Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ärztemangel in Norddeutschland: „Ist ein Arzt anwesend?“
> Bremen diskutiert über einen neuen Medizinstudiengang, in Oldenburg und
> Braunschweig gibt es schon welche. Aber brauchen wir mehr Ärzte?
Bild: Davon gibt es zu wenige: Ärzte
Bremen taz | Vielleicht ist es am Ende alles doch nur ein Witz gewesen.
Aber seit ziemlich genau einem Jahr diskutiert Bremen ernsthaft, ob es
nicht einen eigenen Medizinstudiengang braucht, weil angeblich Ärzte
fehlen. Und weil Bremen das einzige Bundesland ohne eigenen
Medizinstudiengang ist.
Den hat es aber nie gehabt, nicht einmal im 18. Jahrhundert, als an den
Collegia anatomica von Braunschweig und Hannover Barbiere und Chirurgen
ausgebildet wurden, an den altehrwürdigen medicinischen Fakultäten von
Rinteln und Helmstedt unumstößliche Autoritäten die Feinheiten der
[1][Humora]pathologie lehrten und frisch berufene Professoren in Göttingen
darüber disputierten, ob das Opium oder doch der Aderlass das Allheilmittel
ist.
Eine Medizin-Fakultät hat man auch vor 50 Jahren in Bremen nicht haben
wollen, bei Uni-Gründung, weil man’s, Bremen war damals ein prosperierendes
Bundesland ohne nennenswerte Schulden, für zu teuer hielt.
Jetzt aber bekommt Bremen dauerhaft mehr Beihilfen vom Bund als vorher. Und
im kommenden Jahr wird gewählt. Und es ist wirklich schön, wenn der
politische Diskurs aufhört, sich nur auf die Erörterung von Maßnahmen der
Haushaltskonsolidierung zu beschränken. Es tut Bremen gut, über die
Schaffung von etwas nachzudenken, das von Dauer sein soll.
## Kaum Rückhalt für die Idee
Ende Januar hatte die Wissenschafts- und Gesundheitssenatorin Eva
Quante-Brandt (SPD) das Gedankenspiel von der Gründung einer medizinischen
Fakultät aufgenommen. Anlass sei, so heißt es im Weser-Kurier, vor allem
„der Medizinermangel in der Region“ gewesen, und dass die Kassenärztliche
Vereinigung darauf aufmerksam mache.
Allzu viel Rückhalt bekam Quante-Brandt in ihrer Koalition indes nicht für
die Idee. Im Vorstands-Entwurf des SPD-Wahlprogramms taucht der Studiengang
gar nicht mehr auf, bei den Grünen reicht es immerhin für den Wunsch nach
Prüfung.
Stattdessen spielt jetzt die CDU das Thema, das so wahlkampftauglich ist,
wie nur was. Zwar kann kaum jemand Medizin studieren, aber jeder muss
irgendwann mal zum Arzt. Und was wäre, wenn der dann nicht da wäre?
„Wir müssen dem Ärztemangel begegnen“, sagt deshalb der Spitzenkandidat d…
Bremer Christdemokraten, Carsten Meyer-Heder, „da rollt ein großes Problem
auf uns zu“. Woher er das weiß, sagt er nicht. Aber in Weser-Kurier und
Syker Kreiszeitung [2][lässt sich nachlesen], dass in der ganzen Region
schon Mangel herrsche und [3][die Kassenärztliche Vereinigung den auch
schlimm finde,] das sei ja bekannt.
Tatsächlich ist es nicht bekannt. Tatsächlich wird, wer sich die aktuellen
Zahlen anschaut, sogar Mühe haben, überhaupt eine Unterversorgung
festzustellen: In Sachen Hausärzt*innen hat Bremen derzeit einen
Versorgungsgrad von 109 Prozent. Das ist nicht zu wenig. Deutschlandweit
[4][gab es im Jahr 2017 insgesamt 385.149 Ärzt*innen] – das sind 147.399
mehr als noch 1990. Damals gab’s in Gesamtdeutschland 2,9 aprobierte
Mediziner*innen für je 1.000 Menschen. Jetzt sind’s 4,1.
