# taz.de -- Horror-Schlachthof Bad Iburg: „Der Boden lag voller zerstörter T… | |
> Friedrich Mülln hat mit dem Verein „Soko Tierschutz“ die Tierquälerei in | |
> einem Schlachthof bei Osnabrück aufgedeckt. Die Bilder belasten ihn – und | |
> treiben ihn an. | |
Bild: Im Einsatz gegen das Leid der Tiere: Friedrich Mülln vom Verein Soko Tie… | |
taz: Herr Mülln, waren Sie persönlich in dem Horrorschlachthof in Bad | |
Iburg? | |
Friedrich Mülln: Ich habe mir die Zustände vor Ort angeschaut. Die | |
Seilwinde, mit der die Tiere in den Schlachthof hineingezerrt wurden, ist | |
direkt an der Außenwand. Das kann man von außen sehen, wenn man ein | |
bisschen hochklettert. | |
Haben Sie die Kamera installiert, die die Tierquälereien gefilmt hat? | |
Nein, aber ich habe die Recherche betreut und stand in engem Kontakt mit | |
den Informanten und Ermittlern. Das sind mutige Menschen, die viel | |
riskieren, wenn sie mit uns kooperieren. Die Fleischbranche hat in der | |
Vergangenheit schon bewiesen, dass sie in solchen Fällen auch vor Gewalt | |
nicht zurückschreckt. | |
Sind Ihre Informanten Mitarbeiter? | |
Unsere Quellen sind fast ausschließlich Leute aus der Fleischindustrie. Sie | |
können mit den Zuständen nicht mehr leben und wenden sich an die Todfeinde, | |
uns Tierrechtler, weil sie wollen, dass sich etwas ändert. Das hat sich bei | |
den letzten sechs Schlachthöfen, die wir mithilfe solcher Informanten | |
aufgedeckt haben, bewährt. Fünf davon wurden geschlossen, zuletzt der in | |
Bad Iburg. | |
Fällt so eine Kamera im Schlachtbetrieb nicht auf? | |
Ich habe auch schon selbst versteckte Kameras installiert. Die Technik ist | |
da zum Glück schon so weit fortgeschritten, dass man die nicht mehr sieht. | |
Trotzdem ist es sehr gefährlich. Die Wachdienste der Betriebe passen gut | |
auf. | |
Wie sind Sie auf den Schlachthof in Bad Iburg aufmerksam geworden? | |
Es kamen zwei Sachen zusammen. Wir haben im April Missstände in einem | |
Milchviehbetrieb in Demker in Sachsen-Anhalt aufgedeckt. Die Farm lag | |
voller Kadaver von verwesenden Tieren und die lebenden waren in einem | |
schlechten Zustand. Als der Skandal aufflog, waren viele der Tiere | |
verschwunden. Wir haben uns gefragt, wo die Milchkühe hin sind, haben | |
Transporter verfolgt und sind so auf diese Bad-Iburg-Connection gestoßen. | |
Gleichzeitig haben wir von Leuten aus der Fleischbranche Hinweise bekommen, | |
dass es einen Schlachthof in Niedersachsen gibt, der all die Tiere annimmt, | |
die andere ablehnen. | |
Weil es verboten ist, so kranke Tiere zum Schlachthof zu karren. | |
Genau. Bad Iburg wurde als Geheimtipp gehandelt. | |
In welchem Zustand kamen die Milchkühe dort an? | |
Das waren zum größten Teil wandelnde Skelette. Die Tiere waren so | |
abgemagert, dass man wirklich jeden Knochen und jeden Wirbel sehen konnte. | |
In ungefähr 200 Fällen haben wir dokumentiert, dass der Allgemeinzustand | |
der Tiere so schlecht war, dass sie nicht einmal mehr gehen konnten. Da | |
geht die Klappe von einem Tiertransporter auf und der ganze Boden liegt | |
voll mit völlig zerstörten Tieren. Die wurden dann systematisch, | |
hundertfach, bei vollem Bewusstsein mit der Seilwinde da rausgeschleift | |
oder mit Elektroschocks auf Knien da runtergezwungen. | |
Es sind also keine Einzelfälle, in denen Milchkühe so krank beim | |
Schlachthof angeliefert werden? | |
In einem normalen Schlachthof gibt es auch sogenannte Downer-Tiere. So | |
heißen diese Rinder, die am Boden liegen und sich nicht mehr bewegen | |
können. Sie werden aber viel seltener angeliefert als in Bad Iburg. Dort | |
war das absoluter Alltag. Den ganzen Tag lief diese Seilwinde. Der | |
Schlachthof hat natürlich davon profitiert, dass die großen Betriebe diese | |
