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# taz.de -- Nord Stream 2 in Bau: Für die Ostsee ein Strang
> Ist die Gasleitung Nord Stream 2 nötig? Die Antworten sind
> unterschiedlich. Klar aber ist: Für den Greifswalder Bodden ist der Bau
> eine Belastung.
Bild: Das Verlegeschiff Castoro 10 im Greifswalder Bodden
Lubmin/Berlin taz | Eben hat der Kutter vor der südöstlichen Küste Rügens
abgedreht. Jetzt nimmt er Kurs auf das Festland, auf den kleinen Hafen von
Lubmin, und die menschlichen Eingriffe in die Natur entfalten ihre ganze
Hässlichkeit. Die Lagune der südlichen Ostsee, sie ist eine einzige
Großbaustelle. Fällt vorn der Blick auf eine lange Wand aus acht
Reaktorblöcken des stillgelegten Atomkraftwerks Lubmin, laufen hinten die
Bauarbeiten zur Verlegung der Gaspipeline Nord Stream 2 mit mehreren
Schiffen auf Hochbetrieb, Dazwischen finden im Wasser die letzten Arbeiten
zur Verlegung der Seekabel vom Windpark Wikinger zum Umspannwerk an Land
statt. Über allem plätschert die blaugraue See, so als wolle sie vielen
Operationen am offenen Herzen vertuschen.
Die Pipeline Nord Stream 2 soll Erdgas aus Nordsibirien durch die Ostsee
nach Westeuropa leiten. Vom russischen Ust-Luga sollen die beiden Stränge
auf einer Länge von 1.230 Kilometern die Seegebiete Schwedens, Finnlands
und Dänemarks durchqueren, bevor das Gas in Lubmin an der Küste
Mecklenburg-Vorpommerns anlandet. Ab Ende 2019 sollen 55 Milliarden
Kubikmeter Gas pro Jahr fließen, zusätzlich zu der ähnlich hohen Kapazität
der Leitung Nord Stream 1, deren Rohre weitestgehend parallel zu Nordstream
2 verlaufen, und die 2011 in Betrieb ging. Hinter dem Vorhaben steht der
weltweit größte Erdgasförderer, der russische Energiekonzern Gazprom.
Anfang September sind bereits etwa 15 Kilometer des Doppelstrangs im
Greifswalder Bodden verlegt. Dennoch bleibt der Bau umstritten.
Umweltschützer befürchten irreparable Schäden in deutschen
Meeresschutzgebieten, wie die Zerstörung von Mergelriffen und Seegraswiesen
durch die Baggerarbeiten am Boden. Auf die Frage, ob das zusätzliche
russische Erdgas auf dem europäischen Gasmarkt überhaupt gebraucht wird,
gibt es unterschiedliche Antworten. Das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) etwa hält den Bau für überflüssig.
Anne Böhnke-Henrichs vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) fallen auf
Anhieb viele Gründe ein, die gegen die Verlegung der Gasleitung im
Greifswalder Bodden und der Pommerschen Bucht sprechen. Besonders
gravierend für das Ökosystem, sagt die Referentin für Meeresschutz, seien
die mehr als 250 Tonnen Phosphor, die durch die Baggerarbeiten auf dem
Meeresboden freigesetzt werden. Aufgrund des flachen Wassers müssen die
Rohre auf den ersten 50 Kilometern eingegraben werden.
## Die Heringslarven sterben ab
Dazu muss ein etwa drei Meter tiefer und 25 Meter breiter Graben ausgehoben
werden. Laut Nabu ist die Rinne an manchen Stellen sogar bis zu 80 Meter
breit. Einer Kettenreaktion gleich befördert dies die Blüte der Algen, die
bei ihrer späteren Zersetzung am Meeresboden viel Sauerstoff verbrauchen.
Das wiederum wirkt sich auf Organismen wie Heringslarven aus. „Sie sterben
ab“. Eine hohe Belastung für die ohnehin schon stark überdüngte Ostsee.
Erst im Sommer, der ungewöhnlich warm war, hatte es mehrere Meldungen über
sauerstoffarme „Todeszonen“ gegeben, erkennbar an ihrem fauligen,
schwefligen Geruch.
