# taz.de -- Niedersachsens Agrarministerin über Tierschutz: „Es ändert sich… | |
> Tierschutz liegt ihr am Herzen, sagt Barbara Otte-Kinast, aber die | |
> Gesetze müssen andere liefern. Ein Gespräch über Tiertransporte und | |
> Kontrollmängel. | |
Bild: Wurstig: Zuständig sind in jedem Fall die anderen, sagt Barbara Otte-Kin… | |
taz: Frau Ministerin, gerade hat das Verwaltungsgericht Oldenburg Ihren | |
Erlass gekippt. 270 trächtige Rinder werden nun [1][doch die Reise von | |
Aurich nach Marokko antreten], obwohl Sie das verhindern wollten. Was sagen | |
Sie dazu? | |
Barbara Otte-Kinast: Ich bedauere das sehr. Unsere Juristin ist noch dabei, | |
die Begründung zu prüfen, dann werden wir uns weitere Schritte überlegen. | |
Mir persönlich hat das einmal wieder gezeigt, dass ich da als | |
Landesministerin leider an meine Grenzen stoße, das ist ein Thema, das auf | |
Bundes- und EU-Ebene bearbeitet werden muss. | |
Wie kann es denn sein, dass Bayern in der Lage ist, sich hinzustellen und | |
zu sagen: [2][Wir haben hier eine schwarze Liste,] Transporte in diese | |
Länder fertigen wir nicht mehr ab – aber Niedersachsen kann das nicht? | |
Fakt ist, dass das auf der Basis des jetzigen Rechtsrahmens kein Bundesland | |
kann, auch Bayern nicht. Über die Liste der Drittländer und die notwendigen | |
strengen Kontrollen gibt es eigentlich große Einigkeit zwischen den | |
Bundesländern. Fakt ist aber auch, dass solche Transporte aktuell nur in | |
Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Niedersachsen angemeldet werden. Das | |
sieht man auch bei dieser Klage: Unser Bauchgefühl sagt, Marokko ist kein | |
sicheres Land für unsere niedersächsischen Milchkühe. Da ist der Tierschutz | |
nicht gewährleistet. Das Gefühl reicht aber nicht, wir brauchen national | |
und auf EU-Ebene eine Liste der Länder, in die keine Lebendtiertransporte | |
erfolgen dürfen. | |
Und Bayern braucht die nicht? | |
In Bayern werden bei den Behörden keine Transporte mehr angemeldet, Liste | |
hin oder her. Aber die bayerischen Behörden stellen weiter die sogenannten | |
Vorlaufattestate aus, mit denen Tiere über andere Länder dann doch in diese | |
Drittländer gelangen. Ich bin zuversichtlich, dass wir dieses innerdeutsche | |
Verlagern der Verantwortung künftig unterbinden können. In diesem aktuellen | |
Fall haben wir versucht, den Transport nach Marokko per Erlass zu | |
unterbinden. Nun haben wir vor Gericht im Eilverfahren verloren. Für mich | |
ist das Verfahren aber nicht abgeschlossen. Wir brauchen hier eine | |
obergerichtliche Entscheidung. | |
Abgesehen davon gibt es immer wieder die Kritik, das der Rechtsrahmen nicht | |
ausgeschöpft wird. Also dass die Veterinäre durchaus Möglichkeiten hätten, | |
strenger zu kontrollieren. | |
Aber auch das ist ja ein Rechtsrahmen, der durch die EU vorgegeben ist. | |
Außerhalb Niedersachsens habe ich doch gar keine Handhabe. Aktuell läuft es | |
so: Wir prüfen auf Plausibilität. Schauen ins Fahrtenbuch, sind genügend | |
Fahrer vorhanden, wo wird abgeladen und wie lange, wie sind die Fahrzeuge | |
ausgestattet. Die heutigen Transporter sind meist – das war auch in diesem | |
Fall so – europäische Transportfahrzeuge mit europäischen Fahrern, mit | |