Tiere nicht haben wollen. | |
Was sagen die Bilder in Bad Iburg darüber aus, in welchem Zustand Milchkühe | |
in den Ställen leben? | |
Diese Downer-Kühe sind ein normales Symptom der Milchwirtschaft. Es gibt | |
zahlreiche Schlachthöfe, die sich auf alte Milchkühe spezialisiert haben. | |
Ihr Zustand ist durchgehend ziemlich schlecht. Milchkühe haben als Folge | |
dieser enormen Überzüchtung zu Turbokühen und der Umgebung im Stall häufig | |
Infektionen und Verletzungen. Jungtiere – und das sind sie alle – haben | |
Krankheiten und Probleme, als würden sie kurz vor ihrem natürlichen | |
Lebensende stehen. | |
Wie leben die Tiere in den Ställen? | |
In Deutschland gibt es nach wie vor rund drei Millionen Kühe in | |
Anbindehaltung. | |
Vor allem in Süddeutschland. | |
Wir sind Weltmarktführer für die schlechteste Haltung. Angebunden können | |
sich die Kühe nicht einmal umdrehen. Ansonsten setzen sich immer mehr | |
Laufställe durch. Das klingt erst mal gut, aber auch hier stehen die Tiere | |
eng und auf Spaltenböden, der immer feucht vom Urin ist. Sie stürzen | |
deshalb immer mal wieder. Ich habe Schwellungen an Kühen gesehen, die sind | |
so groß wie ein Volleyball. Ein weit verbreitetes Problem ist zudem die | |
Mastitis, eine schmerzhafte Entzündung am Euter. Wenn die Kühe das haben, | |
haben sie permanent Höllenschmerzen und die Eiterzellen sind auch in der | |
Milch nachweisbar. | |
Geht es Biokühen besser als denen auf konventionellen Höfen? | |
Bei Milchkühen ist der Unterschied gar nicht so groß. Auch in der | |
Biohaltung leben die Tiere in Ställen und haben teilweise keinen Zugang zur | |
Weide, manche leben sogar in Anbindehaltung. Auch das Verstümmeln der | |
Hörner ist Standard. Das heißt nicht, dass es nicht Betriebe gibt, die das | |
besser machen, aber wir schauen immer auf die schlechtesten Standards, die | |
erlaubt sind. | |
Aber ist es nicht allein schon gut für die Tiere, dass sie in der | |
Bioproduktion nicht so eine hohe Milchleistung haben müssen? | |
Das stimmt meiner Meinung nach nicht. Die Biobetriebe nutzen die gleichen | |
Rassen wie die konventionellen Betriebe und haben dadurch auch die gleichen | |
Probleme im Gepäck. Tragisch wird es für die Biokühe, wenn es um die | |
Schlachtung geht. Dann stehen sie mit allen anderen in einer Reihe. | |
Waren Sie selbst mal in einem Biostall? | |
Ja. Ich habe für das Video „Das Brüllen der Rinder“ Biotiere und | |
konventionelle Tiere vom Betrieb bis zum Schlachthof im Transporter | |
begleitet. Unterschiede konnte ich da nicht erkennen. | |
Wie sind Sie dazu gekommen, in Ställen zu filmen? | |
Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Mein Vater kam aus der Fleischbranche | |
und hat mit Fleisch- und Fischprodukten gehandelt. Er hat immer mal wieder | |
am Frühstückstisch eklige Geschichten erzählt, als der Begriff | |
Gammelfleisch noch gar nicht öffentlich diskutiert wurde. Ich war | |
neugierig, wie Tierhaltung aussieht, und bin mit dem Fahrrad zu einer | |
Putenfarm gefahren. Dort habe ich mich auf die Zehenspitzen gestellt und | |
die ganzen verletzten Tiere gesehen. Daraufhin habe ich mir einen Camcorder | |
organisiert und kurze Zeit später lief mein erster Film bei Chiemgau TV. | |
Danach habe ich nicht mehr aufgehört. | |
Landwirte müssen sehr darauf achten, keine Keime in die Ställe | |
einzubringen. Und dann latschen Sie mit Straßenschuhen rein? | |
Nein. Tierschützer achten sehr stark auf Hygiene, tragen Schutzkleidung, | |
Atemschutz und desinfizieren die Schuhe. Das wird auch dokumentiert. Es ist | |
eher ein Problem, dass sich manche Landwirte selbst für antiseptisch | |
halten. Auf den versteckten Kameraaufnahmen laufen die ständig mit ihrer | |
Straßenkleidung in den Stall. | |