Und dann der Vorfall mit dem Schmierfett Mitte Mai. Böhnke-Henrichs hält
inne. Kurz nach Beginn der Bauarbeiten waren wegen einer beschädigten
Dichtung an einem Greifarm rund 150 Kilogramm der giftigen Fettklumpen in
die Ostsee gelangt. Die zuerst fußballgroßen Stücke zersetzten sich zu
kleinen Partikeln, auch weil der Projektentwickler tagelang nicht reagierte
und die Aufräumarbeiten nur langsam anliefen. Nur gut die Hälfte des
Schmierfetts wurde wieder eingesammelt. Weil unter den betroffenen
Abschnitten auch Vogelschutzgebiete sind, befürchtet man beim
Naturschutzbund, dass die Tiere die zurückgelassenen pinkfarbenen Klümpchen
mit Nahrung verwechseln.
Bereits am 2. März 2018 hatte der Nabu im Eilverfahren gegen den
Planfeststellungsbeschluss des Bergamts Stralsund, das die Genehmigung für
die Verlegearbeiten erteilte, vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald
geklagt. Neben Umweltauswirkungen begründeten die Naturschützer die Klage
mit Verfahrensfehlern. So erhielten die Naturschützer auch nach
wiederholter Aufforderung keine Einsicht in die Monitoringberichte, die
über die Pipeline Nord Stream 1 erstellt wurden. Diese Berichte des
Projektentwicklers besagen, dass sich die zerstörten Lebensgemeinschaften
am Meeresboden rund um die Gasleitungen innerhalb weniger Jahre
regenerierten. Der Naturschutzbund geht jedoch für einzelne Biotope von 150
Jahren aus.
## Ein schwarzer Tag für die Ostsee
Als Anfang Mai der Bau der Gaspipeline in Lubmin begann, beantragte der
Nabu zusätzlich eine „Zwischenverfügung“, einen Eilantrag im Eilverfahren.
So wollten die Naturschützer verhindern, dass die Meerschutzgebiete
geschädigt würden, bevor das Oberverwaltungsgericht ihre Kritikpunkte hätte
prüfen können. Anfang Juni wurde der Antrag für einen vorläufigen Baustopp
jedoch abgelehnt. Der Nabu reichte daraufhin Beschwerde beim
Bundesverfassungsgericht ein, Mitte Juli entschied Karlsruhe dagegen. Aus
Sicht der Naturschützer ein schwarzer Tag für die Ostsee. Dazu ein Wust von
Klagen.
Das Hauptsacheverfahren gegen die Rechtsmäßigkeit des
Planfeststellungsbeschlusses laufe aber noch, sagt Anne Böhnke-Henrichs.
Beim Nabu hoffen sie auf verbesserte Kompensationen für die Ostsee. „Die
bisherigen Maßnahmen können keinen Eingriff in die Natur rechtfertigen“,
sagt Böhnke-Henrichs. Sinnvolle Entschädigungen seien die Renaturierung von
Unterwasserpflanzen wie der Armleuchteralge oder Seegras als Kinderstube
für den Hering und andere Arten.
Mitte August ist der Strand des Seebads Lubmin gut besucht. Familien
faulenzen in der Sonne, Kinder buddeln im Sand. Axel Vogt, rotes T-Shirt
und Badehose, klettert vom Rettungsturm herunter. Der Bürgermeister von
Lubmin arbeitet ehrenamtlich auch als Rettungsschimmer. „Nord Stream 2 ist
unser großes Glück“, sagt er. Bis zu vierhundert Menschen würden auf der
Baustelle und in der benachbarten Erdgasübernahmestation arbeiten. „Diese
Leute müssen alle irgendwo wohnen, einkaufen oder essen gehen.“ Eine große
Wertschöpfung sei das.
## Geld für Straßen, Sportplätze, Vereine
Mit der Inbetriebnahme der Gaspipeline erhöht sie sich noch weiter: Eine
Million Euro Gewerbesteuer von Nord Stream 1 bekommt die 2.225 Einwohner
große Gemeinde pro Jahr. Der neue Doppelstrang wird eine weitere Million in
die Kassen spülen, oder auch mehr, je nachdem wie viel Gas verkauft wird.
Mit dem Geld haben sie in Lubmin Straßen und ein Stadion saniert und
Vereine unterstützt.
