# taz.de -- Tierschutzbund-Chef für neue Abgabe: „Fleisch muss teurer werden… | |
> Wie bringt man Bauern dazu, Tiere besser zu halten? Tierschutzbund-Chef | |
> Thomas Schröder fordert eine Fleischabgabe, um Umbauten zu fördern. | |
Bild: Dieses Schweinesystem! | |
taz: Herr Schröder, um billig Fleisch zu produzieren, werden Schweine auf | |
engstem Raum gehalten, die Ringelschwänze abgeschnitten und männlichen | |
Ferkeln ohne Betäubung die Hoden entfernt. Ist Fleisch zu billig? | |
Thomas Schröder: Ja, Fleisch muss teurer werden, denn der Preisdruck zwingt | |
Bauern, immer mehr Tiere auf engem Raum zu halten und sie | |
[1][beispielsweise durch Amputationen] an das Haltungssystem anzupassen. | |
Luft für Investitionen ins Tierwohl bleibt nicht. Fleisch ist heute auch | |
deshalb so billig, weil die Nebenkosten der Produktion auf die | |
Allgemeinheit umgelegt werden. Selbst der Veganer zahlt damit Umweltschäden | |
wie die Nitratbelastung des Grundwassers durch Gülle. Fleisch muss mehr | |
kosten, damit die Nachfrage und damit auch die Produktion sinkt. | |
Was halten Sie davon, die Mehrwertsteuer für tierische Lebensmittel zu | |
erhöhen? | |
Eine Steuer ist nicht zweckgebunden. Deshalb plädiere ich für eine | |
Fleischabgabe. Das Geld kann zusätzlich zu anderen staatlichen Fördertöpfen | |
eingesetzt werden, um Tierwohl in Ställen zu fördern, zum Beispiel mehr | |
Platz pro Tier. | |
Wie soll die Abgabe funktionieren? | |
Die nötigen Investitionen in das Tierwohl lassen sich berechnen. Das wäre | |
dann die kalkulatorische Größe, so dass der Handel pro Kilo Fleisch einen | |
bestimmten Beitrag abführt. | |
Fleisch solle nicht etwas nur für Besserverdiener sein, wenden | |
CDU-Politiker wie Bundesagrarministerin Julia Klöckner gegen höhere Abgaben | |
ein. Wo bleibt Ihr soziales Gewissen? | |
Jeder muss satt werden, aber es muss nicht jeden Tag Fleisch sein. Das gilt | |
im Übrigen für jede Einkommensschicht. | |
Für Sie wäre es okay, wenn Arme sich weniger Fleisch leisten könnten als | |
Reiche? | |
Nochmals: Fleisch muss teurer werden, wenn wir die Zukunft des ländlichen | |
Raums und unsere Lebensgrundlage sichern wollen. Tun wir das nicht, ist das | |
ein hohes Risiko, das muss man abwägen. Und dann muss Sozialpolitik eine | |
Antwort finden. Wenn es denn in der Tat so gewollt ist, muss eben der | |
Hartz-IV-Satz erhöht werden. | |
Wenn wir weniger Fleisch essen, werden weniger Tiere gehalten und Bauern | |
gehen Einnahmen verloren. Müssten dann noch mehr Höfe aufgeben? | |
Wenn [2][die Landwirte] statt immer mehr Fleisch welches aus einer | |
artgerechteren und regionalen Produktion erzeugen, können sie dafür mehr | |
Geld verlangen. Dann können sie weiterhin ihr Familieneinkommen sichern. | |
Heute müssen sie immer mehr Tiere halten, um überhaupt ihr Einkommen stabil | |
zu halten. Wie will denn ein deutscher Bauer auf Dauer im Weltmarkt gegen | |
die chinesische oder thailändische Produktion bestehen? Das ist nur | |
machbar, wenn immer mehr Tiere immer effizienter und immer billiger | |
gehalten werden. Und das bedeutet in der Regel: Mehr Tiere auf engem Raum. | |
Aber gerade kleinere Betriebe werden einfach nicht das Geld haben, um ihre | |
Ställe tierschutzgerecht umzubauen. Ist es Ihnen egal, wenn die aufgeben? | |
Egal ist mir das tatsächlich nicht. Deswegen dränge ich darauf, dass der | |
Staat diese Umbauten mitfinanziert. Aber ja: Es wird welche geben, die | |
dennoch aufgeben. Mein Vater hatte eine Autowerkstatt, der kriegte | |
regelmäßig neue Umweltauflagen. Und das hatte er zu machen. Da gab es keine | |
Nachfrist von 2 Jahren, wie jetzt beim Verbot der Ferkelkastration ohne | |
Betäubung, um noch mal zu prüfen, ob es eine andere Methode gibt. Die | |
Landwirtschaft muss lernen, dass sie auf Wünsche der Gesellschaft und | |
Gesetze achten muss, sie lebt ja auch von Steuergeldern, Milliarden pro | |
Jahr. Das birgt eine besondere Verantwortung. | |
Sie rufen ja auch zu der „Wir haben es satt“-Demo gegen die Agrarindustrie | |
auf. Viele Landwirte sagen, das sei eine bauernfeindliche Veranstaltung. | |
Das ist keine Anti-Bauern-Demo, sondern eine bauernfreundliche | |
Veranstaltung. Der Teilnehmerkreis geht quer durch die Gesellschaft. Da | |
sind Tierschützer, Umweltschützer und Bauern und Verbraucher dabei. Der | |
Deutsche Bauernverband sollte endlich verstehen, dass es diesen Gruppen bei | |
„Wir haben es satt“ auch darum geht, die Zukunft des landwirtschaftlichen | |
Raumes und damit des Berufsbildes zu sichern. | |
Sie fordern nicht nur eine Fleischabgabe, sondern auch strengere | |
