| # taz.de -- Philosophin über Tierrechte: „Will ich dieses Wesen vernichten?�… | |
| > Ob und wie Tiere fühlen, ist umstritten. Friederike Schmitz über | |
| > tierisches Bewusstsein und das Recht, niemandem zu gehören. | |
| Bild: Auf der Weide geschossen, aber trotzdem mit allen seinen Gefühlen ausgel… | |
| taz: Frau Schmitz, wann ist es okay, Tiere zu töten? | |
| Friederike Schmitz: Klare Fälle sind Notwehr und Nothilfe. Auch wenn | |
| wichtige, eigene Interessen auf dem Spiel stehen. Ich baue selber Gemüse | |
| an, bei der Gartenarbeit lässt es sich kaum vermeiden, Insekten zu töten. | |
| Und das ist in Ordnung? | |
| Ich töte keine Fliege, nur weil sie mich nervt. Aber Essen muss ich halt. | |
| Irgendwann wird es zu umständlich: Schnecken kann man wegtragen, aber nicht | |
| alle Blattläuse. Bei den Insekten und Weichtieren ist auch nicht so klar, | |
| ob sie empfindungsfähig sind. Das ist aber das entscheidende Kriterium. | |
| Welche Tiere sind empfindungsfähig? | |
| Eindeutig ist: Wirbeltiere sind empfindungsfähig. | |
| Woran machen Sie das fest? | |
| Diese Tiere sind uns in vielem ähnlich: In ihrer Anatomie, ihrem | |
| Nervensystem und der Schmerzübertragung, auch in ihrem Schmerzverhalten. | |
| Ein Schwein, dass sich am Bein verletzt, erschrickt, schont das Bein und | |
| versucht, der Schmerzursache aus dem Weg zu gehen. Bei so vielen | |
| Ähnlichkeiten auf der körperlichen und Verhaltensebene sollten wir davon | |
| ausgehen, dass Tiere auch ähnlich empfinden. Man sieht es, wenn ein Schwein | |
| oder ein Hund leidet. Das leugnet kaum jemand. Das gilt nicht nur für | |
| offensichtliche Schmerzen, sondern auch für komplexere Gefühle wie Trauer | |
| oder Zuneigung. | |
| Wenn ein Schwein sich verletzt oder eine Kuh sich nicht von ihrem Kalb | |
| trennen möchte: Ist das nicht Instinkt? | |
| So kann man das nennen. Auch bei „instinktivem“ Verhalten kann ich etwas | |
| empfinden: Es leidet trotzdem jemand. Dass sich Mütter um ihre Kinder | |
| kümmern, ist nicht unbedingt eine überlegte Entscheidung, sondern hat viel | |
| mit hormonellen Prozessen zu tun, die man auch mit „Instinkt“ beschreiben | |
| könnte. | |
| Und weil diese Tiere uns ähnlich sind, dürfen wir sie nicht töten? | |
| Das ist kein abstraktes, ethisches Gesetz. Es geht erst einmal darum, was | |
| ich überhaupt will. Will ich dieses Wesen, das mir so ähnlich ist, einfach | |
| vernichten? Ich finde es auch komisch zu sagen, Tiere zu quälen sei | |
| schlecht, aber sie zu töten sei in Ordnung. Ich lösche ein anderes | |
| Bewusstsein komplett aus, nehme dem Tier damit alles. | |
| Haben Tiere ein Bewusstsein? | |
| Da gibt es verschiedene Definitionen. Die einfachste: Es fühlt sich auf | |
| eine bestimmte Weise an, da zu sein. Bewusstsein ist der Unterschied | |
| zwischen „jemand“ und „etwas“. Das ist nicht mit „Selbstbewusstsein�… | |
| absichtlichem Handeln zu verwechseln. Mit einem einfachen Bewusstsein kann | |
| ich mich und die Welt wahrnehmen – auch ohne Absicht. | |
| Aber das können wir nicht messen … | |
| Das gilt für unsere Mitmenschen genauso wie für Tiere: Wir können das | |
| Gehirn ausmessen oder die Signale darin messen. Aber das Bewusstsein selbst | |
| können wir so nicht erfassen. Es zu leugnen, nur weil wir es nicht mit | |
| solchen Methoden feststellen können, wäre absurd. | |
| Sie sprechen von „anderen Tieren“… | |
| Menschen sind biologisch Säugetiere. Wir haben wichtige Ähnlichkeiten zu | |
| anderen Tieren – was nicht heißt, dass es keine Unterschiede gäbe. Eine | |
| klare Linie zieht der Mensch aber immer dann, wenn er eine moralische | |
| Überlegenheit feststellen will. | |
| Sind wir nicht moralisch überlegen? | |
| Auch Tiere zeigen Verhalten, das wir mit moralischen Begriffen beschreiben | |
| können: Altruismus oder Empathie, etwa. Ein ausgeprägtes Verständnis von | |