Angst vor einer Umweltkatastrophe in seinem so beschaulichen Seebad, etwa
dadurch dass die Pipeline leckt, hat der gebürtige Greifswalder nicht. „Die
Rohre werden regelmäßig kontrolliert.“ Bei Tauchgängen zur Nord Stream 1
habe er gesehen, wie nahe der Trasse Algen am Meeresgrund wachsen. Kleine
Biotope seien dort entstanden. „Faszinierend.“
Gut zu sprechen ist der Bürgermeister auch auf den russischen
Wirtschaftspartner. Russland gehöre zu den wichtigsten Handelspartnern
Mecklenburg-Vorpommerns, sagt er. „Wir sind in der DDR aufgewachsen, von
daher haben wir gute Beziehungen zur russischen Föderation.“
## Am Ufer ein Atomkraftwerk
Die einzige Straße zur Nord Stream-2-Landbaustelle führt vorbei an
abgeernteten Feldern und Kiefernwäldchen, immer entlang des Greifswalder
Boddens. Hinter einer Kurve scheint die Zeit stehen geblieben. Gespenstisch
wirken die gigantischen, grauen Blöcke des 1990 abgeschalteten
Atomkraftwerks, das noch immer als Zwischenlager für radioaktive Abfälle
dient.
Gut zwei Kilometer entfernt, auf der Landbaustelle der Nord Stream 2,
rattert ein Presslufthammer. An den Baucontainern hängt das Logo des
Projektentwicklers, daneben der Schriftzug „Nord Stream 2. Committed.
Reliable. Safe.“ – „Nord Stream 2. Engagiert. Zuverlässig. Sicher.“
Steffen Ebert und Jens D. Mueller, beide waren schon Sprecher bei Nord
Stream 1, wollen alles richtig machen. Sie laden die aus den Niederlanden,
Finnland und Japan angereisten Journalisten zu Schnittchen, Kaffee und
Obst. Für alle verpflichtend war am Tag zuvor das Hintergrundgespräch.
Ebert und Mueller, beide tragen Brille, das Haar ergraut, geben sich alle
Mühe, Transparenz zu schaffen: Keine noch so kritische Frage soll
unbeantwortet bleiben. Auch Tage nach dem Besuch werden E-Mails mit
Fachartikeln, Stellungnahmen und Fotos hinterher geschickt. Als das
japanische Fernsehteam auf der Landbaustelle aber einen Drehort abseits der
Wege gefunden hat, winkt Ebert ab. Da sei nicht erlaubt.
Nach ein paar einführenden Worten werden Helme, Schutzbrillen, Westen und
Arbeitsschuhe verteilt. Ebert und Mueller führen über ausgewählte Bereiche
der Baustelle. Beide geben sich beinahe ehrfürchtig, angesichts der
Dimension des Projekts.
Die Gruppe begutachtet einen Graben, durch den das Erdgas vom Wasser aus
ankommen soll. Mit einem Druck von 220 bar wird es von Russland aus durch
die Leitung gedrückt. Mittels Druck wird auch die Gasmenge reguliert. Und
was passiert, wenn ein U-Boot auf die Pipelines auffahren würde, möchte die
Kollegin aus den Niederlanden wissen. Vor Worst-Case-Szenarien sei man
nicht gefeit, sagt Ebert schnell, aber darauf vorbereitet. Eine
Rund-um-die-Uhr-Überwachung des gesamten Systems erkenne jede Abweichung
sofort. Im Notfall würde es außer Betrieb gesetzt, logischerweise.
Etwa eine Stunde dauert die Fahrt mit dem Kutter, bis Rügen deutlich
erkennbar ist. Davor liegen vier Ankerschiffe, die das Verlegeschiff
Castoro 10 wie ein Spinnennetz vorn und hinten auf Position halten, sowie
mehrere Sicherheitsschiffe, die die Bauarbeiten koordinieren und aufpassen,
dass kein Boot in die Ankerleinen fährt. Die Castoro 10, ein Arbeitsschiff
des Dienstleisters Saipem, verlegte hier schon 2010 die Nord Stream 1.
Durch ihren flachen Rumpf ist es eines der wenigen Schiffe weltweit, das
hier, wo das Wasser stellenweise nur zwei bis drei Meter tief ist, Piplines
verlegen kann.
## Der Strang wächst täglich um 700 Meter
Aus dem Heck hängt ein Stück Rohr. Pressesprecher Ebert erklärt, dass die
zwölf Meter langen und 24 Tonnen schweren Rohrsegmente dort direkt an Bord
zusammengeschweißt werden. Anschließend wird der Strang ins Meer gesenkt.
