# taz.de -- Tiere töten: Schuss aus heiterem Himmel | |
> Bauer Klaus Seebürger schießt seine Tiere auf dem Feld. Er ist überzeugt: | |
> So bedeutet der Tod für sie am wenigsten Stress. | |
Bild: Der Bauer legt an, der Ochse weiß von nichts | |
Leisterförde taz | Durch den matschigen Boden ziehen sich Treckerspuren, | |
dazwischen sind tiefe Hufabdrücke zu sehen. In einem Pferch steht ein | |
einsamer Ochse und vergräbt die Nase im Heu. Er dreht den Kopf nach links, | |
nach rechts und schaut dann hoch zu dem Menschen, dem er vertraut. Erst | |
gestern hat Klaus Seebürger das Tier von der Weide, auf der es aufgewachsen | |
ist, in diesen Pferch geführt. Seebürger steht auf einer Pyramide aus | |
Heuballen, den Blick auf den Ochsen gerichtet. In den Händen hält er ein | |
Jagdgewehr. Plötzlich gibt es einen lauten Knall und das Tier sackt in sich | |
zusammen. | |
Kurz ist alles ganz still. Dann springt der Bauer von dem Heuballen und | |
läuft, das Gewehr noch in der Hand, zum Pferch. Zwei weitere Männer kommen | |
dazu und helfen ihm, das Tor zu öffnen. Der Ochse zuckt, als wollte er | |
aufstehen. Einer der Männer kontrolliert die Augen. „Der ist tot“, | |
versichert er. | |
Keine halbe Minute nach dem Schuss hängt das 600-Kilo schwere Tier kopfüber | |
an einer Baggerschaufel. Es sieht fast noch größer aus als kurz zuvor im | |
Stehen. Aus einem langen Schlitz von der Brust bis zum Hals läuft | |
literweise Blut in eine Wanne, die die Männer darunterhalten. | |
60 Sekunden dürfen zwischen dem Schuss und dem Beginn der Entblutung | |
vergehen: So viel wie auf einem Schlachthof zwischen dem betäubenden | |
Bolzenschuss und dem Moment, in dem der Schlachter mit einem Messer die | |
beiden Halsschlagadern durchtrennt oder dem Tier in die Brust sticht. Auf | |
konventionellen Schlachthöfen ist das Akkordarbeit: Die nächsten Tiere | |
warten draußen, während die anderen noch verbluten. | |
## Alle zwei Wochen ein Rind | |
Klaus Seebürger erschießt etwa alle zwei Wochen ein Rind. Der Kugelschuss | |
soll das Tier gleichzeitig betäuben und töten. Davor ist er sichtlich | |
angespannt: Er spricht kaum, klettert hektisch auf die Heuballen, als wolle | |
er den Schuss bloß hinter sich bringen. Mit dem Gewehr auf den Ochsen | |
gerichtet wird er ganz ruhig. Obwohl hinterher alles schnell gehen muss, | |
wirkt Seebürger gefasst, als er mit anpackt, um das tote Tier an den Bagger | |
zu hängen. Stumm wischt er sich mit Stroh das Blut von den Händen und | |
schaut dem Frontlader hinterher, mit dem sein Sohn, das Tier in der | |
Baggerschaufel, zum Schlachthof fährt. | |
Erst jetzt kommt der Landwirt ins Erzählen. Er deutet auf eine Gruppe | |
schwarzer Rinder mit majestätisch geschwungenen Hörnern, die etwa fünfzig | |
Meter von dem kleinen Gatter, in dem gerade ein Ochse gestorben ist, | |
friedlich grasen. Auerochsen seien eigentlich im 17. Jahrhundert | |
ausgestorben, sagt Seebürger. Seit den 20er-Jahren gebe es Versuche einer | |
Rückzüchtung. „Das sind wilde Tiere.“ Die bekomme man kaum von der Herde | |
getrennt, geschweige denn ohne großen Stress zum Schlachter. | |
Limousin-Rinder wie den Ochsen, den er gerade eben geschossen hat, sind für | |
ihre Ruhe und Ausgeglichenheit bekannt – und für ihr saftiges Fleisch. In | |
der Niedersächsischen Elbtalaue, nahe der innerdeutschen Grenze, hält | |
Seebürger seine 800 Rinder auf über 1.000 Hektar Land. Die Tiere leben | |
