Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Proteste in Frankreich: Aufruf gegen Gewalt
> Opfer von Anschlägen in Frankreich wenden sich an die Öffentlichkeit. Sie
> kritisieren die „Gelbwesten“, aber auch die Berichterstattung der Medien.
Bild: Zum Heulen: Polizeieinsatz gegen Demonstranten am 1. Dezember 2018 in Par…
Paris taz | Eine Gruppe von Opfern des Terrorismus in Frankreich hat im
Kontext der Demonstrationen der Gelbwesten [1][einen offenen Brief]
publiziert. Die in den Medien omnipräsente Gewalt am Rande dieses aktuellen
Konflikts ist für diese geschockten Menschen inakzeptabel. Sie haben
versucht, mit ihren traumatischen Erlebnissen zu leben, diese zu verdrängen
oder im besten Fall zu bewältigen und in eine wertvolle Erfahrung zu
verwandeln.
Wenn dann aber täglich oder stündlich in den Medien fast nur noch Bilder
von brachialer Gewalt bei Konfrontationen zwischen Demonstranten und
Polizisten und wenig später Reportagen vom Schauplatz eines Attentats zu
sehen sind, brechen kaum verheilte Wunden auf. „Das Spektakel der ständig
ausgestrahlten Gewalt in unserem Land, namentlich in Paris an zwei
aufeinanderfolgenden Samstagen, verletzt uns ganz besonders“, schreiben
diese Terroropfer in ihrem offenen Brief.
Denn um ein Spektakel, das mit professionellem Eifer und Know-how
beschrieben und kommentiert oder gar inszeniert wird, handelt es sich
zweifellos. In die Informationspflicht mischt sich bei den Medien in der
Rivalität um die eindrücklichsten Schauplatzszenen sogar so etwas wie ein
skrupelloser Wettlauf. Wer die brutalsten Videos hat, verzeichnet die
höchsten Einschaltquoten.
Diese Sensationsgier war vor Ort spürbar bei den Demonstrationen der Gilets
jaunes. Wie viele Menschen, mit oder ohne gelbe Warnwesten, waren auf die
Champs-Èlysées in der Erwartung gekommen „que ça pète“ (dass es krachen
würde)? Das wollten sie live an vorderster Front sehen. Aber vor allem die
Medien müssen sich fragen: Wie weit sind sie selber von dieser ungesunden
Neugier angesteckt?
## Moralische Rechtfertigung
Die Frage nach der Legitimität dieser Gewalt oder Gegengewalt kommt erst
danach. Sie dient eventuell der moralischen Rechtfertigung. In ihrem Brief
wollen sich die Terroropfer explizit nicht dazu äußern: „Wir fällen kein
Urteil über die Berechtigung der Forderungen der Gilets jaunes“, schreiben
sie und betonen, dass ihre einzige Gemeinsamkeit die Ablehnung von Gewalt
zur Konfliktlösung sei.
Allerdings bringen sie eine Solidarität mit den „Ordnungskräften“ zum
Ausdruck: „Wir wissen, wie hoch der Preis ist, den ihre Angehörigen in den
letzten Jahren an den Terrorismus bezahlen mussten. Die verbale und
physische Gewalt, der sie heute ausgesetzt sind, erscheint uns nicht
tolerierbar.“
Nach dieser ethischen Überlegung bleibt eine nüchterne Feststellung: Wenn
ihre Wut nicht durch die Anwendung radikaler Methoden zum Ausbruch gekommen
wäre, hätten die Gilets jaunes nichts erreicht.
Es bleibt indes die erschreckende Bilanz des Aufstands der Gelbwesten:
sechs Tote und Hunderte von Verletzten. Von da eine Linie zur Gewalt des
islamistischen Terrors zu ziehen, wie dies die Briefschreiber versuchen,
ist dagegen fragwürdig.
## Ausbrüche des Volkszorns
Die spektakuläre Radikalität der Aktionsformen einer sozialen
Forderungsbewegung lässt sich aus der Perspektive der Effizienz hingegen
nachvollziehen. Die Historikerin Danielle Tartakowsky hat dazu angemerkt,
dass gerade in Frankreich, wo Konflikte besonders häufig eskalieren, die
„Gewalt ein Ersatz für die zahlenmäßige Stärke (ist) und dem empfundenen
Bedürfnis entspricht, schockieren zu müssen, um sich Gehör zu verschaffen“,
weil dies aus Erfahrung anders nicht gelinge.
Solche Ausbrüche des Volkszorns sind ein Symptom für die Krise eines
politischen Systems, das keine demokratischen Korrekturen zulässt, auch
wenn diese vernünftig erscheinen. Ihren Aufruf gegen die Gewalt beenden die
sieben Briefschreiber darum mit einem Zitat des Malers Francisco de Goya
als Warnung: „Wenn die Vernunft schläft, erwachen die Monster.“
14 Dec 2018
## LINKS
[1] https://www.huffingtonpost.fr/georges-salines/victimes-du-terrorisme-nous-l…
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Gelbwesten
Schwerpunkt Frankreich
Protest
Terrorismus
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Frankreich
Straßburg
Gelbwesten
Musikfestival
Schwerpunkt Emmanuel Macron
## ARTIKEL ZUM THEMA
Protest in Frankreich: Gelbe Westen bekommen Flügel
In der Gelbwesten-Bewegung bilden sich zwei Strömungen heraus. Obwohl die
Proteste abnehmen, bleibt die Wut auf die politische Führung.
Gelbwesten-Protest in Frankreich: Vermachtete Strukturen
Frankreich zeigt dieser Tage sein verzweifeltes Gesicht. Hinter den
Fassaden driften die Lebenswelten schon lange auseinander. Das Land ist
kaputt.
Nach Anschlag in Straßburg: Frankreich appelliert an Gelbwesten
Nach der Attacke von Straßburg drängt Paris zur Mäßigung. Trotz Macrons
Zugeständnissen mobilisieren einige ProtestlerInnen weiter.
Kommentar Facebook und die Gelbwesten: Gute Revolte, schlechte Revolte
Facebooks Algorithmus soll die Gelbwesten-Proteste angefeuert haben. Das
Unternehmen wird nun dafür gescholten – warum eigentlich?
Gelbwesten-Proteste und Transmusicales: Gehör finden, wenn es knallt
Soldaten mit Gewehren, vernagelte Banken: Die Proteste in Frankreich
überschatten die 40. Ausgabe des Festivals Transmusicales im bretonischen
Rennes.
Kommentar Macron zu Gelbwesten: Zynisches Weihnachtsgeschenk
Präsident Macron verspricht den protestierenden Bürgern Frankreichs mehr
Lohn. Der Haken dabei: Das Geschenk soll aus Steuern finanziert werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.