GPS-System. Da hat sich enorm was getan in der Branche: Mittlerweile können | |
Sie über eine App den Transport vom Start bis zum Ziel verfolgen. Zielort | |
ist dann letztlich ein Hafen in Marokko. Wie die Tiere von dort weiter | |
verteilt werden – das entzieht sich meiner Kontrolle. | |
Aber es ist doch ein offenes Geheimnis, dass viele Tiere nur als Zuchttiere | |
deklariert werden, weil der Export anders nicht genehmigt wird. Dabei sind | |
hiesige Rassen für eine Zucht gar nicht gut genug an die Bedingungen dort | |
angepasst. | |
Genau diese Fragen beschäftigen mich sehr. Unsere Holstein-Schwarzbunt-Kühe | |
kann ich mir bei den Bedingungen in der Wüste und dem Futter auch schlecht | |
vorstellen. Andererseits muss man sagen: Wenn ein Tier im dritten Monat | |
tragend ist, muss man erst einmal von einem Zuchttier ausgehen. So ein Tier | |
kostet ja auch mehr als ein Schlachttier, das wird für den Transport | |
versichert und all diese Dinge. Das würde sich nicht lohnen, wenn man | |
vorhat, es sofort zu schlachten. Das wird schon erst einmal kalben und | |
gemolken werden. Fraglich ist aus unserer Sicht aber, ob die Haltung dann | |
gut genug ist, um die Tiere über einen längeren Zeitraum gesund und | |
fruchtbar zu erhalten. | |
Bei den Mengen, die da exportiert werden, fragt man sich, wann der | |
Herdenaufbau dann einmal abgeschlossen ist. | |
Genau, daran haben wir große Zweifel, zumal uns die Zahlen aus Marokko | |
sagen, dass die Zahl der Tiere seit 2010 relativ konstant bleibt. Das habe | |
ich auch hinterfragt. Aber dann werden uns Gründe genannt, warum das so | |
ist: Ausbrüche von Maul und-Klauen-Seuche oder ähnliches. Auch das sind | |
Fragen, die letztlich aus Berlin oder Brüssel kommen müssen. | |
Aber es muss doch auch auf Landesebene Handlungsmöglichkeiten geben. | |
Auf niedersächsischer Ebene haben wir uns damit durchaus intensiv befasst, | |
auch weil mir dieses Thema immer wichtig war. Im Rahmen unserer | |
Nutztierstrategie, dem Tierschutzplan 4.0 und den diversen Arbeitsgruppen | |
beispielsweise. Da haben wir auch versucht, Druck aufzubauen in Richtung | |
Berlin, mit Bundesratsinitiativen, Agrarministerbeschlüssen – da muss | |
Bewegung rein. | |
Die Opposition hat Ihnen vorgeworfen, dass Niedersachsen da im Bundesrat | |
nicht konsequent handelt – in dem es zum Beispiel am Ende dann doch gegen | |
eine Zeitbegrenzung der Transportdauer auf acht Stunden oder eine EU-weite | |
schwarze Liste von Drittländern stimmt. | |
Ich weiß nicht, welche Protokolle die Opposition da immer liest. Es gibt | |
ein Abstimmungsverhalten im Ausschuss, wo wir die Initiativen zum Teil | |
selbst eingebracht haben und es gibt das Abstimmungsverhalten im Bundesrat. | |
Ich stehe dazu, dass ich diese Tiertransporte grundsätzlich infrage stelle. | |
Man braucht aber für die Betriebe natürlich immer einen Plan B. Viele | |
kleine bis mittlere Familienbetriebe, die Milchvieh halten, brauchen dieses | |
Zubrot. | |
Weil die Milchpreise so niedrig sind? | |
Nicht nur, die haben oft mehr Kälber in der Nachzucht, als sie brauchen | |
können und müssen die abgeben – und weil das in Niedersachsen anderen auch | |