| Moral haben tatsächlich nur gesunde, erwachsene Menschen: Ich denke darüber | |
| nach, wie ich handeln sollte, kann Prinzipien aufstellen und danach | |
| handeln. Aber warum sollten Wesen mit Moralverständnis mehr wert sein als | |
| Wesen ohne? Viel wichtiger ist, ob jemand leiden kann und ich ihm Schaden | |
| zufüge. Säuglinge oder Menschen, denen bestimmte geistige Fähigkeiten | |
| fehlen, denken auch nicht darüber nach, nach welchen Prinzipien sie handeln | |
| sollten. Trotzdem zählen sie nicht weniger als gesunde, erwachsene | |
| Menschen. | |
| Was, wenn wir Tiere so töten, dass sie nichts davon mitbekommen? | |
| Ich lösche ein Wesen aus, das nach allem, was ich weiß, nicht sterben | |
| möchte. Wir merken doch, dass Tiere gerne leben, wenn sie zum Beispiel | |
| herumrennen oder ihre Kinder versorgen. Tötet man das Tier, auch | |
| überraschend, nimmt man ihm die ganze Zukunft. Auch da sehe ich keinen | |
| großen Unterschied zu Menschen: Einen Menschen zu töten ist natürlich auch | |
| dann falsch, wenn er es nicht kommen sieht. | |
| Wissen Tiere, das es eine Zukunft gibt? | |
| Ein Hund freut sich, wenn der Mensch nach Hause kommt – auch schon, wenn er | |
| das Auto hört und der Mensch noch gar nicht da ist. Ein Bezug auf die | |
| unmittelbare Zukunft ist da. Und selbst wenn nicht, wäre das kein Grund, | |
| Tieren die Zukunft wegzunehmen. | |
| Also ist es falsch, sich für bessere Tierhaltung und andere Tötungsmethoden | |
| einzusetzen? | |
| Das kommt auf das Ziel an. Für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der wir | |
| Tiere zwar besser, aber immer noch töten, finde ich nicht ausreichend. Wir | |
| müssen auf eine gerechte Gesellschaft hinarbeiten, in der wir Tiere nicht | |
| mehr ohne Not töten oder ausbeuten. Solange das noch passiert, möchte ich | |
| natürlich auch, dass die Tiere, die jetzt grausam sterben, weniger leiden. | |
| Aber ich frage mich, wie sinnvoll es ist, Energie in solche Reformkampagnen | |
| zu stecken. Man läuft damit auch Gefahr, das bestehende System zu | |
| legitimieren und zu stabilisieren. Wir müssen über den Abbau und das Ende | |
| der Tierhaltung, nicht über die Reform von Tötungsmethoden sprechen. | |
| Wie stellen Sie sich das vor? | |
| Statt Programme für artgerechte Tierhaltung oder bessere Tötung zu fördern, | |
| sollte die Politik Bäuer*innen unterstützen, die aus der Tierhaltung | |
| aussteigen wollen. Wir brauchen eine Ernährungsumstellung hin zu | |
| pflanzlicher Ernährung und eine entsprechende Veränderung in der | |
| Landwirtschaft. Das wird nicht ausschließlich über den Markt oder den | |
| Konsum geschehen. | |
| Sondern? | |
| Natürlich kann ich vegan, ökologisch und regional einkaufen – aber damit | |
| werde ich nicht die Agrarindustrie umkrempeln. Momentan essen Menschen so | |
| viel Fleisch, weil die Industrie es unter brutalen Bedingungen herstellt, | |
| es deshalb billig verfügbar ist, beworben wird und die Politik das auch | |
| noch unterstützt. Nur mit größerem Druck aus der Gesellschaft, mit Protest | |
| und Widerstand können wir die Politik dazu bringen, diese Rahmenbedingungen | |
| zu ändern. Das ist auch in Anbetracht der dramatischen Klimakrise dringend | |
| nötig. | |
| Genau wie ein Löwe eine Gazelle tötet, haben Menschen sich die Fähigkeit | |
| angeeignet, Tiere zu töten. Wieso sollten wir jetzt damit aufhören? | |
| Die Natur ist grausam, zu Mensch und Tier. Sonst nehmen wir uns daran kein | |
| Vorbild: Wir achten die Rechte von anderen und streben eine gerechte | |
| Gesellschaft an – das hat mit Naturbedingungen nichts zu tun. Der Löwe hat | |
| keine andere Wahl, als die Gazelle zu töten, und kann nicht darüber | |
| nachdenken, ob er lieber etwas anderes essen würde. Wir haben ein | |
| Moralverständnis und sollten deshalb Tiere, die das nicht haben, | |