Etwa 700 Meter werden so jeden Tag verlegt. 160 Leute halten den Betrieb
des Schiffs sieben Tage und 24 Stunden lang aufrecht. Schon Mitte November
sind die Arbeiten hier abgeschlossen.
Jetzt dockt an der Castoro 10 ein Kranschiff an, das Rohre liefert, weiter
hinten am Horizont heben Baggerschiffe den nächsten Abschnitt des Grabens
aus. Das, was hier nur aus der Ferne zu sehen ist, ist eine Fabrik auf dem
Wasser.
Nach ein paar Minuten dreht der Kutter ab. Eine nähere Besichtigung des
Verlegeschiffs sei nicht möglich, das Schiff habe zu viel Tiefgang, man
stehe unter Zeitdruck und wolle die Arbeiten nicht stören, heißt es von
Ebert und Mueller.
Die wirklichen Gründe könnten andere sein. Am Abend ist in Lubmin zu
erfahren, dass die Schweißarbeiten von Asiaten durchgeführt würden. Wie auf
See üblich, seien dies oft Philippinos oder Indonesier. Schwerarbeiter, die
für einen Hungerlohn arbeiten.
## Ist die Pipeline überflüssig?
Anfang September, vor der Kutterfahrt im Bodden, empfängt Jens D. Mueller
in einem Büro in Berlin-Mitte. Der Unternehmenssprecher gibt Nachhilfe in
Projektkunde Nord Stream 2. Powerpoint-Präsentation. Chart acht zeigt in
bunten Grafiken ein Szenario zur Erdgasnachfrage. Es besagt, dass die
weltweite Gasnachfrage bis 2040 um 50 Prozent steige, während der
europäische Bedarf weitestgehend konstant bleibe. Der Bau der Pipeline wäre
überflüssig?
Mueller verneint: Erdgasimporte seien nötig. Nach den Erdbeben in
Groningen, das letzte erst im Januar 2018, sollen die niederländischen
Gasfelder geschlossen werden, weshalb die Eigenförderung der EU sinke. Die
Rechnung scheint fast zu simpel: 62 Prozent aller Brennstoffe werden von
der Bundesrepublik importiert. Auf Deutschland, Europas größtem Gasmarkt,
entfallen 23 Prozent der EU-Gasimporte. „Russland bringt
wettbewerbsfähigstes Gas“, sagt Mueller, „da drückt man auf den Knopf“.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aber kommt nach
Prüfung der von der EU-Kommission verwendeten Szenarien zur deutschen und
europäischen Erdgasversorgung zu dem Ergebnis, dass die Nachfrage
fehlerhaft überschätzt worden sei. Das DIW geht davon aus, dass die
Versorgung mit kostengünstigem Erdgas aus europäischen Pipelines auf
Jahrzehnte gesichert sei. Mehr noch gingen verschiedene
energiewirtschaftliche Szenarien übereinstimmend „von einem rückläufigen
Anteil fossilen Erdgases an der deutschen Energieversorgung aus“. Das
bedeutet: Auch wenn Nord-Stream-2 nicht gebaut würde, entstünden keinerlei
Versorgungslücken. Der Bau der Pipeline ist weder „geboten“ noch
„erforderlich“.
## Studien über Studien
Auf die DIW-Analyse angesprochen, fallen Mueller andere namhafte Studien
ein, „die hinsichtlich der Verbrauchsentwicklung und Daseinsberechtigung
des Projektes eine ganz andere Aussage treffen“. Sowieso findet Mueller die
Grundprämisse des DIW falsch. Sie besagt, dass erneuerbare Energien in
absehbarer Zeit in einem Maße verfügbar und kostengünstig werden, dass
keine anderen Investitionen mehr notwendig seien.
„Erdgas“, sagt Mueller, „ist die Brückentechnologie auf dem Weg zur
Energiewende“. Viele Schritte müssten noch gegangen werden: der
Atomausstieg, der Netzausbau – all das sei noch immer nicht vollzogen.