Haben Sie keine Sorge vor Strafverfolgung? | |
Die Soko Tierschutz hat erst vier Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs | |
bekommen. Die wurden alle eingestellt. Wir nehmen die Verantwortung dieser | |
investigativen Recherchen sehr ernst und gehen nur in die Betriebe, wenn | |
wir ausreichend Hinweise haben. | |
Waren Sie schon in Ställen, in denen Sie nichts gefunden haben? | |
Nein. Die Landwirte behaupten immer, Tierrechtler würden so lange Ställe | |
abklappern, bis sie fündig werden. Das stimmt nicht. Das Recherche-Team der | |
Soko Tierschutz besteht aus fünf Personen, vier davon ehrenamtlich. Wir | |
wären gar nicht in der Lage, irgendwelche Ställe abzuklappern. Unabhängig | |
davon hat aber jeder Nutztierbestand Probleme. Man findet immer kranke und | |
verletzte Tiere oder Antibiotikaeinsatz. Die Ursache ist das System. Unser | |
Ziel ist es, grobe Straftaten und Missstände aufzudecken. | |
Es ist doch normal, dass einzelne Tiere krank sind. Die Hauptsache ist | |
doch, dass der Bauer das kranke Tier separiert und behandelt. | |
Natürlich kann immer mal eins krank werden, aber wir sprechen hier von | |
Babys und Kleinkindern. Wenn die Arthritis und Glasknochen haben, stimmt | |
etwas nicht. Es gibt ja keine alten Tiere in der Tierausbeutungsindustrie. | |
Das sind systematische Probleme. | |
Haben Sie keine Angst, dass Sie nachts auf einen wütenden Landwirt treffen | |
könnten, wenn Sie in einen Stall eindringen? | |
Natürlich habe ich Angst bei solchen Einsätzen. Ich bin schon angegriffen | |
worden. Jemand mit einer Strumpfmaske hat mich mit einer Axt attackiert, | |
ein anderer hat versucht, mich zu überfahren. Früher habe ich viele solche | |
Nachtrecherchen gemacht. Heute halte ich sie allerdings ohnehin für | |
überholt. Wir bei der Soko Tierschutz setzen ganz auf Undercoverrecherchen. | |
Dann sehe ich, wie die Tiere von den Menschen misshandelt werden und nicht | |
nur nachts die verletzten Tiere. Das hat eine höhere Durchschlagskraft in | |
der Öffentlichkeit. | |
Haben Sie schon einmal als Mitarbeiter in einem Schlachthof gearbeitet, um | |
Missstände aufzuzeigen? | |
In einem Schlachthof noch nicht, aber ich habe knapp fünf Monate in einem | |
Tierversuchslabor als Affenpfleger gearbeitet, in einer Legehennenbatterie, | |
in einer Schweinemastanlage und auf einem Fischtrawler. Ich war monatelang | |
als Pelzhändler in China unterwegs, um getarnt Pelzfarmen filmen zu können. | |
Belastet Sie das? | |
Vor allem diese Ohnmacht. Man steht da mit einer versteckten Kamera. Man | |
muss gute Miene zum bösen Spiel machen. Ich stehe in einer Pelzfarm in | |
China, er knüppelt vor mir die Marderhunde zusammen. Die Tiere krümmen sich | |
noch minutenlang am Boden und ich muss dann grinsen, wenn er mir das | |
blutige Fell in die Hand drückt, um mir zu zeigen, was das für eine gute | |
Qualität ist. Da muss man dann schon sehr die Zähne zusammenbeißen. | |
Wie sehen Sie nach den Eindrücken aus Ställen und Schlachthöfen Landwirte? | |
Können Sie sehen, dass die großem wirtschaftlichen Druck unterworfen sind? | |
Ich möchte da zwischen Landwirten und Tierhaltern unterscheiden. Landwirte | |
sind wahnsinnig wichtig. Ich als Veganer bin einer von deren besten Kunden, | |
weil ich bereit bin, sehr viel Geld für hochwertige pflanzliche | |
Lebensmittel zu zahlen. Die Tierhaltung sehe ich in der absoluten Sackgasse | |
angekommen. Die Tierhalter lügen sich selbst in die Tasche. Natürlich sagen | |
die alle „Ja, ich hab meine Viecher lieb“, aber wenn man mit den | |
Tierhaltern spricht, kommt eben doch raus, dass es für die einfach | |
Produktionsmittel sind. | |
20 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Andrea Maestro | |
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