| entsprechend behandeln. | |
| Demnach stehen wir doch irgendwie über Tieren … | |
| Nein, aus unserer Moralfähigkeit folgt das nicht – wir haben damit einfach | |
| eine Fähigkeit, die sie nicht haben. Ich kann mir allerdings schon eine | |
| gewisse Abstufung zwischen Menschen und anderen Tieren, vielleicht je nach | |
| Komplexität und Ausprägung der Empfindungsfähigkeit und des Bewusstseins | |
| vorstellen. Dann könnte man sagen, dass bei echten Interessenkonflikten die | |
| Menschen doch mehr zählen als Schweine und Hunde. Da kommt man rein | |
| intuitiv gar nicht herum: Man hat mehr Schuldgefühle, wenn man einen | |
| Menschen überfährt, als eine Maus. | |
| Stellen wir das menschliche Interesse, Fleisch zu essen, dem Interesse des | |
| Tiers, weiterzuleben, gegenüber. | |
| Selbst wenn der Mensch im Notfall mehr Wert ist, heißt das lange nicht, | |
| dass ich den Hund töten kann, nur weil er lecker oder lästig ist. | |
| Tierbefreiung funktioniert auch ohne Egalitarismus. Einigen | |
| Tierethiker*innen zufolge sollten Haus- und Nutztiere in der besseren | |
| Gesellschaft Bürgerrechte haben. Dann dürfte man sie nicht einfach töten. | |
| Welche Existenzberechtigung haben Nutztiere ohne die Fleischindustrie? | |
| Die Individuen haben als empfindungsfähige Wesen eine Existenzberechtigung. | |
| Es stimmt: Würden wir sie nicht mehr künstlich vermehren und für unsere | |
| Zwecke züchten, würde die Zahl der Tiere drastisch sinken. Darin sehe ich | |
| kein Problem. Das Aussterben einer Tierart tut keinem individuellen Tier | |
| weh. Im Gegenteil: Arten, die wir für die Mast gezüchtet haben, leiden so | |
| sehr, dass das sicher kein Verlust wäre. | |
| Wir schützen doch auch Sprachen vorm Aussterben. | |
| Es mag schade sein, wenn alte Nutztierrassen aussterben. Die sind auch ein | |
| Teil menschlicher Kultur. Wenn ich aber diesen Wert nur erhalte, indem ich | |
| Individuen ausbeute und töte, dann nehme ich lieber den Verlust in Kauf. | |
| Manche Tierethiker*innen argumentieren so: Weil Nutztiere immer abhängig | |
| vom Menschen bleiben, sollte es sie gar nicht mehr geben. Praktisch hieße | |
| das auch, dass wir sie an der Fortpflanzung hindern sollten, indem wir sie | |
| kastrieren und sterilisieren. Das wäre wieder ein Eingriff in die Freiheit | |
| des Tieres. Wir könnten auch einfach aufhören, diese Tiere zu vermehren – | |
| und zulassen, dass sie sich aus eigenem Entschluss fortpflanzen, zumindest | |
| in dem Maße, wie wir die Tiere dann auch gut versorgen könnten. | |
| Können wir Tieren die gleichen Rechte zusprechen wie Menschen? | |
| Tiere brauchen nicht die komplizierten Rechte, die Menschen haben – eine | |
| Religion ausüben oder heiraten zu dürfen, etwa. Was sie brauchen, ist klar | |
| genug: Sie zeigen uns, dass sie nicht verletzt werden und nicht von ihrer | |
| Familie getrennt werden wollen. Daran können wir schon basale Rechte | |
| festmachen. Schwieriger ist die Frage, ob wir gegenüber Tieren auch eine | |
| Pflicht zur Hilfeleistung haben wie gegenüber Menschen. | |
| Und, wie ist es? | |
| Das sind alles noch ethische Diskussionen. Viele Tierrechtler*innen wollen | |
| ja Tierrechte auch gesetzlich verankern. Ich frage mich, ob wir in der | |
| idealen Gesellschaft überhaupt noch unser Zusammenleben mit Gesetzen und | |
| Strafen regeln würden. Das zentrale Problem für Tiere heute ist ihr Status | |
| in der aktuellen Wirtschaft. Tiere gelten als Sachen, als handelbare Waren, | |
| mit deren Ausbeutung man Profit machen kann. Das zu ändern, wäre der | |
| entscheidende Schritt. Gar nicht mal, dass sie ein gesetzlich verankertes | |
| Recht auf Leben brauchen – das erste Grundrecht wäre, kein Eigentum zu | |
| sein. | |
| 27 Mar 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Carlotta Hartmann | |
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