so geht, gehen die in den Export. Da muss man eben auch erst einmal | |
gemeinsam mit den Zuchtbetrieben Alternativen entwickeln, in dem man zum | |
Beispiel auch mit Masttieren besamt, damit die Kälber leichter regional zu | |
verkaufen sind. Meiner Erfahrung nach entwickelt sich das aber auch | |
schneller, wenn ein Markt verschlossen ist. | |
Aus Verbrauchersicht hat man oft den Eindruck: Da häufen sich seit Jahren | |
die Skandale in allen Bereichen der Produktionskette – egal ob es die | |
Schweinemast ist oder die Geflügelhaltung oder die großen | |
Schlachthofskandale – und am Ende ändert sich wenig bis gar nichts. | |
Na ja, das sind ja unterschiedliche Ansatzpunkte. [3][Schlachthofskandale | |
wie Bad Iburg] müssen juristisch aufgearbeitet werden und das passiert ja | |
auch, es gab erste Urteile – auch wenn die Strafen da möglicherweise zu | |
niedrig erscheinen. Da muss man eben mit der Justiz im Gespräch bleiben und | |
das werde ich auch. Das andere ist, dass wir mehr Möglichkeiten haben, | |
Tierschutzverstöße aufzudecken. Deshalb war mir die Kontrolle der Abdecker, | |
die wir jetzt durch den Bundesrat gebracht haben, so wichtig. Wenn da | |
Kadaver angeliefert werden, die Spuren von Qualen aufweisen, kann das | |
künftig bis in die Betriebe zurückverfolgt werden. Außerdem haben wir in | |
[4][Schlachthöfen die Kameraüberwachung eingeführt] – mit einer | |
freiwilligen Vereinbarung, an der sich ganz viele beteiligt haben. Da kann | |
man vom Hänger bis zum Haken sehen, wie mit den Tieren umgegangen wird. | |
Weil wir schon feststellen, dass es da zu einer Verrohung kommt, die wir | |
unterbinden wollen. Da gab es zwar Anlaufschwierigkeiten mit dem | |
Datenschutz, aber auch die haben wir mittlerweile behoben und einen | |
Leitfaden erstellt. | |
Viele Tierschützer sagen, dass zu selten kontrolliert wird. Und wenn dann | |
meist auch noch mit Ankündigung und durch Veterinäre, die viel zu dicht | |
dran sind – weil man sich kennt. | |
Aber es gibt ja schon Maßnahmen, dass zum Beispiel bei den | |
Vor-Ort-Kontrollen die Veterinäre rotieren, also im Nachbarlandkreis | |
eingesetzt werden. Ich erwarte aber auch einfach, dass die zahlreichen | |
anderen Menschen, die da in die Betriebe gehen, wachsamer sind. Das sind ja | |
nicht nur die Amtsveterinäre, da gibt es Betriebsleiter, betreuende | |
Veterinäre, Besamungstechniker, die Kontrolleure der QS- und anderer | |
Siegel. Da muss insgesamt mehr hingeschaut werden. Und ich glaube, das | |
passiert auch. Die Betriebe sind sensibilisiert, viele junge Landwirte | |
denken auch anders. Niemand möchte mehr diese schrecklichen Bilder | |
produzieren. | |
Der enorme Preisdruck und die Massenproduktion setzen dem aber auch | |
Grenzen, oder? | |
Also bei unseren Kontrollen sehen wir tatsächlich, dass es mit der Größe | |
der Betriebe nicht so viel zu tun hat. Wir finden kleine Ställe, in denen | |
gegen den Tierschutz verstoßen wird – häufig aus Überforderung –, wir | |
finden aber auch große Halterbetriebe, wo es systematische Verstöße gibt. | |
Das gleiche gilt für Schlachthöfe. Es hängt eher von der persönlichen | |
Haltung ab. | |
15 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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