„Wenn ich mir anschaue, was Nord-Stream-2-Gas leisten könnte, dann wären
das als kompletter Ersatz von Kohle zur Stromerzeugung jährlich
Co2-Einsparungen von 160 Millionen Tonnen.“ Das entspräche Einsparungen von
40 Millionen Pkw.
„Frau an Bord, Glück geht fort.“ Schon um 3 Uhr in der Früh ist
Franz-Dieter Hagelberg im Freester Hafen zu Scherzen aufgelegt. Der
68-Jährige, dicker Bauch, blaue Strickmütze, hat eben die Taue des
Fischkutters Lauing gelöst. Gemeinsam mit Kapitän Robert Ebeling sollen
draußen auf dem Greifswalder Bodden die Stellnetze mit Flundern eingeholt
werden. Die Luft ist mild, der Wind weht nur mäßig, als der Kutter in der
Dunkelheit den Hafen der Fischereigenossenschaft „Peenemünde Freest“
verlässt. Während Franz, den Kopf in der Hand, auf der gut zweistündigen
Fahrt immer wieder einschläft, ist Kapitän Ebeling redselig.
## „Wenn der Hering weg ist, ist Schluss“
4.000 Stellnetzmeter für 500 Euro Pacht im Jahr bewirtschaftet der
38-Jährige. Bis November fangen sie Flundern, 40 Cent bis einen Euro zahlt
der Großhändler pro Kilo, vermarktet durch den Genossenschaftsleiter. Das
wichtige Geschäft aber findet im Frühjahr statt. Dann zieht der Hering in
den Bodden, der Brotfisch der westlichen Ostsee. 75 Tonnen Hering durfte
Ebeling in diesem Jahr fischen, im kommenden Frühjahr wird die Quote um
knapp die Hälfte gekürzt, da die Larvenpopulation weiter zurückgeht. „Wenn
der Hering weg ist, ist Schluss“, sagt Ebeling, dessen Vater und Großvater
hier schon Netze auswarfen. Zu teuer seien der Kutter, die Fanglizenzen,
die Pacht.
In der Dunkelheit fast unbemerkt hat sich der Bodden in eine schauklige
Fläche verwandelt. „Ganz schön viel Verkehr hier draußen“, sagt Ebeling,…
zeigt auf die in der Ferne blinkenden Lichter der Baggerschiffe für die
Nord Stream 2. Die Korridore der Bagger- und Saugschiffe, die den Sand des
Piplinegraben zur Zwischenlagerung auf die Insel Usedom transportieren,
müssen die Fischer freihalten, ebenso den Bereich um das Verlegeschiff.
Dafür werden sie von Nord Stream 2 in Höhe der gemeldeten Fangstatistik
bzw. den daraus erzielten Erlösen entschädigt – jedoch nur betroffene
Fischer. Schadensfälle werden extra erstattet. „Aber die müsste man dann
melden“, Ebeling winkt ab. Als die Nord Stream 2 kurzfristig einen
Sandkorridor durch sein Fanggebiet verlegte, wurde eine seiner
Markierungsfahnen abgerissen. Einem Kollegen wurden die Netze
kaputtgefahren, der war dann einen Kilometer Fanggeschirr los.
## Die Flundern verrecken
Kurz vor fünf kommt plötzlich Unruhe auf. Zügig ziehen die Männer Ölzeug,
Gummistiefel und Handschuhe an. Draußen an Deck hat es angefangen zu
nieseln, ruckartig schaukelt der Kutter. Ebeling hievt den Anker und die
Fahnen ins Boot. Die ersten drei Netze bringen handbreitgroße zappelnde
Flundern zum Vorschein. Danach sind es tote Tiere, zuerst einzelne, dann
viele. Weil der Sauerstoffgehalt vor den großen Herbststürmen, die frisches
Nordseewasser und Sauerstoff bringen, sehr gering ist, sind die Tiere
erstickt. Für die Fischer ein Desaster, das neben Lohn auch den halben Tag
kostet. Jeder Fisch muss mit den Händen einzeln aus den Maschen gepult
werden.
Dabei wird das Netz vom Kopf der Flunder entfernt und um den Stachel am
Oberkörper gedreht. Anschließend wird der Fisch aus dem Gewirr der Maschen
geschoben, was nicht immer gut gelingt, aus einigen Tieren hängen
Innereien. Hin und wieder wölben sich die Körper, die Fische machen einen
letzten Atemzug. Langsam geht ihnen die Luft aus – so wie der Ostsee.
Mitarbeit Daniella Cheslow
18 Nov 2018
## AUTOREN
Julia Boek
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