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# taz.de -- Kommentar Facebook und die Gelbwesten: Gute Revolte, schlechte Revo…
> Facebooks Algorithmus soll die Gelbwesten-Proteste angefeuert haben. Das
> Unternehmen wird nun dafür gescholten – warum eigentlich?
Bild: Facebook gefällt das
Facebook war’s. Facebook (FB) soll die Gelbwesten-Proteste in Frankreich
groß gemacht haben. So ist es zu lesen in [1][Zeitungen], auf
Internetseiten, so schreiben es Professoren.
Wer diese These verstehen will, muss zurückblicken auf den Jahresanfang. Im
[2][Januar 2018] verkündete FB-Chef Mark Zuckerberg, [3][dass Facebooks
Algorithmen künftig stärker auf lokale Nachrichten und Gruppen anspringen
sollen]. Eine Reaktion auf die Schäbigkeiten in den sozialen Netzwerken,
die sich spätestens rund um die Trump-Wahl offenbarten: Desinformation und
Polarisierung, Hassrede und Schreiduelle mit Trollen.
Da will eine Plattform, die davon lebt, dass Menschen möglichst viel Zeit
auf ihr verbringen, natürlich gegensteuern. Und stattdessen Interaktionen
fernab der garstigen Welt motivieren – im hyggeligen Mikrokosmos zwischen
Gartenzaun und Kitafest.
Also änderte Facebook. Und verhalf damit, so die Lesart, in Frankreich
kleinen lokalen Wut-Grüppchen, die sich etwa zeitgleich formierten, zu
jeder Menge Aufmerksamkeit. Denn die wiesen sich häufig explizit durch ihre
lokale Zugehörigkeit aus – entweder, indem sie die Nummer ihres
Departements bereits im Namen trugen. Oder weil User ihre Posts oft mit dem
Kürzel „ptg“ (kurz für: teilen) plus Departement-Kennung garnierten.
## Akkordeonspieler und russische Trolle
Auf beides scheinen Facebooks neu lokal ausgerichtete Algorithmen
angesprungen zu sein: den Wut-Gruppen wurde laut dieser Erzählung plötzlich
jede Menge lokaler Traffic vor die Füße gespült.
Die Bewegung vernetzte sich, unbekannte Normalos vom Maurer bis zur
Akkordeonspielerin viralten sich hoch zu Wortführern einer eigentlich
führungslosen Bewegung. Livestreams und Meme, Ausbrüche und Videos
verbreiteten sich so rasend schnell wie der Ärger – befruchtet womöglich
zusätzlich dadurch, dass Facebook emotionalere Inhalte ebenfalls goutiert.
Klassische Medienberichte scheinen Facebooks Maschinen nun weniger
offensichtlich in die Newsfeeds zu spülen – und auch russische Trolle
sollen übrigens mal wieder die Stimmung mit aufgeheizt haben.
## Nicht wirklich neu
Was uns all das sagt? Journalismusprofessor Frederic Filloux schalt
Facebook als mittlerweile „gefährlichste Waffe gegen die Demokratie“. Und
während die US-Ausgabe von Buzzfeed die Bewegung eine [4][„Bestie, die fast
ausschließlich bei Facebook geboren wurde“], nennt, versucht Markus
Beckedahl, Chefredakteur von netzpolitik.org, etwas Luft aus der Aufregung
abzulassen: Es sei falsch, den sozialen Medien die Schuld an den Protesten
in Frankreich zuzuschreiben, sie spielten allenfalls eine Teilrolle,
[5][sagte er im Deutschlandfunk].
Nur: Ist das alles im Kern eigentlich neu? Eine dezentrale, ursprünglich
führungslose Graswurzel-Bewegung, in der sich die Wut der Bevölkerung den
Weg bahnt? Die sich mithilfe sozialer Medien vernetzt, schnell und agil
organisiert? Hatten wir schon mal. 2011. Im Arabischen Frühling, der
sogenannten Facebook-Revolution. Als das soziale Netzwerk als Werkzeug
gesehen wurde, um Freiheit und Demokratie zu verbreiten und alle
zusammenzubringen, die dafür kämpfen wollten.
Derartige Hoffnungen auf ein gewinnorientiertes Internetunternehmen zu
setzen, wirkt im Rückblick schon fast schmerzhaft naiv. Denn natürlich kam
er, der autoritäre Backlash in den Ländern des Arabischen Frühlings. Der
Optimismus verkehrte sich ins Gegenteil. Natürlich zeigten sich später, wie
Facebook und dessen Business-Kunden Nutzer manipulieren und ausspähen und
verpetzen. Wie das Netzwerk Hetzer gewähren lässt, Populismus belohnt.
## For the Good, the Bad and the Ugly
Aber natürlich ist es noch komplizierter. Die Occupy-Wallstreet-Proteste
und Gezi, Demonstrationen auf dem Maidan, für die Seebrücke und in
Ferguson, der Völkermord an den Rohingya in Myanmar, die
Wahlkampfmobilisierung von Trump und Duterte – bei all diesen und vielen
anderen Ereignissen hat Facebook eine Rolle gespielt. Als Intermediär. Als
Plattform, auf der sich Individuen vernetzen konnten. Als Ort, wo
mobilisiert wurde. Und manipuliert. Gehetzt. Und informiert. For the Good,
the Bad and the Ugly.
Natürlich sind die Softwaresysteme von Facebook nicht neutral. Natürlich
haben soziale Medien großen Einfluss auf gesellschaftliche und politische
Entwicklungen. Und: dass sie so wenig Lust zeigen, die Verantwortung
anzunehmen, die aus dieser großen Macht erwächst, ist katastrophal. Klar
ist aber auch: Facebook nur dann zu kritisieren, wenn es eine Bewegung groß
macht, die man für unerwünscht hält, ist zu schlicht.
12 Dec 2018
## LINKS
[1] https://www.sueddeutsche.de/kultur/frankreich-proteste-gelbwesten-demokrati…
[2] https://www.facebook.com/zuck/posts/10104413015393571
[3] /Neuer-Facebook-Algorithmus/!5476805
[4] https://www.buzzfeednews.com/article/ryanhatesthis/france-paris-yellow-jack…
[5] https://www.deutschlandfunk.de/gelbwesten-in-frankreich-journalist-beckedah…
## AUTOREN
Meike Laaff
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