe leisten, es gibt immer wieder Menschen, die relativ krank auf die | |
| Straße entlassen werden. Immerhin können wir seit November eine | |
| Krankenwohnung mit 15 Plätzen anbieten, wo Menschen die Möglichkeit haben, | |
| sich bis zu vier Wochen auszukurieren. Dieses Modellprojekt wird auch von | |
| der öffentlichen Hand finanziert. Die Lage der meisten anderen | |
| Anlaufstellen ist aber nach wie vor prekär. | |
| Sie fordern ein neues Finanzierungssystem. Wie sollte das aussehen? | |
| In den großen Städten in Nordrhein-Westfalen zahlen zum Beispiel | |
| verschiedene Akteure – das Land, die Städte, die Kassenärztliche | |
| Vereinigung, die Krankenkassen – in einen Fonds ein. Darüber werden dann | |
| die Ambulanzen finanziert. Das wäre vielleicht auch für Berlin eine | |
| Möglichkeit. Um das anzugehen, bräuchte es aber einen politischen Willen. | |
| Der Senat hat vor einem Jahr eine Strategiekonferenz zu Wohnungslosigkeit | |
| abgehalten. Seitdem befasst sich eine Arbeitsgruppe mit dem Thema der | |
| medizinischen Versorgung Obdachloser. Sehen Sie da keinen politischen | |
| Willen? | |
| Das ist alles sehr zu begrüßen, man muss aber abwarten, was daraus folgt. | |
| Der Senat überarbeitet derzeit die Leitlinien zur Bekämpfung der | |
| Wohnungslosigkeit. Ich habe die Befürchtung, dass trotz allen guten Willens | |
| das Thema zwischen der Sozial- und der Gesundheitsverwaltung hin- und | |
| hergeschoben wird und sich am Ende wieder niemand dafür zuständig fühlt. | |
| Die Arbeitsgruppe hat als ein Ziel ausgegeben, die Obdachlosen in die | |
| Regelversorgung zu bringen. | |
| Es wäre wünschenswert, wenn sich normale Arztpraxen für Obdachlose öffnen | |
| und so viele Menschen wie möglich wieder eine Krankenversicherung erhalten | |
| würden. Seit dem Herbst gibt es dafür eine Clearingstelle bei der | |
| Stadtmission, die Menschen ohne Krankenversicherungsschutz berät. Das sind | |
| einzelne sehr sinnvolle Projekte, aber auch die Anlaufstellen für | |
| Obdachlose müssen gestärkt werden. Um den Bedarf statistisch zu erfassen, | |
| die Angebote zu verschränken und beispielsweise die Verteilung der | |
| Fachärzte besser zu steuern, müssten sich alle an einen Tisch setzen und | |
| offene Fragen, vor allem die Finanzierung, klären. Dafür bräuchte es eine | |
| ordnende Kraft, das sollte der Senat in die Hand nehmen. | |
| 7 Jan 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Antje Lang-Lendorff | |
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