# taz.de -- Weideschlachtung statt Schlachthof: Nur ein Ablenkungsmanöver | |
> Industrielle Schlachthöfe stehen in der Kritik, Weideschlachtung gilt als | |
> angesagte Lösung. Das Problem ist: In der Praxis spielt sie keine Rolle. | |
Bild: Noch ein seltener Anblick: Ein Landwirt schießt auf Tiere auf seiner Wei… | |
Osnabrück taz | Schnitzel, Bratwurst, Frikadelle: Deutsche essen gern | |
Fleisch. Rein rechnerisch rund 60 Kilo pro Person im Jahr. Rund eine | |
Dreiviertelmilliarde Tiere lässt dafür ihr Leben. Eines der Probleme, die | |
dieser Konsum mit sich bringt, ist der Transport der Tiere. Industrielle | |
Großschlachter wie Tönnies haben traditionelle, regionale Schlachtereien | |
verdrängt. Daher sind die Wege vom Hof bis zur Tötung oft lang. Lange Wege | |
aber bedeuten Stress für die Tiere. Und dass die Transporteure sie dabei | |
brutal misshandeln, ist kein Einzelfall. | |
Rund 100 Gerichtsverfahren umfasst derzeit allein die Aufarbeitung der | |
Vorgänge um den stillgelegten Schlachthof Temme im niedersächsischen Bad | |
Iburg bei Osnabrück. Vom „größten Tierschutz- und Schlachtskandal der | |
deutschen Geschichte“ spricht Friedrich Mülln, Kopf der Münchner | |
Tierrechtsorganisation „Soko Tierschutz“, von einem „kriminellen Netzwerk… | |
von „Horror“. Seine Soko hat die Missstände aufgedeckt, sieht in ihnen ein | |
„grauenhaftes Beispiel dafür, wie weit Menschen gehen, um Profit aus Tieren | |
zu schlagen – wortwörtlich“. | |
Es sind Taten wie diese, vor deren Hintergrund sich die Entschließung des | |
Bundesrats vom Juni 2020, die Weideschlachtung zu erweitern, wie eine | |
Erlösung anhört. Die Bundesregierung möge „die nationalen | |
Ausnahmeregelungen erweitern“. Weidehalter sollen so auch Rinder und | |
Schweine vor Ort schlachten dürfen, die nur saisonal im Freien leben, nicht | |
nur, wie bisher, Rinder, die ganzjährig draußen stehen. | |
Weideschlachtung ist derzeit ein politisches Modewort: Schneller, | |
stressfreier Tod in vertrauter Umgebung. Stärkung der bäuerlichen | |
Kleinlandwirtschaft, der handwerklichen Verarbeitung; bessere | |
Fleischqualität; keine Verletzungen durch Einfangversuche auf der Weide, | |
durch die Fahrt im Lkw zum Schlachthof. Gewehrkugel oder Bolzen schlägt | |
ein, Herde grast weiter, fertig. Aber eine wirkliche Rückenstärkung für den | |
Tierschutz ist das nicht. | |
„Weideschlachtung erfüllt jetzt, wofür Bio vor ein paar Jahren genutzt | |
wurde“, sagt Friedrich Mülln. Sie sei „eine Ausrede und Ablenkung von der | |
99,99 Prozent Massentierhaltung und Quälerei, ohne jemals relevant für die | |
Tierproduktion zu sein“. Zudem sei die Überwachung bei einer immer | |
stärkeren Zergliederung der Tiertötungen unmöglich und öffne „neuen | |
Problemen Tür und Tor“. Sein bitteres Fazit: Die Forcierung eines so | |
marginalen Themas zeige, dass man nur davon ablenken wolle, „dass man im | |
Kampf gegen die Massentierhaltung versagt hat“. | |
Dass Weideschlachtung ein Phänomen der sehr kleinen Zahl ist, illustriert | |
ein Blick auf Niedersachsen, deutschlandweit führend in der | |
landwirtschaftlichen Nutztierhaltung. Von 2015 bis 2020 wurden hier in 75 | |
Betrieben 1.002 Tiere in Weideschlachtung getötet. Zum Vergleich: 2020 | |
wurden hier pro Monat allein bis zu 1,6 Millionen Schweine geschlachtet. | |
Niedersachsen hat im Bundesrat für die Erweiterung der Weideschlachtung | |
gestimmt. Aber als Dana Guth (damals noch AfD) im August 2020 im Landtag in | |
Hannover wissen wollte, wie viele niedersächsische Viehhaltungsbetriebe | |