„Sobald dieser Begriff Ärztemangel auftaucht, erstarren viele regelrecht –
wie schockgefrostet“, erklärt der Gesundheitsökonom Norbert Schmacke,
Professor an der Uni Bremen, der für den Spitzenverband der Krankenkassen
die Grundlagenstudie über die Zukunft der Allgemeinmedizin in Deutschland
[5][verfasst hat]. Von dieser Panikreaktion müsse man sich aber lösen.
Was es gebe, seien Strukturprobleme wie die zu große Zahl von Kliniken.
Und: „Es gibt im jetzigen System Schwierigkeiten, bestimmte Sitze an
bestimmten Standorten wiederzubesetzen.“ Die seien aber durch mehr
Studienplätze nicht zu beseitigen.
## Angst ist der Antrieb
Gleich nach der Wende waren wegen der drohenden Ärzteschwemme 2.200
Medizinstudienplätze abgebaut worden. Jetzt fordert der
Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery in ganz Deutschland
1.000 neue, und längst hat die Dynamik die Bundesländer erfasst:
Niedersachsen [6][erhöht die Zahl der Medizinstudienplätze] um 30 Prozent.
Das Land will in Oldenburg was gegen den Ärztemangel tun und hat auch in
Braunschweig 60 neue klinische Studienplätze geschaffen, in Bielefeld
entsteht eine Billig-Fakultät, in Augsburg eine teure.
Die Angst vor der Unterversorgung ist ein starker Antrieb, obwohl die Zahl
der Arbeitsstunden pro Arzt das einzige ist, was sich messbar reduziert
hat, seit die EU hier für [7][ein wenig Vernunft gesorgt] hat: „Die Zeiten
der 36-Stunden-Schichten sind vorbei“, [8][sagt Heidrun Gitter, Präsidentin
der Bremer Ärztekammer,] „zum Glück.“
Gitter ist die beste Botschafterin für die Idee eines Medizinstudiengangs
in Bremen. Ihr ist das ein Anliegen, und mitreißend kann sie dafür
plädieren. Nein, der vermeintliche Mangel ist nicht ihr Hauptargument,
sondern sie sieht vor allem Anknüpfungspunkte in der
Wissenschaftsinfrastruktur. „Es wäre aus meiner Sicht schwachsinnig, die
nicht zu nutzen“, sagt sie.
Und sie denkt die nötige Akademisierung der Pflege – wo echter Mangel
herrscht – und der Hebammen-Ausbildung –, die dank [9][einer neuen
EU-Richtlinie ab 2020 Pflicht ist] – nicht nur mit. Sie macht sie zum
Ausgangspunkt für den Plan eines medizinischen Studiengangs, der
„interprofessionell qualifizieren“ könnte. Das ist so ihre Vision.
Und, „ja, das klingt total verlockend“, sagt Schmacke. Bloß, so eine
multiprofessionelle Ausbildung, „das müsste man völlig neu schöpfen“, wa…
er. „Da sage ich auch als überzeugter Bremer: Das ist für Bremen nicht zu
machen.“ Das sagt auch, und das ist vielleicht ein wenig überraschend, Jörg
Hermann.
Hermann ist nämlich der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen
Vereinigung in Bremen, und, wie gesagt: nicht Urheber, aber Auslöser der
Debatte, räumt er auch selbst ein. Und selbstverständlich, sagt er der taz,
wäre die Gründung eines eigenen Medizinstudiengangs eine Möglichkeit, fürs
Land etwas gegen seinen „doch nur relativen Ärztemangel“ zu unternehmen.
Aber: „Jeder andere Ansatz ist schlauer“, so Hermann. Und derer gebe es
viele.
