# taz.de -- Ärztefunktionär gegen Fakultätsgründung: „Uni-Klinikum erford… | |
> Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Bremens Jörg Hermann hält | |
> Bremens Medizinstudiengangsträume nicht für realistisch. | |
Bild: So geht Studieren noch heute: Für die Ausbildung am Kranken braucht man … | |
taz: Herr Hermann, Bremen diskutiert seit über einem Jahr, ob hier ein | |
Medizinstudiengang eingerichtet werden sollte. Ist das eine gute Idee? | |
Jörg Hermann: Darüber zu diskutieren, ist erst einmal eine gute Idee, weil | |
dahinter der Gedanke steckt, im Wettbewerb der Bundesländer bei einem | |
gefühlten Ärztemangel [1][am Ende mehr Ärztinnen und Ärzte für Bremen zu | |
haben]. Da hat Bremen bislang noch keine anderen Wege beschritten. Und jede | |
Idee, die man da entwickelt, könnte ja eine gute Idee sein. | |
Und ist ein Medizinstudiengang die richtige Antwort? | |
Beim zweiten Nachdenken würde ich sagen: Vielleicht ist es besser, sich | |
zuerst einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Ideen es bisher gibt. | |
Und ob darunter welche einfacher zu verfolgen und preiswerter sind. | |
An was denken Sie? | |
In [2][anderen Ländern] finden die Wissenschaftsministerien zum Beispiel | |
Stipendiaten – also Leute, die während des Studiums Geldleistungen | |
erhalten, und sich im Gegenzug verpflichten, danach für eine gewisse Zeit | |
in einer bestimmten Region zu praktizieren. Die Idee ist nicht neu, sie ist | |
leicht umzusetzen und es gibt gute Erfahrungen mit diesem Modell. Es gibt | |
aber auch andere [3][Möglichkeiten]: An der Waterkant habe ich einen | |
Bürgermeister kennengelernt, der hat einfach eine Praxis eingerichtet. So | |
wie manche Leute ein schönes Nest auf ihr Hausdach bauen und hoffen, dass | |
ein Storch einzieht. | |
Und, ist einer eingezogen? | |
In der Gemeinde hat sich ein Hausarzt niedergelassen. Wenn ich das | |
ordentlich propagiere, klappt das auch. Anderes lässt sich nicht so schnell | |
ändern. Unsere Pisa-Ergebnisse sind sicher nicht dazu geeignet, Ärzte ins | |
Land zu locken, die ja auch vielleicht Kinder haben wollen. | |
Wenn vor allem über eine mögliche medizinische Fakultät gestritten wird, | |
drohen solche Lösungsansätze fürs Versorgungsproblem vernachlässigt zu | |
werden … | |
Das ist richtig. Es ist eine alte Weisheit, dass ich jede Mark nur einmal | |
ausgeben kann – und die gilt auch noch in Euro: Wenn ich für eine | |
medizinische Fakultät 100 Millionen Startkapital habe, und dann jedes Jahr | |
30 Millionen in den Betrieb stecken muss, ist das eine Investition, die | |
keine Einnahmen generiert, sondern nur, bestenfalls, für zufriedene | |
Studenten sorgt, die in der Stadt bleiben. Wenn ich das gleiche Geld nehme, | |
um etwas anderes zu tun, damit sich Leute wohlfühlen, die hier als Arzt | |
arbeiten wollen oder als Ärztin, kann ich möglicherweise mehr „bang for the | |
buck“ bekommen. | |
Allerdings scheint der Wille zur Medizin-Fakultät groß. Für wie realistisch | |
halten Sie deren Gründung in Bremen? | |
Ich halte das für sehr [4][unrealistisch] – und zwar sowohl die | |
Regierungsvariante, nur den klinischen Teil einzurichten, als auch die | |
Variante der Opposition, die ein Vollstudium an der Uni verankern will. | |
Warum? | |
Ein Haushaltsnotlageland, das nicht in der Lage ist, seine Schulen | |
wasserdicht zu halten, kann nicht mal so eben eine neue Fakultät starten. | |
Ich will jetzt mal gar nicht von Straßen, Brücken und Kindergärten reden, | |
bleiben wir doch einfach beim Gesundheitswesen: Allein die | |
Krankenhausfinanzierung ist ja ein Beispiel, wo Bremen aus Geldmangel | |
seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. | |
Welchen Verpflichtungen konkret? | |
Die klare Trennung, nach der Investitionen in Krankenhäuser aus | |
