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# taz.de -- Reform der Tierhaltung in Niedersachsen: Nichts als schöne Worte
> Niedersachsen möchte seine Nutztierhaltung zum Besseren hin verändern.
> Das klingt gut, aber die Vorhaben bleiben unverbindlich und vage.
Bild: Wird sich durch Umverteilung allein wohl nicht lösen lassen: Massentierh…
Osnabrück taz | Papier ist geduldig, heißt es, und dieses ganz besonders:
„Für eine zukunftsfähige Nutztierhaltung in Niedersachsen“ heißt das Anf…
Februar vom Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium beschlossene
Programm. Es verspricht die „Transformation der landwirtschaftlichen
Nutztierhaltung“ und nennt alle Zauberworte, die derzeit im Trend liegen,
von „ökologischer Nachhaltigkeit“ über „Tierwohl“ bis „Runder Tisch…
weil es nicht nur um Ideelles geht, ist auch von „Wertschöpfung“ die Rede,
von „Markttransparenz“ und „Innovationsführerschaft“.
Nur klingt alles so unkonkret, dass Miriam Staudte, Vize-Fraktionschefin
der Grünen im Hannoveraner Landtag, direkt abwinkt: „Das ist das Papier
nicht wert, auf dem es geschrieben ist! Das ist nur Vortäuschung von
Aktivität! Dass dem irgendwelche Handlungen folgen, ist nicht abzusehen.“
Man kenne das ja: Moderationsrunde, Arbeitsgruppe, Appellpapier. „Und das
alles nur, um dich über die Zeit zu retten. Hauptsache, du musst nicht
wirklich was entscheiden!“
Niedersachsen hat als führender Nutztierhaltungs-Standort Deutschlands ein
Doppelproblem: Viel zu viele Tiere, mit der Folge gülleüberlasteter Böden.
Vom Tierwohl ganz zu schweigen. Das Strategiepapier umreißt die
Stimmungslage wie folgt: Durch „gestiegene gesellschaftliche Erwartungen im
Hinblick auf das Tierwohl sowie die ökologische Nachhaltigkeit“ seien die
Betriebe „unter erheblichen Anpassungsdruck geraten“. Viele dächten daran,
die Nutztierhaltung zu beenden. Einen solchen „Strukturbruch“ gelte es zu
vermeiden.
Aber was tun, wenn der Verbraucher zwar regional produziertes Fleisch will,
aber keine Felder voller Ammoniak- und Methangas-Gestank – und keine
räumlich konzentrierte Massentierhaltung, die auch im Gewerbegebiet stehen
könnte, weil sie statt Weiden im Grunde nur Hallen braucht? Man bemüht
sich, wie Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) in ihrer
Strategie, „zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ zu vermitteln, damit die
Nutztierhaltung „in die Mitte der Gesellschaft“ rückt. Von „gleichmäßi…
regionaler Verteilung“ der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung ist die
Rede.
Sollen Höfe umziehen? Sollen Landwirte in „viehdichten“ Regionen wie
Weser-Ems auf Tiere verzichten? Sollen Ackerbauern umlernen und Ställe
bauen? „Soweit Tierbestände in vieharmen Regionen aufgebaut werden“, sagt
Otte-Kinasts Papier, solle dies „unter besonderer Berücksichtigung
besonders tiergerechter Haltungsverfahren“ geschehen. Was all das in Zahlen
bedeutet, welche Kriterien greifen, wann der Umbau beginnt und wer ihn
kontrolliert, bleibt allerdings unklar.
Dafür verweist das Papier oft auf die Bundesregierung. Wie vermint das
Gelände in Sachen Landwirtschaft zwischen Bund und Land ist, zeigt das
Thema Tierwohl-Label. Otte-Kinast propagiert für Fleisch ein verbindliches
staatliches Kennzeichnungssystem, wie die Tiere vor dem Schlachten gehalten
wurden. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) will vorerst nur ein
freiwilliges Label; erst 2025 soll es verpflichtend werden – auf EU-Ebene.
Otte-Kinast schwankt hier zwischen Haltung und Selbstaufgabe: Man halte
eine verpflichtende Kennzeichnung „für dringend geboten“, erkenne jedoch
an, „dass kurzfristig nur ein freiwilliges Label umsetzbar ist“.
„So was erweist der Landwirtschaft einen Bärendienst“, sagt Miriam Staudte.
„Die Gesellschaft akzeptiert nicht, dass sich nichts ändert.“ Vor allem der
Plan, die Nutztierhaltung räumlich zu entzerren, irritiere sie. „Eine bloße
Verlagerung löst die Probleme nicht, sie exportiert sie nur.“
Friedrich Mülln, Kopf der Münchner Tierrechtsorganisation „Soko
Tierschutz“, sieht das ähnlich: „Die Strategie des Abbaus von Tierzahlen
ist sinnvoll, sollte aber viel weiter und konsequenter geführt werden. Sie
wird leider durch den Plan, Tierhaltungsbetriebe mit ihrem Leid und ihren
Umweltschäden auf bisher verschonte Gebiete umzuverteilen und sogar neue
Intensivtierhaltungen mit leichten Verbesserungen zu fördern,
unterminiert.“ Sein Fazit: „Die deutsche Agrarpolitik wird nach wie vor von
der Agrarlobby geschrieben.“
In Otte-Kinasts Papier ist derweil von Robotereinsatz, Umwelt- und
Baurechtsnovellierung und Bürokratieabbau die Rede. Sinnvolles wie die
Tierwohlabgabe steht drin – denn Tiere besserzustellen, ist für den
Landwirt oft mit Kosten verbunden. Aber insbesondere Otte-Kinasts
Tierbestands-Verteilungsplan weckt Skepsis. „Dass ein Abbau der
Tierbestände stattfinden wird, liegt auf der Hand“, erklärt ihr Ministerium
online in einem „Strategie“-FAQ. Dies sei aber „kein erklärtes Ziel unse…
Hauses“. Ein aktiver Abbau findet also nicht statt.
Sonja Hellbaum hat das längst getan. 21 Kühe hat die Landwirtin aus
Ostercappeln-Schwagstorf auf ihrem Bioland-Hof, zwei Sauen, 80 Hühner, ein
paar Schafe. „Da wird am falschen System rumgedoktert“, sagt sie zu
Otte-Kinasts „Strategie“. „Das Massen-Billig-System hat sich überlebt.“
Hellbaums Hof hat nur so viele Tiere, wie er auch mit eigenen Mitteln
ernähren kann – vorbildliche Kreislaufwirtschaft. „Der Ökolandbau zeigt,
dass es Alternativen gibt.“
4 Mar 2021
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Massentierhaltung
Niedersachsen
Fleischindustrie
Landwirtschaftsministerium Niedersachsen
Tierhaltung
Nutztiere
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