Doch, die Empfehlung für den Aufbau einer Medizinischen Fakultät in Bremen
habe er ausgesprochen. Das sei so gewesen, „in einer Fernsehsendung zum
Jahresauftakt“. Die Sendung habe das Thema „Furchtbarer Ärztemangel in
Bremen“ gehabt. Und man habe gehofft, mit diesem übertriebenen Titel zu
signalisieren, worum es sich handelt: „Das war Satire“, sagt Hermann. „Ein
Pleiteland wie Bremen kann das nie und nimmer stemmen.“
Bloß sei er dann leider von der Realsatire überholt worden. Und zum
Schluss, vor zehn Tagen, hatte sich auch noch die dauerklamme private
Jacobs University [10][als Standort fürs Projekt ins Spiel gebracht]: „Der
Vorschlag, das an so einer kränkelnden Institution zu machen, toppt meinen
Witz leider.“
Mehr über den Ärztemangel lesen Sie im aktuellen Wochenendschwerpunkt der
taz.nord oder am [11][e-kiosk.]
7 Dec 2018
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Humoralpathologie
[2] https://www.kreiszeitung.de/lokales/bremen/nimmt-medizin-studiengang-konzep…
[3] https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-cdu-will-medizinst…
[4] https://www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/aerztestatistik/aerztestatistik…
[5] https://www.ipp.uni-bremen.de/uploads/IPPSchriften/ipp_schriften11.pdf
[6] https://kleineanfragen.de/niedersachsen/18/1562-wie-viele-mediziner-werden-…
[7] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A32003L0088
[8] /Kammerpraesidentin-ueber-Aerzte-Ausbildung/!5550189
[9] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv%3AOJ.L_.2013.35…
[10] /Archiv-Suche/!5549769&s=jacobs&SuchRahmen=Print/
[11] /e-kiosk/!114771/
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Studiengang Medizin
Ärztemangel
Medizin
Universität Bremen
Stadt-Land-Gefälle
Studiengang Medizin
Studiengang Medizin
Studiengang Medizin
Studiengang Medizin
Studiengang Medizin
Asklepios
OTB
## ARTIKEL ZUM THEMA
Arzt sein auf dem Land: Krankengeschichten beim Bäcker
Im schleswig-holsteinischen Stapelholm tun sich drei Ärzte zusammen. Die
Gemeinde stellt sie an. Lässt sich so dem Ärzteschwund auf dem Land
begegnen?
Ärztefunktionär gegen Fakultätsgründung: „Uni-Klinikum erfordert mehr Pla…
Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Bremens Jörg Hermann hält Bremens
Medizinstudiengangsträume nicht für realistisch.
Für Bremen zu teuer: Medizinstudium adé
Die rot-grüne Koalition entscheidet sich gegen ein Medizin-Vollstudium und
lässt die Umsetzung der klinischen Phase eines Medizinstudiums prüfen.
Gesundheits-Ökonom über Ärzte-Studium: „Für Bremen nicht zu machen“
Der Gesundheitsökonom Norbert Schmacke rät, Bremens Fantasien von einem
Medizin-Studiengang fallen zu lassen. Es gebe Alternativen.
Ärzt*innenmangel auf dem Land: „Ein Privileg der Städter“
Der Mediziner Hendrik van den Bussche glaubt nicht, dass die Schaffung
neuer Studienplätze das Versorgungsproblem auf dem Land löst.
Kammerpräsidentin über Ärzte-Ausbildung: „Es geht um Grundversorgung“
Die Bremer Ärztekammerpräsidentin Heidrun Gitter regt an, einen
Medizinstudiengang zu gründen, der die Ausbildung von Pflegekräften und
Hebammen integriert.
Brandbrief von Asklepios Ärzt*innen: Mediziner*innen am Ende
Ärzt*innen der Asklepios-Klinik Hamburg St. Georg sehen ihre Patient*innen
in Gefahr, weil nicht genug Personal da ist. Auch der Marburger Bund
kritisiert die Situation.
Bremens Ideen für 2035: Die Zukunft ist männlich
Bremen bekommt bald mehr Geld und hat nun viele Ideen, wofür es ausgegeben
werden soll. Verbindlich ist kaum etwas an dem Plan.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.