Steuermitteln, die Betriebskosten dagegen von den Krankenkassen zu zahlen | |
sind, ist hier ja weitgehend verlassen. Ein viel zu großer Teil der | |
Investitionen wird bereits jetzt aus Versichertenbeiträgen bezahlt. Eine | |
medizinische Fakultät aus Versichertenbeiträgen bezahlen – das wird nicht | |
gehen. Eine solche Einrichtung würde sehr hohe Investitionen an | |
Steuermitteln erfordern, wenn man den Plan ernsthaft verfolgen würde, woran | |
zu zweifeln ist. | |
Was meinen Sie? | |
Ich halte es selbst unter den gegebenen Umständen für absolut fahrlässig, | |
das Hulsberg-Viertel bis an die Eingangskante des Krankenhauses zu | |
verkaufen. Wenn man aber Universitätsmedizin auch nur einen Moment lang | |
denken will, müsste man erhebliche Reserveflächen vorhalten. Denn die | |
Vorstellung der Senatorin, dass man das Klinikum Mitte quasi von einem Tag | |
auf den nächsten als Uni-Klinikum laufen lassen könnte, ist ein Irrtum. Da | |
gehört schon mehr dazu. | |
Warum? | |
In einem Uni-Klinikum sind viel mehr Menschen unterwegs als in einem | |
Versorgungskrankenhaus: Es ist ein Unterschied, ob fünf Ärzte um ein | |
Krankenbett herumstehen und Visite machen – oder ob da noch zehn | |
Studierende dabei sind, die betreut und ausgebildet werden müssen. Die | |
brauchen ja auch Räume, in denen sie die Krankenakten bearbeiten, die | |
brauchen Hörsäle und eine Bibliothek. Ein Uni-Klinikum erfordert mehr | |
Personal, mehr Platz – und auch mehr Geld. | |
Dann ist es ja ein Glück, dass man wenigstens das Modell Vollstudium | |
[5][aus dem Rennen genommen hat] und nur die Regierungsvariante prüft? | |
Ehrlich gesagt finde ich das erschütternd: Wenn ich einen Prüfauftrag | |
vergebe, möchte ich doch nicht, dass von vornherein das Ergebnis feststeht, | |
weil nur die eine Variante überhaupt geprüft wird. | |
Aber die Kosten für einen Vollstudiengang lägen doch deutlich höher?! | |
Selbstverständlich sind die höher. Aber auch der erwünschte Klebeeffekt | |
nimmt ja zu, je länger der Aufenthalt in der Stadt dauert. Wenn ich das | |
gegeneinander abwägen will, muss ich doch wissen, wie viel ein | |
vorklinischer Studiengang kosten würde, und ob beispielsweise der | |
Studiengang Biologie, den es an der Bremer Uni gibt, auch den biologischen | |
[6][Teil eines Medizinstudiengangs abdecken] kann. Das könnte ein Gutachten | |
ermitteln. Wenn ich aber nur prüfen lasse, ob man hier einen klinischen | |
Medizinstudiengang einrichten kann, und die andere Variante von vornherein | |
unter den Tisch fällt, ist das undemokratisch. Und es ist auch ein Ausdruck | |
mangelnder Ernsthaftigkeit. | |
Korrektur: Die Behauptung, Bremen komme aus Geldmangel seinen | |
Verpflichtungen in der Krankenhausfinanzierung nicht nach, hält dem | |
Faktencheck nicht stand. Im Ländervergleich des Bundesamts für Statistik | |
hat das Land Bremen in der Krankenhausförderung im Jahr 2017 sowohl in der | |
Auswertung pro Einwohner als auch pro Fall jeweils Platz eins eingenommen. | |
[7][Dokumentiert] sind diese Werte unter anderem im | |
Krankenhausinvestitionsplan 2018. | |
26 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zm-online.de/news/nachrichten/erste-medizin-uni-in-brandenburg/ | |
[2] https://www.ms.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/land-startet-… | |
[3] https://www.aerzteblatt.de/archiv/81151/Versorgungsforschung-Anreize-fuer-d… | |
[4] /Gesundheits-Oekonom-ueber-Aerzte-Studium/!5557530 | |
[5] /Fuer-Bremen-zu-teuer/!5563635 | |
[6] /Kammerpraesidentin-ueber-Aerzte-Ausbildung/!5550189 | |
[7] https://www.gesundheit.bremen.de/deputation/detail.php?gsid=bremen229.c.303… | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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