Weideschlachtungen durchführen würden, war die Antwort des | |
Landwirtschaftsministerium: 30 hätten „Interesse“ bekundet, aus 13 | |
Landkreisen. Nicht viel. | |
Wer in Niedersachsen Weideschlachtung betreibt? Sogar Wolfgang Ehrecke, | |
Sprecher der Landwirtschaftskammer Niedersachsen in Oldenburg, muss auf | |
taz-Anfrage passen: „Die zwei Fachkollegen, die ich dazu befragen konnte“, | |
bedauert er, „hatten leider keine Kontakte zu Betrieben auf Lager.“ | |
Auch die Landtagsfraktionen der niedersächsischen SPD und der CDU springen | |
auf das Thema auf. Mitte Januar haben sie dazu einen gemeinsamen | |
Entschließungsantrag eingebracht. Durch „zahlreiche tierschutz- und | |
arbeitsrechtliche Verstöße in der jüngsten Vergangenheit“ schwinde „die | |
gesellschaftliche Akzeptanz für das zentrale System ‚Schlachthof‘“. Auch | |
von einem „hohen ethischen Anspruch und Respekt vor dem Tier“ ist da die | |
Rede, man wolle Angst und Leid „in den letzten Stunden“ ersparen. | |
Klingt natürlich gut. Und in Weideschlachtung getötete Tiere haben es | |
definitiv besser als andere. Schon allein deshalb, weil sie überhaupt eine | |
Weide haben. Aber daran, dass sie zum Verzehr getötet werden, ändert das | |
nichts, nur am Wo und Wie. | |
Für die beim Asta der Universität Osnabrück angesiedelte | |
„Tierrechtsinitiative Osnabrück“, der Horrorschlachthof Temme ist keine | |
halbe Autostunde entfernt, ist die Sache klar: „Tiere werden in jedem | |
Szenario, das die Produktion tierischer Erzeugnisse zum Ziel hat, nur als | |
Ware gesehen und speziell dafür gezüchtet, gemästet und getötet. Daran | |
ändert die Haltungsform grundsätzlich nichts.“ Die Weidehaltung und | |
-schlachtung sei allerdings „das kleinere Übel“. | |
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) habe den | |
Bundesratsbeschluss „im Grundsatz begrüßt“, sagt eine Sprecherin des BMEL. | |
Da es zu dieser Zeit bereits Diskussionen zu einer EU-weiten Lösung gegeben | |
habe, habe das BMEL dieser jedoch „den Vorzug gegenüber nationalen | |
Regelungen gegeben“. Resultat war der Entwurf einer Delegierten-Verordnung | |
der EU-Kommission. Er sehe unter anderem „die Nutzung einer mobilen Einheit | |
als Teil eines zugelassenen Schlachtbetriebes“ vor, sagt Sabine | |
Hildebrandt, Sprecherin des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, | |
Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Entschieden ist aber noch nichts. | |
Filiz Polat, Grünen-Bundestagsabgeordnete aus dem Landkreis Osnabrück, | |
kritisiert die Bundesregierung für ihr Nichtstun. Sie fordert eine | |
einheitliche Regulierung für Weideschlachtung, mobile Schlachtung und | |
hofnahe Schlachtung: „Die Genehmigung der teilmobilen Schlachtung und der | |
Weideschlachtung innerhalb der Bundesländer und innerhalb der Landkreise | |
eines Bundeslandes ist an unterschiedliche Auflagen gebunden. Die Lockerung | |
und Anpassung behördlicher Auflagen ist daher zentral für die | |
Weiterentwicklung von Systemen für das Schlachten im Haltungsbetrieb.“ | |
Das wird, wie immer die EU, Deutschland und die Bundesländer auch | |
entscheiden, eine Ausnahme bleiben. Reduziert sich unser Fleischkonsum | |
nicht drastisch, ist er allein aus Weideschlachtung nicht zu decken. | |
Immerhin: Investitionen, die der mobilen Schlachtung dienen, sind | |
förderfähig. Landwirte mit dem Gewehr auf dem Weg zu Weide? Vielleicht bald | |
ein vertrauterer Anblick. | |
26 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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