Tierschutzvorschriften. Nutzt Klöckner diese Möglichkeit zu wenig? | |
Ja. Wir haben ein ungenügendes Ordnungsrecht und bisher zum Beispiel weder | |
eine Puten- noch eine Rinderhaltungsverordnung. An Puten wird massenhaft | |
der Schnabel gekürzt, millionenfache Amputationen sind rechtlich toleriert. | |
Frau Klöckner könnte Entwürfe vorlegen, bisher tut sie das nicht. Scharf | |
kritisiere ich, dass sie sich Ende vergangenen Jahres mit an die Spitze der | |
Bewegung gesetzt hat, um das bereits im Tierschutzgesetz vorgesehene Verbot | |
der Kastration von Ferkeln ohne Betäubung nochmals zu verschieben. Dabei | |
musste ja nicht sie, sondern der Bundestag darüber entscheiden. Sie ist ja | |
noch nicht einmal Abgeordnete. Ich halte das für einen taktischen Fehler, | |
sie hat sich auf die Seite der ökonomischen Interessen gestellt. | |
Warum handelt sie so? | |
Wenn Frau Klöckner so könnte, wie sie von Herzen will, wären wir vielleicht | |
nicht weit auseinander. Die Bremse sind die Koalitionsfraktionen, besonders | |
auf Unionsseite. Schon die Vorgänger hatten nicht viele Chancen, sich | |
durchzusetzen, weil in der Unionsfraktion oft alles mit dem Argument der | |
wirtschaftlichen Machbarkeit abgewehrt, mindestens abgeschwächt wird. Da | |
ist die zuständige Vize-Fraktionsvorsitzende Gitta Connemann offenbar | |
federführend, aber die SPD-Spitze macht da mit. | |
Was sind die größten Fehlentscheidungen Klöckners bisher? | |
Sie hat ja von ihrem Vorgänger den Plan übernommen, ein staatliches | |
Tierwohlkennzeichen für Fleisch einzuführen, bei dessen Erzeugung höhere | |
als die gesetzlichen Mindeststandards eingehalten worden sind. Am Anfang | |
ihrer Amtszeit hat sie verkündet, dass das Zeichen möglichst schnell | |
weitverbreitet in den Regalen liegt. Aber wenn schnell Menge am Markt sein | |
soll, dann muss sie im Tierschutz die Ansprüche nach unten schrauben. Denn | |
in so kurzer Zeit – das Zeichen soll bis 2019/20 kommen – können Landwirte | |
gar nicht umstellen. Die Initiative Tierwohl der Branche sagt nun: Frau | |
Klöckner, wenn Sie wollen, dass Fleisch im Regal liegt, dann dürfen Sie | |
nicht zu hohe Anforderungen stellen. Sonst können wir nicht mitmachen. Sie | |
hat sich unnötigerweise einen Zielkonflikt geschaffen, der sie erpressbar | |
gemacht hat. | |
Reichen Ihnen die Kriterien, die Klöckner für ihr Kennzeichen in der | |
Schweinehaltung verlangt? | |
Was jetzt vorliegt, stößt bei uns nicht auf Zufriedenheit. Ein Beispiel: | |
Der Platzbedarf für ein Schwein, der jetzt kommt, ist statt wie | |
vorgeschrieben 0,75 wahrscheinlich 0,85 Quadratmeter – also wirklich | |
marginal über dem Gesetz und aus unserer Sicht untauglich, um die Probleme | |
zu lösen. Unser eigenes Tierschutzlabel verlangt 1,1 Quadratmeter in der | |
Einstiegsstufe. Aber selbst da haben wir schon Schwierigkeiten, dass sich | |
die Tiere nicht gegenseitig in den Schwanz beißen. | |
Haben Sie noch ein Beispiel? | |
Sie hat in ihrem Entwurf vorgeschrieben, dass die Tiere höchstens acht | |
Stunden transportiert werden dürfen. Wir haben mal eine Debatte darüber | |
geführt, dass wir regionale Strukturen brauchen. Von den Ministern Funke | |
über Künast bis Seehofer – alle haben gesagt: Vier Stunden maximal sollten | |
eigentlich das Ziel für den Transportweg zum Schlachthof sein. Jetzt legt | |
sie in ihrem Tierwohlkennzeichen acht Stunden fest. Damit ist praktisch ein | |
gesetztes Ziel, von der Gesellschaft gewünscht, mal eben vom Tisch gezogen | |
worden. | |
Das Land Berlin klagt nun vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die | |
Mindeststandards für die Schweinehaltung in Deutschland. Verstößt die | |
Intensivtierhaltung denn aus Ihrer Sicht gegen das Grundgesetz? | |
Puten werden die Schnäbel gekürzt, die männlichen Tiere können wegen ihres | |
hohen Gewichts teilweise nicht mal einen natürlichen Deckakt durchführen, | |
bei einer Milchkuh halten die Knochen nicht mehr, eine Legehenne besteht am | |
Ende ihrer 12 Monate eigentlich nur noch aus brüchigen Knochen und ein | |
bisschen Federkleid. Das ist nicht mit Artikel 20a des Grundgesetzes zu | |
vereinbaren, wonach der Staat die Tiere schützen muss. Bisher wird all das | |
mit wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt. Die Klage wird dazu führen, | |
dass wir diskutieren, ob das wirklich noch ein vernünftiger Grund ist, | |
Tiere leiden zu lassen. Mindestens den Schweinen wird mehr Platz zum Leben | |
gegeben, das hoffen wir. | |
15 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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