ganzjährig im Freien. „Du schaust dem Tier in die Augen und musst | |
abdrücken“, sagt Seebürger. „Schön ist das nicht.“ | |
Der Ochse, den Seebürger gerade geschossen hat, ist schon verkauft. Auf | |
einer Website ist er zum „Teilen“ ausgeschrieben. Kund*innen können Pakete | |
mit Steaks, Würstchen und Hack bestellen. Auch besondere Teile wie Zunge, | |
Herz und Hörner stehen zum Verkauf. | |
Der Mann, der die Website betreibt, steht im Matsch neben dem Pferch und | |
heißt Arne Bläsing. Während des Schusses hält er sich die Ohren zu. Seit | |
2017 verkauft Bläsing mit seinem Unternehmen „Elbwild“ Fleisch aus dem | |
Norden in ganz Deutschland: zunächst Wild, das er und befreundete Jäger | |
selbst erlegt hatten, seit einem Jahr auch Seebürgers Rinder. | |
Erst wenn ein Tier ganz verkauft ist, melden Seebürger und Bläsing den | |
Schuss an: Jedes Mal muss das zuständige Veterinäramt das genehmigen. Ein*e | |
Tierärzt*in macht vor der Tötung die Lebendbeschau, stellt vor Ort sicher, | |
dass Schuss und Entblutung rechtmäßig verlaufen und kontrolliert später | |
das Fleisch. | |
## Bei jedem Schuss dabei | |
Bläsing ist bei jedem Schuss dabei. Ihm ist wichtig zu wissen, wo das | |
Fleisch herkommt. Die Pakete fährt er in Hamburg und Umgebung selbst aus. | |
„Wir verwerten geschätzt 95 Prozent des Tiers“, sagt Bläsing. Die | |
Catering-Firma „Alsterfood“, die Schulen und Krankenhäuser mit regionalem | |
Essen beliefert, macht aus den Knochen Suppe. Zunge und Herz friert Bläsing | |
ein, um sie für Kund*innen bereitzuhalten, die genau danach fragen. | |
„Wir haben eine Verantwortung für die Tiere, auch im Tod“, sagt Bläsing. … | |
sie zu töten käme nur der Kugelschuss infrage, weil er sie vor jedem Stress | |
bewahren möchte. Deshalb können Seebürger und er manchmal gar nicht | |
schießen: Wenn es stürmt und die Rinder unruhig sind, sollen sie nicht | |
sterben. Auch wenn sich kein Tier von der Herde trennen lässt, warten sie | |
noch einen Tag ab. „Die anderen grasen unbeirrt weiter, wenn neben ihnen | |
ein Tier zusammenbricht“, sagt er. Zu hoch sei aber die Gefahr, dass der | |
Schuss daneben geht und andere Tiere – womöglich unbemerkt – an den | |
Verletzungen sterben. | |
Weil die Landkreise die Anträge einzeln bearbeiten gibt es keine | |
offiziellen Zahlen dazu, wie viele Bäuer*innen diesen Weg gehen, um ihren | |
Tieren Stress zu ersparen. Das Landwirtschaftliche Bildungszentrum im | |
Niedersächsischen Echem bietet einen der wenigen Kurse für den Kugelschuss | |
an. Zwei bis drei Mal im Jahr machen dort etwa dreißig Bäuer*innen den | |
entsprechenden Lehrgang. | |
„Gegen den Preis von Fleisch aus Massentierhaltung kommt das nicht an“, | |
sagt Bläsing. Ein Kilo „Elbwild“-Rindfleisch kostet 28 Euro. Aldis „Bio | |
Rinder-Gulasch“ gibt es für knappe zwölf Euro das Kilo. | |
## Verteidigung des Schlachthofs | |
Jemand, der den Kugelschuss kritisch betrachtet, ist Martin von | |
Wenzlawowicz, Tierarzt und Mitbegründer der Tierschutz-Beratungsstelle „bsi | |
Schwarzenbek“ bei Hamburg. „Wir schlachten in Deutschland dreieinhalb | |
Millionen Rinder im Jahr. Die können wir nicht alle auf der Weide | |
erschießen“, sagt von Wenzlawowicz. Es gebe Ämter, die den Kugelschuss gar | |
nicht erlauben, weil sie nicht das Personal hätten, um bei jedem Schuss | |
dabei zu sein, oder zu viele schlechte Erfahrungen damit gemacht hätten. | |
„Wenn der Schuss nicht sitzt, ist das nicht besser als ein Tod auf dem | |
Schlachthof.“ | |
Überhaupt sei der Schuss nur berechtigt, wenn es nicht anders ginge, sagt | |
von Wenzlawowicz. Rinder seien eigentlich Haustiere und könnten sich, | |
selbst wenn sie das ganze Jahr im Freien leben, an Menschen gewöhnen. Damit | |
würde der Stress vermindert, den der Schlachthof für die Tiere bedeute. | |
Wenn er vernünftig durchgeführt würde, sei der Bolzenschuss auf dem | |
Schlachthof genauso sicher wie der Kugelschuss auf der Weide. | |
„Würden wir sie nicht züchten, gäbe es die Tiere nicht mehr“, sagt Bauer | |
Seebürger und deutet auf die Auerochsen, die sich im kalten Wind eng | |
aneinander schmiegen. Tatsächlich machen die Rinder, die er selbst schießt, | |
nur einen kleinen Teil der Tiere aus, die er verkauft. Die anderen muss er | |
auf Bio-Schlachthöfen töten lassen – mit Bolzenschuss und Entblutung. Zum | |
Selberschießen sind es einfach zu viele. | |
Bläsing ist als passionierter Jäger fast täglich im Wald – den Schuss auf | |
der Weide überlässt er aber lieber Seebürger. Auch ihm fällt es schwer, dem | |
Tier in die Augen zu schauen. „Vor dem Schuss auf der Weide versuche ich | |
mich zu drücken“, sagt Bläsing. Er möchte „Elbwild“ zum Sommer hin | |
vergrößern und Seebürger mehr Rinder abkaufen, die dann nicht auf dem | |
Schlachthof sterben müssen. | |
Der Ochse, der vor einer Stunde gestorben ist, hängt längst im | |
Schlachtbetrieb. Dort häutet ein*e Schlachter*in das Tier, entnimmt die | |
Eingeweide, viertelt es und bringt den Kadaver ins Kühlhaus. Etwa zwei | |
Wochen lang wird das Fleisch dort reifen, bevor es als „Dry-Aged-Beef“ | |
seinen Weg zu den Kund*innen findet. Vom Ochsen bleiben eine blutgetränkte | |
Mulde im Stroh und die letzten, matschigen Hufabdrücke. | |
26 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Carlotta Hartmann | |
## TAGS | |
Schlachthof | |
Tierethik | |
Fleischindustrie | |
Schlachthof | |
Landwirtschaft | |
Tierschutz-Label | |
Schlachthof | |
Schlachthof | |
Tierquälerei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Weideschlachtung statt Schlachthof: Nur ein Ablenkungsmanöver | |
Industrielle Schlachthöfe stehen in der Kritik, Weideschlachtung gilt als | |
angesagte Lösung. Das Problem ist: In der Praxis spielt sie keine Rolle. | |
Philosophin über Tierrechte: „Will ich dieses Wesen vernichten?“ | |
Ob und wie Tiere fühlen, ist umstritten. Friederike Schmitz über tierisches | |
Bewusstsein und das Recht, niemandem zu gehören. | |
Ethisch vertretbarer Fleischkonsum: Schöner töten | |
Tierwohllabel sollen verhindern, dass Nutztiere im Stall leiden. Einen | |
qualvollen Tod im Schlachthof kennzeichnen sie aber nicht. | |
Überwachung im Schlachthof: Mit Kameras gegen die Qual | |
Ermittlungen im Fall Bad Iburg beziehen sich nicht auf Landwirte und | |
Transporteure. Ministerin will neue Skandale mit Kameras verhindern. | |
Kommentar Tierschützer kriminalisiert: Den Boten zum Bösen gemacht | |
Der niedersächsische CDU-Chef Bernd Althusmann bezeichnet Tierschützer als | |
kriminelle Einbrecher. Dabei sollte er ihnen dankbar sein. | |
Videos zeigen Tierquälerei: Skandalserie in Schlachthäusern | |
Aktivisten decken in mehreren Betrieben Tierquälerei auf. Die Überwachung | |
der Schlachter sei keine Lösung. Es helfe nur, auf Fleisch zu verzichten. |